2.1 (cun1p): Nr. 1 Kabinettssitzung des alten und neuen Kabinetts vom 22. November 1922, 17 Uhr

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Text

RTF

[1] Nr. 1
Kabinettssitzung des alten und neuen Kabinetts vom 22. November 1922, 17 Uhr

R 43 I /1381 , Bl. 77 f.

Anwesend vom alten Kabinett: RK Wirth, RIM Köster, RFM Hermes, RWiM Schmidt, RArbM Brauns, RWeM Geßler, RJM Radbruch, RVM Groener, REM Fehr; StSRkei Hemmer; MinDir. Meissner; Pressechef MinDir. Müller;
vom neuen Kabinett1: RK Cuno, RIM Oeser, RFM Hermes, RWiM Becker, RArbM Brauns, RWeM Geßler, RJM Heinze, RPM Stingl, RVM Groener, REM Müller, RSchM Albert; StSRkei Hamm; MinDir. Meissner; MinR v. Bornstedt, Kempner; ORegR Offermann; RegR v. Stockhausen; Protokoll: MinR Wever.

1

Akten über die Verhandlungen zur Kabinettsbildung waren in R 43 I nicht zu ermitteln. Aus den Pressemeldungen ergibt sich folgendes Bild:

Am 16. 11. wurde Cuno vom RPräs. mit der Regierungsbildung beauftragt, nachdem vorher der dt. Botschafter in Paris, Mayer, und der Kölner OB, Adenauer, als Kandidaten genannt wurden. Nach Besprechungen mit den Parteiführern ergaben sich Schwierigkeiten bei den Personalfragen: Im Zentrum sprach sich die Fraktion gegen Hermes als RAM aus; die SPD hielt an Schmidt als RWiM und Hirsch als StS fest und lehnte eine personelle Beteiligung der DVP am Kabinett ab. Cuno gab daraufhin seinen Auftrag am 18. 11. zurück und erklärte dazu dem RPräs., er habe beabsichtigt, „ein Kabinett der Arbeit zu schaffen, das in seiner Zusammensetzung der Notwendigkeit sachlicher Führung der Geschäfte entspricht und vom Vertrauen des Reichstags getragen wird. Die hierfür erforderlichen Besprechungen mit den Führern der Parteien haben ergeben, daß einzelne Parteien nicht nur Anregungen und Wünsche, sondern Anträge und Ansprüche vorbringen, die die Zahl der einer Partei zu entnehmenden Kabinettsmitglieder, deren Person, deren Ressort, ja sogar die Frage betreffen, ob ein Mitglied des bisherigen Kabinetts ein anderes Ressort übernehmen soll. Damit entfallen die Voraussetzungen, unter denen ein zu sachlicher Arbeit geeignetes Kabinett gebildet werden kann. So wenig ich die Notwendigkeit verkenne, eine Zusammenarbeit zwischen Parlament und Kabinett auch durch dessen Zusammensetzung sicherzustellen, so sehr muß ich entschiedenes Gewicht darauf legen, daß Auswahl der Mitglieder und Ressorts dem Ermessen desjenigen überlassen bleibt, dem der Auftrag zur Bildung übertragen worden ist.“ (WTB-Meldung in R 43 I /1305 , Bl. 19). Daraufhin beriet der RPräs. am 18. 11. abends erneut mit den Parteiführern und Cuno, dem er schließlich freie Hand für die Bildung eines Kabinetts gab, das dann im RT um die Vertrauenszustimmung nachsuchen sollte. Zentrum, DDP und DVP stimmten zu, die SPD wollte die Fraktion entscheiden lassen. Am 19. 11. sprach sich der Fraktionsvorstand der SPD gegen eine Koalition mit der DVP aus; die Fraktion billigte diese Entscheidung gegen eine starke Minderheit, machte die Haltung zu einem möglichen Kabinett unter Cuno aber hiervon unabhängig. Cuno bildete daraufhin sein Kabinett vor allem aus Mitgliedern der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft. Am 21. 11. gegen Mitternacht war die Kabinettsliste fertig. Die offiziellen Ernennungen der RM erfolgten am 22. 11. Vom RT wird dem Kabinett am 25. 11. in sehr allgemeiner Form das Vertrauen ausgesprochen: Dem Antrag der DDP, „der RT hat die Erklärung der RReg. zur Kenntnis genommen und gebilligt, daß sie die Note vom 13. November dieses Jahres zur Grundlage ihrer Politik machen will“, stimmen DNVP, DVP, BVP, Zentrum, DDP und SPD zu.

Reichskanzler Dr. Wirth führte aus, daß einer guten alten Sitte entsprechend die abgehenden Minister mit den neuen Ministern sich zu einer kurzen Besprechung vereinigten. Er wolle seinen bisherigen Kollegen den herzlichsten Dank für ihre Mitarbeit im Dienste des Reiches sagen. Es sei eine harte Zeit gewesen. Man habe nicht mit der Muße wie früher vor dem Kriege arbeiten und in Ruhe und in Besonnenheit seine Arbeiten erledigen können. Er möchte wünschen, daß die Zeit bald herankomme, die einen solchen Dienst ermögliche. Die Zeit[2] sei hart gewesen; dauernd habe man unter Druck gestanden, sowohl in inner- wie in außenpolitischer Hinsicht. Die Scheidenden würden am besten abschätzen können, welche Arbeit die neuen Herren erwarte. Er habe das Bedürfnis, allen seinen bisherigen Kollegen herzlichst zu danken für die hingebende Arbeit. Dieser Dank gebühre auch dem scheidenden Staatssekretär und den Beamten der Reichskanzlei, die sich glänzend bewährt hätten und auf die man sich unbedingt verlassen könne. Dies gelte für den Bürodirektor und das ganze Personal, dem er nur das beste Zeugnis ausstellen könne.

Die Arbeit sei dem Vaterland und der Nation gewidmet gewesen. Bei allen Nöten hätte man das Wohl des Vaterlandes im Auge gehabt. Leider hätten nicht alle geglaubt, daß dies der Fall sei. Nach einem verlorenen Kriege sei es notwendig, bisweilen einen Schalmeiton anzuschlagen, den manche Kreise nicht verstanden hätten. Es hätte gegolten, die Kräfte zu wecken und in den Dienst des Volkes zu stellen. Der Tag des Ultimatums2 und die folgenden hätten die Gefahr einer Zerschmetterung des Reichs gebracht. Die Aussprache in Genua mit Lloyd George hätte ergeben, daß, wenn die eingeschlagene Politik des letzten Jahres nicht gemacht worden wäre, Deutschland in Stücke zerrissen worden wäre3. So berechtigt auch die Kritik sei, so sei doch die Einheit des Vaterlandes erhalten geblieben.

2

Londoner Ultimatum der Alliierten vom 5.5.21 (Text in RT-Drucks. Nr. 1979, Bd. 367 ).

3

Anläßlich der Konferenz von Genua waren Wirth und Lloyd George am 18. Mai 1922 zu einer Besprechung zusammengekommen, über die Wirth am selben Tag telegrafisch an den RPräs. nach Berlin berichtete: „Ll. George […] äußerte sich auch über unsere bisherige Politik der Erfüllung und Leistungen. ‚Hätten Sie das nicht getan, was Sie tatsächlich in diesem und letzten Jahre getan haben, so wäre Deutschland in Stücke zerrissen‘, führte er mehrmals wörtlich aus.“ (Telegramm Nr. 345 im AA Büro RM 5 h, Genua Bd. 3). In einer sechsseitigen Aufzeichnung gibt Botschaftsrat Dufour die entsprechenden Äußerungen Lloyd Georges wie folgt wieder: „Ganz besonders möchte er aber betonen (dies wiederholte er mehrere Male in verschiedenen Variationen), daß allein die sogenannte Erfüllungspolitik der jetzigen Deutschen Regierung imstande gewesen sei, das Deutsche Reich zusammenzuhalten. Wäre die Politik der Ablehnung befolgt worden, wie sie von manchen deutschen Persönlichkeiten und politischen Parteien propagiert werde, so wäre Deutschland schon längst zerfallen. Wenn er sage, Deutschland könne sich aus der sorgenvollen Situation, in der es sich befindet, nur durch weitere Befolgung seiner jetzigen Politik retten, so sage er dies besonders im Interesse Deutschlands, aber auch im Interesse der Befriedigung ganz Europas.“ (AA Büro RM 5 h adh. 2, Genua Bd. 2 Tagebuch).

Er möchte noch einmal in diesem Kreise den Gedanken betonen, daß sie alle nationale Arbeit geleistet hätten. Er begrüße die neuen Herren Minister in diesem Saale, die nicht Sehnsucht nach Ministersesseln hierher geführt hätte, sondern der opferfreudige Wille, ihre Dienste der Rettung der deutschen Nation zur Verfügung zu stellen. Nicht alle Wirtschaftler seien der Aufforderung gefolgt4. Auch in diesem Raume seien unter seiner Leitung viele Gespräche geführt worden, um die Hilfe der Industrie zu erreichen. Er bäte nicht zu verzagen, sondern mutig den Weg zu beschreiten und wünsche ihnen besten Erfolg. Es sei klar, daß schwere Zeiten über unser Vaterland den Winter über kommen würden. Indem er ihnen den besten Erfolg für ihre Arbeit wünsche, betone er, daß, soweit es an den Scheidenden liege, sie die Arbeit mit Gewissenhaftigkeit und der gebotenen Objektivität verfolgen würden.

4

Pressemeldungen zufolge war Cuno bemüht gewesen, führende Wirtschaftler in sein Kabinett zu berufen. Dabei war u. a. der Dir. der Deutschen Werke, Henrich, als RWiM bzw. RVM genannt worden.

[3] Reichskanzler Dr. Cuno dankte dem Reichskanzler Dr. Wirth für seine Worte und insbesondere für die Worte am Schlusse seiner Ausführungen. Die Arbeit des neuen Kabinetts müsse mehr denn je anknüpfend an die Arbeit des alten fortgeführt werden. Es sei ihm ein Bedürfnis, den ersten Akt des neuen Kabinetts zusammen mit dem alten vorzunehmen. Dies entspräche nicht nur einer äußeren Form, sondern folge auch aus dem sachlichen Zusammenhange und aus der gemeinsamen Auffassung auf dem Gebiete der inneren und äußeren Politik. Namens der neuen Mitglieder danke er den alten Mitgliedern aufrichtigen Herzens und offen für die dem Volke und dem Vaterland geleistete Arbeit. Es sei ein Schicksal der Kabinette des neuen Deutschlands, daß ihre Arbeit nach außen und innen eine verschiedene sei. Wenn man an den Winter denke, so würde man vielleicht Maßnahmen treffen müssen, die vom deutschen Volke vielleicht anders bewertet werden würden als sie sachlich seien. Alles, was sie tun würden, würden sie leisten in demselben Geiste, der bisher obgewaltet habe, dem Geiste der Arbeit und der Hingabe bis zum äußersten an Volk und Vaterland. Er hoffe, daß sie, gestärkt durch die vorhin zugesagte Unterstützung, die Arbeit fortführen würden, um die innen- und außenpolitisch uns drohenden Gefahren zu beseitigen und Volk und Vaterland in Einheit ruhigeren Zeiten entgegenzuführen.

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