2.114 (cun1p): Nr. 114 Staatssekretär Brugger an den Reichskanzler. 4. April 1923

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[361]Nr. 114
Staatssekretär Brugger an den Reichskanzler. 4. April 1923

R 43 I /159 , S. 151-154

[Betrifft: Reise des päpstlichen Legaten Testa durch die besetzten Gebiete]

Geheim!

Die durch die Presse bekanntgewordene Nachricht, daß der von der Kurie zur Bereisung des besetzten Gebiets abgesandte Prälat Monsignore Testa in Köln eingetroffen sei, veranlaßte mich, am Gründonnerstag [29. 3.] bei dem Herrn Kardinalerzbischof Dr. Schulte vorzusprechen. Der Herr Kardinal bemerkte gleich beim Eingange der Unterredung, daß Testa den Auftrag habe, auch das Saargebiet zu besuchen, daß er vom besten Willen beseelt sei, auch anscheinend stärkere Sympathien für Deutschland hege als gegenüber Frankreich, aber doch noch unerfahren erscheine. Es handele sich ja auch um die erste ihm übertragene Mission. Testa habe sich ihm gegenüber voller Vertrauen gezeigt und gebeten, wie ein Sohn ihm gegenübertreten zu dürfen. Auffallend sei die außerordentlich große Vorsicht, die er bei Behandlung der Probleme zutage treten lasse, eine Vorsicht, die nahezu als Ängstlichkeit erscheint, dies alles, um nur nicht den Vorwurf der Parteilichkeit sich zuzuziehen. Er, der Kardinal, habe Veranlassung genommen, ihn darauf hinzuweisen, daß er doch in Deutschland reise und daß deshalb sein Besuch in erster Linie den deutschen Behörden zu gelten habe, falls er solche Besuche überhaupt mache. In Koblenz habe er dem Reichskommissar und auch Tirard einen Besuch abgestattet1. Testa habe beabsichtigt, für die Dauer seiner Sendung in Düsseldorf Wohnung zu nehmen und von dort aus das Ruhrgebiet zu bereisen. Er habe ihm darauf empfohlen, sich in den Mittelpunkt des Ruhrgebiets nach Essen zu begeben und habe ihm zu diesem Zweck im dortigen Elisabeth-Krankenhaus Quartier verschafft. Die Geistlichkeit sei verständigt, daß sie Testa von sich aus Besuche mache und ihm gewisse Persönlichkeiten zuführe, die unter der Besetzung und ihren Folgen besonders litten. So habe er hierfür beispielsweise die Frau des Bürgermeisters Schaefer von Essen (Tochter des früheren Oberlandesgerichtspräsidenten Morkramer in Köln), ebenso die Gattin des Bürgermeisters Dr. Bauer aus Bottrop bezeichnet2.

1

Demgegenüber hatte RegPräs. Grützner am 1. 4. über eine Besprechung mit Testa in Münster berichtet: „Monsignore Testa brachte ferner vor, daß er zu seinem Bedauern nicht in der Lage gewesen sei, in Koblenz dem RKom. Fürsten Hatzfeld seinen Besuch zu machen, was natürlich seine Absicht gewesen sei; die Franzosen hätten ihn dort derart mit Beschlag belegt, daß er einfach nicht zu dem beabsichtigten Besuch gekommen sei (in Koblenz befanden sich um den Prälaten ständig die Herren Tirard, General Fournier und ein Baron Borneval).“ (R 43 I /212 , Bl. 223-225).

2

Lt. Bericht Grützners vom 1. 4. hatten er und OPräs. Gronowski Testa über die schweren Leiden der Bevölkerung an der Ruhr und im altbesetzten Gebiet informiert und dabei „die Handlungsweise der Franzosen und Belgier als eines Kulturvolkes unwürdig“ bezeichnet. Insbesondere sprachen sie die Frage der Gefangenenbehandlung an und verwiesen auf „die schmachvolle Behandlung, die der Bgm. Schäfer und der OB Havenstein im Gefängnis in Zweibrücken erdulden.“ (R 43 I /212 , Bl. 223-225).

[362] Man müsse damit rechnen, daß die französische Besatzungsbehörde alles versuchen werde, um Testa für sich zu gewinnen. Testa selbst habe schon die Wahrnehmung gemacht, daß deutsche Persönlichkeiten ihm mit größter Ruhe gegenüberträten, während von Seiten der Franzosen viele Worte gemacht und eine bestechende Liebenswürdigkeit entfaltet werde. Er – der Kardinal – halte es für zweckmäßig, Testa gewähren zu lassen und nicht allzusehr auf ihn einzuwirken. Er werde über das Verhalten Testas fortlaufend unterrichtet3. Als ich darauf hinwies, daß Testa, nachdem er seinen ersten Besuch bei dem Präsidenten der französischen Republik in Paris abgestattet habe, wohl nicht umhin könne, auch bei der Spitze der Berliner Regierung vorzusprechen, meinte der Kardinal, daß Testa sich hierüber noch nicht geäußert und daß er – der Kardinal – vorläufig davon abgesehen habe, eine Anregung in diesem Sinne zu geben, weil er ihm schon eine Reihe von Ratschlägen erteilt habe und ein Zuviel vermeiden wolle. Er werde den Besuch der Berliner Regierung im Auge behalten4.

3

Bei der Besprechung in Münster am 1. 4. hatte Testa die dt. Herren (Gronowski, Grützner, Prälat Brüning und Kanonikus Bierbaum) gefragt, „ob nach ihrer Ansicht die Möglichkeit von Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland bestände. OPräs. Gronowski antwortete mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß er nur für seine Person spreche, etwa in dem Sinne, daß er persönlich das Wort ‚Es könne erst verhandelt werden, wenn der letzte Franzose abgerückt sei‘ nicht buchstäblich aufgefaßt wissen wolle. Hierauf erwiderte Monsignore Testa: ‚Der Kurie werde es nicht möglich sein, unmittelbar auf Frankreich einzuwirken.‘ Darauf empfahl RegPräs. Grützner, die Kurie möge versuchen, auf England einzuwirken, damit dieses seinerseits Frankreich verhandlungsgeneigter mache. Der päpstliche Delegat antwortete: ‚Die Kurie könne einen direkten Einfluß auf England deshalb kaum ausüben, weil beträchtliche Teile des englischen Volkes der Kurie feindlich gesinnt seien.‘ Er ließ durchblicken, daß der nach seiner Ansicht richtigere Weg sei, wenn die Kurie eine Einwirkung auf die Vereinigten Staaten versuchen würde.“ (Bericht Grützners in R 43 I /212 , Bl. 223-225).

4

Am 9. 4. berichtet der Verbindungsmann des AA, Konsul Immelen, aus Essen: „Der päpstliche Delegierte Testa wird vermutlich Anfang nächster Woche nach Berlin kommen, um den RK, den RM [v. Rosenberg], den Abg. Kaas, Stegerwald und den früheren RK Wirth zu sprechen.“ (R 43 I /159 , S. 155 f.). Weitere Angaben über Besprechungen in Berlin waren in R 43 I nicht zu ermitteln.

Testa werde nach seinen Absichten in etwa 14 Tagen wieder nach Rom zurückkehren. Er, der Kardinal, habe aus diesem Grunde seine Romreise vorläufig aufgeschoben, damit er unmittelbar nach der Rückkehr Testas in der Lage sei, etwaige Irrtümer bei der Kurie in Rom aufzuklären und richtigstellen zu können5.

5

Testa wird dann vom Vatikan erneut ins bes. Geb. entsandt, doch findet sich über seine spätere Aktivität in den Akten der Rkei lediglich ein fünfseitiger Bericht des katholischen Arbeitersekretärs Elfes, der Testa am 12. 7. ein Schreiben der katholischen Arbeiter an den Papst übergibt und zusammen mit anderen Arbeiterfunktionären eine längere Besprechung mit Testa führt. Am 16. 7. berichtet Elfes an Adenauer, Testa habe keinerlei Verständnis für die Not der katholischen Arbeiterschaft im bes. Geb. gezeigt und einseitig den frz. Standpunkt vertreten (R 43 I /214 , Bl. 273-281). Adenauer sendet den Bericht Elfes‘ am 10. 8. an den RK mit dem Bemerken, daß er diese Niederschrift durch einen deutsch-freundlichen Kardinal in Rom dem Papst vorlegen lassen wolle (R 43 I /214 , Bl. 271 f.).

Der Kardinal zeigte sich am Schlusse der Unterredung sehr dankbar und befriedigt von der Mitteilung, daß seitens des Reichs für die Hilfsgeistlichen in der Rheinprovinz der Betrag von 500 Millionen zur Verfügung gestellt worden sei.

Ich darf im Anschluß hieran einiges über die Rolle bemerken, die der[363] französische Armeebischof in Mainz, Monsignore Rémond, spielt. Rémond hat den Krieg als Offizier mitgemacht, war Batteriechef und hat es bis zum Major gebracht. Er gehört zu dem militärisch-nationalistischen Kreise der Generäle de Metz und Weygand, zu denen er die besten Beziehungen unterhält. Nach einer mir von geistlicher Seite gemachten zuverlässigen Mitteilung ist Rémond der eigentliche Botschafter Frankreichs beim Vatikan, wo er jeden Augenblick auftaucht. Jonnart trete ihm gegenüber ganz zurück. Mit großer Beharrlichkeit betreibe Rémond die kirchliche Abtrennung des Saargebiets von der Diözese Trier. Er hat sich nicht gescheut, vor einiger Zeit einen französischen Lehrorden zur Unterrichtserteilung in das Saargebiet zu berufen, ohne mit dem Bischof von Trier irgendwie Fühlung zu nehmen. Er ist dieserhalb auch in Rom rektifiziert worden. Auch der Pfarrgeistlichkeit gegenüber benimmt er sich in einer den kirchlichen Vorschriften widersprechenden Weise. So hat er in der Pfarrkirche in Ludwigshafen kirchliche Handlungen vorgenommen, ohne dem Pfarrer als rector ecclesiae einen Besuch zu machen. Gegenüber dieser Wirksamkeit Rémonds ist es naturgemäß von größter Bedeutung, daß die deutschen Bischöfe öfters als bisher persönlich bei der Kurie erscheinen oder sich durch Vertrauenspersonen unterrichten lassen können.

Brugger

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