2.57 (cun1p): Nr. 57 Vermerk des Staatssekretärs Hamm über ein Telefonat mit dem bayerischen Handelsminister. 26. Januar 1923, 14 Uhr

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Nr. 57
Vermerk des Staatssekretärs Hamm über ein Telefonat mit dem bayerischen Handelsminister. 26. Januar 1923, 14 Uhr

R 43 I /2714 , Bl. 31 Abschrift1

1

Abschriften gehen lt. Verteiler an den RK, den RWeM und RIM.

Der Bayerische Handelsminister Exzellenz Meinel telefoniert mir eben:

Der Bayerische Ministerrat wird in dieser Stunde den Ausnahmezustand verkünden, weil die Nationalsozialisten, deren Versammlungen und Umzüge unter freiem Himmel für Samstag bis Montag [27. – 29. 1.] verboten waren, mit Gewalt drohten. Sie erklärten, es werde die rote Welle kommen, die Regierung werde weggefegt werden. Die Regierung wird aufgrund des Belagerungszustandes auch solche Versammlungen verbieten, die sonst gestattet werden und muß natürlich auch anderen Parteien nun Versammlungen verwehren2. Man hofft, daß den Nationalsozialisten es nicht gelingen wird, die Massen aufzurütteln. Sollte es aber hart auf hart kommen, so will man es lieber heute darauf ankommen lassen als später. Man hat mit dem Landeskommandanten, General v. Lossow, Fühlung genommen3. Auch die Herren anderer Kreise, die[199] für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung von Wichtigkeit sind, gaben beruhigende Zusicherungen. So erklärt der Bund ‚Bayern und Reich‘ und Oberst Lenz für die ehemaligen Zeitfreiwilligen, daß sie rückhaltlos hinter der Regierung stünden. Regierungspräsident von Kahr ist eben in den Ministerrat berufen worden und wird sich dort zu erklären haben.

2

Wortlaut der bayer. VO vom 26. 1. in RT-Drucks. Nr. 5538, Bd. 376 . Trotz des generellen Verbotes öffentlicher Versammlungen und Umzüge unter freiem Himmel konzedierte der Münchener Polizeipräs. Nortz den Nationalsozialisten die Abhaltung von sechs Massenversammlungen; doch hielt die NSDAP über diese Vereinbarung hinaus Versammlungen und Umzüge ab. v. Haniel berichtet der Rkei über den Verlauf der kritischen Tage unter Beifügung verschiedener Presseauszüge am 28., 29. und 31. 1. (R 43 I /2232 ).

3

Auf das Verhalten der Reichswehr geht Geßler in einem Schreiben an v. Knilling vom 2. 2. ein: „Die Vorgänge in München aus Anlaß des nationalsozialistischen Parteitages sind hier vielfach besprochen worden. Dabei wurde mir gegenüber wiederholt zum Ausdruck gebracht, die bayerische Regierung hätte unter dem Eindruck gestanden, die Reichswehrtruppen seien nicht so fest in der Hand ihrer Führer, daß sie ohne Gefahr der Belastung eines bewaffneten Vorgehens zur Aufrechterhaltung der Regierungsanordnungen ausgesetzt werden können. Durch diesen Umstand sei die bayerische Regierung in ihren letzten Entschließungen wesentlich beeinflußt worden. […] Euer Exzellenz würden mich zu ganz besonderem Danke verpflichten, wenn Euer Exzellenz hierzu Stellung nehmen und mir mitteilen würden, ob in der Tat die Haltung der Truppen oder die Stellungnahme der Führung berechtigten Anlaß ergeben haben, an ihrer Zuverlässigkeit und Pflichterfüllung zu zweifeln.“ (R 43 I /685 , Bl. 11). In einem als „streng vertraulich“ gekennzeichneten Handschreiben hatte v. Preger den RWeM am 28. 1. aus München darüber informiert, „daß die Reichswehr zwar fest in der Hand ihrer Führer nach links, nicht aber nach rechts ist. Sehr weich die scheinbar widerspruchsvolle und schwächliche Haltung der bayerischen Regierung. Aufgrund Vorbesprechungen mit v. Lossow, Seißer, die vollkommen mit der Regierung einverstanden waren, wurde Freitag [26. 1.] vorm. der Belagerungszustand verhängt mit dem ausgesprochenen Ziel, alle nationalsoz. Versammlungen aus Anlaß des Parteitags zu verbieten. Am Nachm. kam Lossow zu Nortz und Knilling, um ihm mitzuteilen, daß Hitler bei ihm gewesen sei und ihm versprochen habe, nichts gegen die Regierung zu unternehmen, und daß es daher doch vielleicht richtig sei, nicht so scharfe Seiten gegen ihn aufzuziehen, zumal er (Lossow) aufgrund einer Besprechung mit seinen Unterführern der Truppen nicht absolut sicher sei. Daraufhin ließ Nortz – ohne Wissen von Schweyer – die 12 Versammlungen zu, die dann auch ohne Störung verliefen. Man sagte sich, daß man Blutvergießen, zu dem es beim Verbot der Versammlungen vermutlich gekommen wäre, bei den gegenwärtigen gespannten Verhältnissen unter allen Umständen vermeiden müsse; er wollte auch die Gefahr nicht heraufbeschwören, daß die Truppen (Landespolizei und Reichswehr) unter Umständen den Gehorsam versagen würden, wenn es hart auf hart ginge. Es entsteht nun der falsche Eindruck, daß die Regierung vor Hitler zurückgewichen ist, dann, daß man den Belagerungszustand zwar nach rechts erklärt, aber nach links angewandt habe, da die für Freitag abend anberaumten sozialistischen Versammlungen infolge der Erklärung des Ausnahmezustandes nicht mehr abgehalten werden konnten.“ (Nachlaß Geßler  im BA, Nr. 18 Einzelne Schriftwechsel). Konkrete Anklagen gegen die Reichswehr erhebt der SPD-Abg. Auer in der Landtagsdebatte vom 1. 2. (Bericht der Bayer. Staatszeitung in R 43 I /2232 , S. 130). Eine Antwort v. Knillings an den RWeM war in R 43 I nicht zu ermitteln. Wahrscheinlich dürfte diese Frage anläßlich des Besuchs des bayer. Min.Präs. in Berlin am 19. 2. mündlich behandelt worden sein. Über diesen Besuch v. Knillings fehlen im übrigen nähere Angaben; v. Haniel übersendet lediglich einige bayer. Pressestimmen, in denen das Vertrauensverhältnis zwischen Cuno und v. Knilling besonders betont wird. Am 26. 2. berichtet v. Haniel über Gerüchte, „daß in Berlin zwischen dem bayerischen MinPräs. und der RReg., insbesondere dem RWeM vereinbart worden sei, daß die Reichswehr in Bayern verstärkt, dagegen seitens der Bayerischen Regierung schärfer gegen die Selbstschutzorganisationen vorgegangen würde.“ (R 43 I /2217 , Bl. 56).

Es wird ein kurzer Aufruf erscheinen, daß in dieser Zeit vaterländische Not Dinge unterdrückt werden müssen, die dazu führen können, daß Deutsche wider Deutsche kämpfen. Nachdem der Regierung mit Gewalt gedroht wurde, müssen die äußersten Mittel zur Aufrechterhaltung der Staatsautorität eingesetzt werden4. Den Ententekommissionen wurde nahegelegt, über die drei Tage einen Ausflug zu machen. Der Führer erklärte, er sei Militär und warte die Befehle seiner Vorgesetzten ab. Der Tumult im und am Hotel Grünwald war von drei Hundertschaften der Nationalisten veranstaltet worden5.

4

Der entspr. Aufruf des Bayer. StMin. wurde zugleich mit der Ausnahmeverordnung in der Presse veröffentlicht, von v. Haniel der Rkei am 28. 1. zugesandt (R 43 I /2232 , S. 109).

5

Darüber berichtet v. Haniel in einem zweiten Schreiben vom 26. 1.: „In der Nacht vom 24. zum 25. d. Mts. ist es in München zu erheblichen Ausschreitungen gekommen. Anläßlich der Rückkehr des aus der Pfalz ausgewiesenen RegPräs. v. Chlingensperg hatte sich am Hauptbahnhof eine vieltausendköpfige Menge angesammelt, welche dem Präsidenten stürmische Ovationen darbrachte. Ein Teil der Demonstranten zog nachher zum Hotel Grünwald, wo einem Gerücht zufolge Mitglieder der Entente-Kommission beherbergt und verpflegt werden sollten. Die Menge durchbrach den Polizeischutz und verwüstete den Speisesaal des Hotels.“ (R 43 I /2232 , S. 87).

Die Landtagsparteien sind verständigt und stimmen der Resolution zu6.

6

Die Haltung der Parteien zur Ausnahmeverordnung ergibt sich aus der Debatte im Haushaltsausschuß des LT am 1. 2. Hier gibt MinPräs. v. Knilling eine ausführliche Darstellung der Ereignisse und erklärt den Erlaß der VO als eine notwendige Maßnahme zur Wahrung der Staatsautorität. Die Konzessionen des Münchener Polizeipräs. und das darüber hinausgehende Verhalten der Nationalsozialisten habe zwar den Eindruck erwecken können, als habe Hitler auf der ganzen Linie über die Staatsgewalt triumphiert, tatsächlich aber wurde „durch den Ausnahmezustand immerhin eine recht erhebliche Einschränkung erreicht.“ (Wortprotokoll der Rede v. Knillings in der ‚Bayer. Staatszeitung‘ vom 1. 2. in R 43 I /2232 , S. 130). In der Aussprache kritisiert die SPD: „Der Ausnahmezustand war nicht notwendig, weil die vorhandenen Gesetze ausgereicht hätten, um die drohende Gefahr abzuwehren. Ist aber einmal der Ausnahmezustand verhängt, dann muß jede Regierung ihn auch nach jeder Seite hin durchführen. In Wirklichkeit haben aber die sozialdemokratischen Versammlungen nicht stattfinden können, während die Veranstaltungen derjenigen Gruppe genehmigt wurden, die durch ihre Gewaltandrohungen zum Ausnahmezustand den Anlaß gegeben hat.“ Der Antrag der SPD auf sofortige Aufhebung der VO wird abgelehnt, doch sichert v. Knilling zu: „Die Regierung wird von sich aus, sobald sie es verantworten zu können glaubt, den Ausnahmezustand wieder aufheben.“ (R 43 I /2232 , S. 130 f.). Am 5. 2. hebt das StMin. die VO mit Wirkung vom 6. 2. auf (RT-Drucks. Nr. 5549, Bd. 376 ).

gez. Hamm

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