1.58 (bru3p): Nr. 572 Vermerk des Ministerialrats Wienstein über die „Boxheimer Dokumente“ vom 26. November 1931

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Nr. 572
Vermerk des Ministerialrats Wienstein über die „Boxheimer Dokumente“ vom 26. November 1931

R 43 I /2683 , S. 63–64

Die Angelegenheit habe ich mündlich im Beisein des Herrn Regierungsrats Krebs mit dem Referenten im Reichsjustizministerium, Ministerialrat Richter, besprochen1, der zuvor Herrn Reichsminister Dr. Joël Vortrag gehalten hatte und dessen Ausführungen von Herrn Minister Dr. Joël gebilligt werden. Herr Richter teilte zunächst in tatsächlicher Beziehung mit, daß der Oberreichsanwalt gestern (25. 11.) in Berlin gewesen sei und Herrn Minister Dr. Joël mitgeteilt habe, er habe sich nach Einblick in das vorliegende Material noch kein klares Bild machen können. Die Haussuchungen2 habe nicht er, der Oberreichsanwalt, veranlaßt. Der Anstoß zu den Haussuchungen sei wohl von Preußen ausgegangen. Der Oberreichsanwalt vernimmt heute (26. 11.) den einen der Verdächtigen, nämlich den Nationalsozialisten Dr. Schäfer, der inzwischen aus der Partei ausgetreten sein soll3.

1

Das vorliegende Dok. ist auch veröffentlicht in: Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 43.

Am 25.11.31 hatte der hessische LT-Abg. Schäfer (NSDAP), der sich mit seiner Partei überworfen hatte, dem Polizeipräsidenten von Frankfurt am Main Entwürfe von Notverordnungen nach einer nationalsozialistischen Machtübernahme übergeben. Diese sog. „Boxheimer Dokumente“ waren im Sommer 1931 von dem Gerichtsassessor Werner Best formuliert und bei einer Besprechung auf dem Boxheimer Hof bei Lampertheim von führenden hessischen Nationalsozialisten gebilligt worden. Die „Boxheimer Dokumente“ sind auszugsweise abgedruckt in Schultheß 1931, S. 262 f. sowie in Ursachen und Folgen Bd. VII, Dok. Nr. 1590n. Die „Boxheimer Dokumente“ hatten die Einführung des Standrechts, der Lebensmittelbewirtschaftung und des Arbeitsdienstes vorgesehen.

2

Die Hausdurchsuchungen wurden am 25. 11. nachmittags mit Wissen des Pr.IM Severing vorgenommen (Bericht der Deutschen Zeitung Nr. 267a vom 26.11.31 in R 43 I /2683 , S. 79).

3

Die „Deutsche Zeitung“ Nr. 277a vom 27.11.31 berichtete über Schäfers Vernehmung, er habe sich nur deshalb an den Polizeipräsidenten in Frankfurt am Main und die Pr.Reg. gewandt, um diese Stellen von den „wirtschaftlich unsinnigen Plänen des Herrn Dr. Best“ zu unterrichten. Sein Ziel sei nur gewesen, zu zeigen, mit welch unmöglichen wirtschaftlichen Gedanken einzelne Leute in der NSDAP umgingen. Über irgendwelche politischen Wege oder Ziele habe er sich keine Gedanken gemacht (R 43 I /2683 , S. 69).

[2016] In rechtlicher Beziehung teilte Ministerialrat Richter folgendes mit: Als strafbares Delikt komme nur Hochverrat (§ 85 Strafgesetzbuch) in Betracht. Erforderlich sei zur Erfüllung des Tatbestandes beim Täter der Vorsatz, gewaltsam die Verfassung zu stürzen4. Die Aufstellung des beiliegenden Entwurfs einer Bekanntmachung sowie der Notverordnung als solche sei noch keine strafbare Handlung5. Denkbar sei zum Beispiel der Fall, daß ein Geschichtsprofessor oder auch ein Phantast derartige Projekte ausarbeiteten. Es müsse der erwähnte Vorsatz hinzukommen, um eine strafbare Handlung zu begründen. Daß dieser Vorsatz vorliegt, müsse bewiesen werden. Deshalb werde nichts anderes möglich sein, als das Ergebnis der Vernehmungen des Oberreichsanwalts abzuwarten, die wahrscheinlich in dieser Hinsicht Klärung bringen würden6.

4

§ 85 StGB lautete: „Aufforderung zum Hochverrat.

I. Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen zur Ausführung einer nach § 82 strafbaren Handlung auffordert, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer bestraft.

II. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von einem bis zu fünf Jahren ein.“

5

Dem Vermerk beigefügt ist das Titelblatt der „Berliner Volks-Zeitung“ Nr. 557 (Morgenausgabe) vom 26.11.31 mit der Schlagzeile: Hitlers Regierungsproklamation entdeckt. Die ersten Maßnahmen nach dem Putsch: Todesstrafe – Enteignung der Sparkassenguthaben – Zwangsarbeit ohne Entgelt – Lebensmittelkarten“ (R 43 I /2683 , S. 65–66).

6

Zur weiteren Beratung dieser Angelegenheit siehe Dok. Nr. 574, P. 3.

Wienstein

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