2.12.1 (cun1p): 1) Zwischenfälle Ingolstadt – Passau

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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1) Zwischenfälle Ingolstadt – Passau

Der Reichskanzler begrüßt die erschienenen Ministerpräsidenten Braun und von Knilling1, sowie Exzellenz von Preger und den Reichsminister Dr. Luther2.

1

Der Bayer.MinPräs. war bereits am 5. 12. vorm. in Berlin eingetroffen, hatte um 11.30 h eine erste Unterredung mit dem RK und dem RAM mit anschließendem Frühstück bei v. Preger, an dem auch der RPräs., die RM und der PrMinPräs. teilnahmen. Anschließend hatte der Bayer.MinPräs. seine Besprechungen mit dem RK und RAM fortgesetzt. Um 18 h hatte dann die 1. Besprechung der RReg. mit den MinPräs. stattgefunden (s. Dok. Nr. 11).

2

Luther hatte nach dem Rücktritt Müllers als REM (s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 2) am 1. 12. das Amt des REM angenommen, nachdem er vorher bei den Verhandlungen zur Kabinettsbildung das Amt des RIM bzw. des RWiM ausgeschlagen hatte. Er nimmt am 6. 12. zum ersten Mal an einer Kabinettssitzung teil. Zu den Motiven Luthers s. seine Erinnerungen ‚Politiker ohne Partei‘, 1960, S. 90 ff.

[35] Minister von Rosenberg trägt den Inhalt der Ententenote mit ihren einzelnen Forderungen eingehend vor3 und bemerkt dazu folgendes:

3

Forderungen der Ententenote vom 30. 11. in Anm. 1 zu Dok. Nr. 10.

Die bezüglich Stettin gestellten Forderungen könnten befriedigt werden. Schon die frühere Regierung sei mit einer Entschuldigung des Stettiner Polizeipräsidenten einverstanden gewesen, der sich auch die jetzige nicht widersetze. Auch die verlangten Auskünfte könnten gegeben werden. Schwieriger lägen die Dinge bezüglich Passau und Ingolstadt.

Was die materiellen Forderungen anlange, so ständen sie in keinem Verhältnis zu dem Geschehenen. Die Städte könnten auch nicht bezahlen. Der Entente sei hier übrigens ein Versehen unterlaufen, denn die Munitionsanstalt, in der sich der eine Vorfall abgespielt habe, läge in einem Weiler, der zur selbständigen Gemeinde Köching gehöre, nicht zu der Stadt Ingolstadt. Die Reichsregierung sei übrigens bereit, die gestellten materiellen Forderungen einem Schiedsgericht zu unterbreiten, sei es nun im Haag oder einem Schiedsgericht des Völkerbundes.

Zu den moralischen Forderungen bemerke er folgendes: Nach aus Bayern vorliegenden Nachrichten und Mitteilungen sei ein Entschuldigungsschreiben des Bayerischen Ministerpräsidenten ohne die schwersten Erschütterungen nicht möglich. Dagegen sei er als Außenminister bereit zu erwidern, daß die Reichsregierung ihre Mißbilligung des Vorfalls und ihr Bedauern über ihn bereits ausgesprochen hätte, was zugleich für Bayern gelte, da dem Reich die Vertretung der Länder nach außen obliege. In dem bereits ausgesprochenen Bedauern läge bereits die Entschuldigung. Zur Abberufung der Bürgermeister und Polizeichefs: Hier scheide Ingolstadt aus, da es, wie oben ausgeführt, gänzlich unbeteiligt sei. Für Passau läge die Frage äußerst schwierig; die Erwägungen seien noch nicht abgeschlossen.

Ministerpräsident von Knilling: Die Ententenote sei in einem äußerst kritischen Moment gekommen. Bei den Vorfällen sei die begreifliche Erregung der Bevölkerung über die fremdländischen Kommissionen zu berücksichtigen. Andererseits sei es klar, daß solche Szenen, wie die vorgekommenen, der Sache nicht nutzten.

Was die sachliche Erledigung der Note anlange, so stimme er dem Außenminister bezüglich Ingolstadt in vollem Umfange zu. Zu Passau müsse er folgendes sagen: Der chef de la police sei der Bürgermeister; aber die Note ziele wohl auf den Befehlshaber der Landespolizei. Es läge aber nicht das geringste Verschulden der Landespolizei vor, denn die örtliche Polizeibehörde sei nicht einmal von dem Eintreffen der Kommission benachrichtigt worden, so daß sie Schutzmaßnahmen nicht hätte treffen können. Wenn die Ententekommissionen Schutz beanspruchten, so müßten sie in Zukunft ihr Eintreffen rechtzeitig mitteilen. Im übrigen hätten sich die Polizeibeamten bei dem Vorfall in der Reichswehrkaserne in stärkster Weise für den Schutz der Ententeoffiziere[36] eingesetzt; diese hätten sich sogar bei den Beamten für ihr Verhalten auf das Lebhafteste bedankt.

In Bayern herrsche die stärkste Erregung über die Note. Eine Regierung, die sich hier schwach zeige, könne sich keinen Tag halten. Sie würde beseitigt werden, und es sei dann eine sehr gefährliche Entwicklung zu befürchten. Er begreife und billige auch persönlich die Aufnahme, die die Note in Bayern gefunden habe. Das Gesamtministerium, die Koalitionsparteien und auch die Demokraten dächten ebenso. Auch die sozialdemokratische Presse hätte das Vorgehen der Entente verurteilt. Er erkläre mit aller Entschiedenheit, daß er als bayerischer Ministerpräsident das Aussprechen einer Entschuldigung ablehne, ebenso die Maßregelung von Polizeibeamten, die ein schreiendes Unrecht wäre. Für den Verlauf der gestrigen und heutigen Besprechung mit den Reichsbehörden spreche er seinen Dank aus4. Er wolle alles zu hindern suchen, was hier einen Keil zwischen das Reich und Bayern oder zwischen Bayern und die Pfalz treiben könne. Die geforderte Geldbuße laufe auf einen praktischen Versuch mit den produktiven Pfändern hinaus.

4

Den freundschaftlichen Charakter dieser Unterredungen betont v. Knilling auch später in seinem Rechenschaftsbericht vor dem Staatshaushaltsausschuß des bayer. LT am 11. 12.: „Ich hatte außerdem in den letzten Tagen Gelegenheit, die Angelegenheiten mit den zuständigen Reichsstellen in eingehender, von freundschaftlichem Geiste getragener Aussprache mündlich zu erörtern, bei der dem bayerischen Standpunkt weitgehendes Verständnis entgegengebracht wurde. […] In keinem Augenblicke der Verhandlungen wurde auch nur der Versuch gemacht, auf die bayerische Stellungnahme irgendeinen, sei es auch nur moralischen Druck auszuüben.“ (R 43 I /415 , Bl. 397 f.).

Nach den Mitteilungen, die ihm der Herr Reichskanzler und der Außenminister gemacht hätten, stimmten sie mit ihm darin überein, daß die Verhandlungen in der Reparationsfrage durch einen Kotau hier nicht gefördert werden würden. Was der Bürgermeister von Passau für seine Person tun würde, wisse er nicht. Dieser habe übrigens sein Bedauern bereits ausgesprochen, und er, der Ministerpräsident, habe kein Mittel, ihn zur Wiederholung zu zwingen, würde dies auch niemals tun5. Was die Abberufung des Chefs der Munitionsanstalt anlange, so sei dies Sache des Reichs. Er würde sie aber für äußerst bedenklich halten, denn hier würde die nationale Ehre tangiert. Er habe alles getan, um bisher die Ruhe aufrechtzuerhalten und insbesondere geplante Protestkundgebungen verhindert, die erfahrungsgemäß leicht zu Ausschreitungen führten.

5

Der Passauer Bgm. Dr. Sittler hatte sein Bedauern über den Zwischenfall am 21. 11. ausgesprochen. Am 7. 12. fügt der 2. Bgm. von Passau ein Schreiben an die IMK in München hinzu, in dem er für den abwesenden Bgm. erklärt: „Seiner [Dr. Sittlers] Auffassung nach sollte in dieser Kundgebung bereits der Ausdruck einer Entschuldigung enthalten sein; ich stehe indessen nicht an, diese Entschuldigung an seiner Stelle ausdrücklich zu wiederholen.“ (R 43 I /415 , Bl. 329). Am 9. 12. folgt dann eine weitere Erklärung Dr. Sittlers, die in Anm. 5 zu Dok. Nr. 18 abgedruckt ist.

Zur Geldbuße bemerke er noch, daß Ingolstadt aus dem genannten Grunde ausscheide und Köching sie natürlich nicht tragen könne. Passau habe noch nicht Stellung genommen, werde die Buße aber sicher ablehnen.

Bei der ganzen Frage sei die Grenze zu berücksichtigen, die durch die nationale und persönliche Ehre gegeben sei.

ReichsschatzministerAlbert: Der Chef der Munitionsanstalt habe früher[37] dem Schatzministerium unterstanden; ob dies jetzt noch der Fall sei, hätte noch nicht festgestellt werden können. Mit diesem Vorbehalt erkläre er, daß er ihn abberufen werde. Er sehe die Dinge fundamental anders an, als der Herr Vorredner. Ausgangspunkt der ganzen Frage sei die Außenpolitik. Wichtige Entscheidungen seien bevorstehend, daher dürfe man sich jetzt nicht in einer Nebenfrage, die mehr formal-technischer Natur sei, irgendwie ins Unrecht setzen. Allerdings gingen die gestellten Forderungen weit über das Gerechtfertigte hinaus. Es sei eben leider nur möglich, einen späteren Zeitpunkt abzuwarten, zu dem man in der Lage sei, mit diesen Dingen Schluß zu machen. Jetzt handle es sich um die Frage, wo das höhere Interesse liege. Er würde also, wie gesagt, den Beamten abberufen in dem Gedanken, daß wir mit einer Lösung der Reparationsfrage vielleicht an die Wurzel des ganzen Übels faßten.

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Auch er freue sich, daß das deutsche Volk die erlittene Demütigung schwer empfinde und daß der Abschüttelungsgedanke wachse, aber man müsse mit Klugheit vorgehen und die richtige Zeit abwarten. Er halte es daher nicht für gut, in die vorliegenden Verhandlungen den Gesichtspunkt der Verletzung der nationalen Ehre hineinzutragen, wodurch unnütze Verbitterung geschaffen werde. Er frage sich, ob die Bayern in Konsequenz dieser Haltung bereit seien, wiederum loszuziehen? Dies nehme er zwar ohne weiteres an. Die Frage sei aber, ob hiervon etwas Ersprießliches zu erwarten sei. Diese Frage müsse er verneinen. Nicht das rechtsrheinische Bayern, wohl aber die Pfalz wie das linke Rheinufer überhaupt und das übrige Deutschland würden die Kosten tragen. Auch er sehne die Zeit herbei, wo wir wieder den Weg ins Freie finden.

Der Reichskanzler Die Reichsregierung hätte Bayern auf die Folgen speziell für die Pfalz hinweisen müssen. Die Lage sei ernst, und die französische und englische Regierung würden in der Reparationsfrage stark beeinflußt werden, wenn nicht diese Angelegenheit befriedigend geregelt würde. Zunächst müsse nun das Reichskabinett die zu unternehmenden Schritte erwägen.

Er bemerke noch, daß er in der Äußerung des Herrn Bayerischen Ministerpräsidenten keinen Vorwurf gegen irgendeine frühere Reichsregierung gesehen habe.

Ministerpräsident von Knilling bestätigte dies.

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