2.190.1 (feh1p): Londoner Verhandlungen.

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Londoner Verhandlungen.

Löbe teilt mit, daß man mit Rücksicht auf die heutige Geschäftsordnungsdebatte[511] im Reichstag um eine Regierungserklärung nicht herumkomme1. Fehrenbach: Was Sorge anlangt, daß Verhandlungen in London zum Resultat kommen gegen den Willen der Volksvertreter, so dies ausgeschlossen. Verhandlungen nicht definitiv von Delegation geführt. Genehmigung hier vorbehalten. Kabinett Verantwortung nicht tragen ohne Zustimmung gesetzgebender Faktoren. In weiten Kreisen Nervosität, geschürt durch Pressevertreter und Agenten der ausländischen Länder. Nicht alle Abgeordneten immun. Gegenwärtig nichts nötiger als kaltes Blut. Was soll Regierung erklären? Feststeht, 1. daß Delegation von London vor nächstem Montag nicht abreist2, 2. daß Pariser Vorschläge nicht unterschrieben werden. Weitere Mitteilung zur Zeit nicht möglich, weil sonst die zur Zeit schwebenden Verhandlungen gefährdet werden können. Kein Parlament der Welt leistet sich unter solchen Umständen eine Verhandlung in der Öffentlichkeit. Besteht Garantie, daß, wenn morgen an diese Erklärung eine Debatte geknüpft wird, sich daraus nicht eine große Gefahr entwickelt? Für Regierung nicht gut möglich, Erklärung abzugeben. Wenn Sitzung nicht aufzuheben, evtl. durch Reichstagspräsident Abgabe einer Erklärung genügend. Müller: Lauf der Verhandlungen hat im Lande Unruhe hervorgerufen. Reichstag steht unter Eindruck geschickter Rede Lloyd Georges. Verlangt Informationen über Vorgehen der Regierung, insbesondere seine Fraktion. Regierung würde in eigenem Interesse handeln, wenn sie auseinandersetze, wie sie sich Gang der Verhandlungen denkt. Fraktion weiß, daß Differenzen vorhanden, aber erklärt Ausschöpfung letzter Möglichkeiten für nötig. Möglich evtl. Hinausschiebung der Debatte bis Sonntag [6. 3.]. Ohne Benachrichtigung des Parlaments aber Regelung ausgeschlossen. Reichskanzler Fragt sich, ob durch Besprechung der deutschen Sache genützt würde. Befürchtet von einer Kritik nur Schaden und besorgt den Abbruch der Verhandlungen. Löbe: Für Reichstag liegt Sache so, daß am Montagmittag Sanktionen in Kraft treten. Bis dahin würde im Falle einer Aufhebung morgiger Sitzung Reichstag nicht mehr Möglichkeit haben, von sich aus Stellung zu nehmen. Hergt: Reichskanzler hat gesagt, daß ohne Anhörung der Parteien Entscheidung nicht fallen würde. Verlangt daher Mitteilung an die Parteiführer, was vorliegt. Frage, ob die Regierung daran denke, einen gleichwertigen Vorschlag zu machen oder aber am Montag keinen Gegenvorschlag zu überreichen. Reichskanzler mitteilt Ergebnis der Besprechung mit den[512] Sachverständigen über die Wirkung der Sanktionen, auf die er im einzelnen hinweist3. Müller bittet Reichskanzler, Parteien doch genau zu informieren. Weist darauf hin, daß es fern liege, die Sitzung auszunützen zwecks Rügens des Ministers Simons. Positiv müsse aber etwas geschehen. Fragt sich, ob nicht Regierung in der Lage, gegen die Ausführungen Lloyd Georges zu polemisieren, die in der Welt nicht unwidersprochen bleiben dürften. Delegation brauche dadurch nicht in den Rücken gefallen zu werden. Frage des Wiederaufbaues sollte eingehend behandelt werden. Bittet um Mitteilung unseres Vorschlages. Reichskanzler berichtigt frühere Ausführungen, daß er nicht gesagt habe, auf unserem Vorschlage bestehen zu bleiben, sondern nur, daß man im Rahmen unseres Vorschlages bleiben werde. Evtl. würde man Provisorium vorschlagen. Heinze ist der Auffassung, daß Regierung keine Erklärung abgeben soll, weil die Verhandlungen in London dadurch gestört werden könnten. Wenn Reichskanzler Erklärung abgeben soll, so Gefahr, daß von hier aus Atmosphäre in London gestört wird. Genaue Übersicht über dortige Situation hier unmöglich. Weiß, daß Verhandlungsart Simons’ vielfach nicht gebilligt wird, daß er insbesondere die Schuld am Kriege hätte ablehnen4, die Verstöße auf der anderen Seite hätte wägen und insbesondere auf den Rechtsbruch hätte aufmerksam machen sollen. Darin der Auffassung, daß Simons dies schon getan hätte, wenn er dies als zweckmäßig erachtet hätte. Verhandlungen können nur von London aus einheitlich geführt werden. Bittet, die Angelegenheit zu überlegen, und warnt dringend vor einer Kritik. Helfferich: In dieser Situation nicht in Frage Rücksichtnahme auf den Reichstag, sondern wie am besten der Sache in London gedient werden kann. Wenn Aussprache im Reichstag dazu dienen könnte, Position der Alliierten zu stärken, unsere zu schwächen, so muß Tagung des Reichstags verhütet werden. Beurteilung abhängt von konkreten Voraussetzungen, welche Instruktion an Simons gegeben ist und was die Regierung vorhat. Weiß nicht, ob Reichskanzler heute konkrete Mitteilung machen kann. Kann er es, so muß er fragen, wohin die Reise geht. Kommt es zum Abbruch, so ist auf möglichst günstige Stellung gegenüber Amerika und Neutralen Rücksicht zu nehmen. Frage: Wie weit kann Reichstag da mitwirken? Reichskanzler erklärt sich bereit, heute eingegangenes Telegramm zu verlesen, obwohl er damit Kabinettsbeschluß überschreitet5. Bittet um strengste Diskretion auch den Fraktionen gegenüber, was von sämtlichen Mitgliedern zugesagt wurde. Reichskanzler verliest darauf das Telegramm. Erklärt weiter, daß es schwer sei für die Regierung, jetzt Weisungen zu erteilen. Verhandlung kann geführt werden auf Basis der Jahresbeträge, Vorleistungen, Besserungsschein usw. Kabinett entschlossen, an Simons zu telegraphieren, daß es mit mitgeteilten Richtlinien einverstanden sei. Schiffer: Jetzt klare Stellung möglich. Offenbar Absicht, Verhandlungen nicht zum Abbruch kommen zu lassen. Pariser Diktat nicht unterzeichnen, aber Möglichkeit, Zusage im Rahmen unserer Vorschläge zu machen,[513] z. B. durch Zusage wegen Besserungsscheines. Reichskanzler bestätigt, daß Abänderung der Vorschläge stattgefunden nur bezüglich des Besserungsscheins mit Rücksicht auf Mitteilung des deutschen Botschafters in London über angeblich günstige Lage6. Schiffer: Besserungsschein wichtig. Damit Möglichkeit zur Fortführung der Verhandlungen gegeben. Hiernach klar, was Regierung tun will. Verhandlung im Reichstag an sich unerwünscht. Anderseits nicht zu schwarz urteilen. Bei Besprechung im Ältestenrat auch von Kommunisten geantwortet, daß sie Annahme Pariser Vorschläge ablehnen. Ist der Auffassung, daß daher Sitzung stattfinden soll. Glaubt aber Verhalten darauf richten zu sollen, daß keine Nachteile entstehen. Schlägt deshalb vor, Kritik zu unterlassen und im übrigen ein Vertrauensvotum zu geben, daß Verhandlungen so geführt seien, wie es richtig und angemessen sei. Am besten Einigung der heute anwesenden Parteien auf eine gemeinsame Erklärung. Wels betont die Unmöglichkeit, an einer Debatte vorbeizukommen. Schlägt deshalb vor, daß Regierung die Führung in die Hand nimmt und gegen Lloyd George polemisiert. Neigt der Auffassung zu, daß Instruktion an Simons dahin lauten müsse, daß auch Verhandlungen auf Grund der Pariser Bestimmungen nicht abgelehnt werden sollen, indem man auf die Berührungspunkte hinweise. Empfiehlt mit Rücksicht auf die unendlich vielen Deputationen, die zu den Reichstagsmitgliedern kämen, eine Regierungserklärung. Stresemann: Provisorium sei unerträglicher Zustand. Simons selbst habe s. Zt. Bedenken dagegen gehabt. Hat mit Führern deutscher Bank- und Schiffahrtswelt gesprochen, die der Meinung sind, daß die Sanktionen auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten seien. Entente sei selber unklar, ob auf diesem Wege etwas erreichbar sei. Er sei einverstanden mit neuem Vorschlag, der innerhalb der Grenzen bleibe. Bereitwilligkeit Deutschlands zum Wiederaufbau müsse energisch betont und in die Welt hinausposaunt werden. Ob Simons in London zu einer Erklärung komme, sei zweifelhaft. Deshalb richtig, wenn Reichstag Schuldfrage, Wiederaufbau usw. erörtere; wünschten keinen Abbruch, seien bereit, zu verhandeln und bis an die Grenzen [zu gehen]. Über Formen des Vorgehens im Reichstag müsse eine Vereinbarung getroffen werden. Vorschlag eines Vertrauensvotums, über dessen Formen man sich verständigen müsse, sei akzeptabel. Müller: Regie schwierig, aber Verhandlungen am 2. Februar beweisen, daß zu machen7. Auch von seiner Seite scharfe Kritik an dem Verhandlungsmodus angemeldet. Aber verfehlt, jetzt kritische Bedenken zu äußern. Vorschlägt Betonung Wiederaufbauproblems. Sieht weitere Verhandlungsmöglichkeit im Besserungsschein und in den Vorleistungen. Parteien würden beruhigt, wenn sie Gewißheit hätten, daß Möglichkeit einer Brücke bestünde. Vorgeschlagenes Vertrauensvotum würde sehr schwer zu bekommen sein, weil kritische Stimmung sehr groß sei. Bittet daher, daß Reichskanzler Erklärung vor Reichstag abgibt. Spahn: Windthorst seinerzeit Rat erteilt, in derartigen[514] Situationen nicht zu reden, weil Verhandlungen des Unterhändlers erschwert werden könnten. Bittet in erster Linie, nicht zu verhandeln. Falls dies nicht möglich, dann sich über Form einer Erklärung zu einigen. Reichskanzler weist darauf hin, daß bei Erwiderung auf die Rede Lloyd Georges auch die Schuldfrage erörtert werden müßte. Gefährliches Kapitel. Wegen Betonung der Wiederaufbaubereitschaft habe Simons Weisung, desgleichen wegen der Steuerfragen. Hergt warnt vor Provisorium. Bittet nachträglich Mitteilung an Simons, daß ernste Bedenken bei Parteiführern wegen Provisorium vorliegen. Hat an Reichstagssitzung kein Interesse. Wenn sie gewünscht, so auch wichtige Gründe dafür. Frage des Vertrauensvotums wegen zurückhaltender Stellung der Sozialdemokratie erledigt. Bereit, Reden aus seiner Partei in Einklang mit den übrigen zu bringen. Brauns hält es für ausgeschlossen, daß man sich mit der Rede Lloyd Georges im einzelnen auseinandersetze. Reichstag will etwas hören über Verhalten der Regierung. Große Bedenken. Steht prinzipiell auf dem Standpunkt von Spahn. Wenn nicht anders, dann nur möglich Erklärung in gewissen Grenzen. Heinze: Stimmung im Parlament derartig, daß Verlauf nicht zu übersehen. Schließt sich Spahn an. Sollte doch auf Lloyd George geantwortet werden, so sei Schuldfrage nicht zu umgehen. Würde diese angeschnitten, so schwierige Situation. Leicht teilt Standpunkt von Spahn. Westarp kritisiert einzelne Ausführungen von Lloyd George. Hält es für schwer, von hier aus Wirkung einer Kritik zu beurteilen. Meint, daß letzte Entscheidung beim Reichskanzler liege, ob Sitzung morgen stattfinden solle. Findet eine Sitzung nicht statt, so sei mit einem Krach von Unabhängigen und Kommunisten zu rechnen, der auch so vielleicht unvermeidbar sei. Sollten sie reden, so ginge am besten tunlichst das ganze Haus heraus. Müller glaubt, daß Regie zu finden sei. Eventuell sollte nach der Erklärung des Reichskanzlers eine Vertagung von 2 Stunden stattfinden, damit sich evtl. einige Parteien zu einer Erklärung vereinigen könnten. Hält Fassung für möglich, in der Willen der Regierung zum Ausdruck kommt. Hält es für verfehlt, der Delegation neue Bedingungen aufzuerlegen. Meint, daß sie das Provisorium anbieten solle. Reichskanzler hält Besprechung über Schuldfrage für unzweckmäßig. Vielleicht könnte man sich auf einige Sätze beschränken. Kempkes ist der Auffassung, daß man Rede Lloyd Georges nicht unwidersprochen lassen dürfe. Im übrigen äußerte er Bedenken gegen das Provisorium. Löbe: Sitzung muß anberaumt werden. Schlägt vor, daß Reichskanzler erst nach Geschäftsordnungsdebatte den Saal betritt und dann eine Erklärung abgibt. Eventuell könnte nach der Rede des Reichskanzlers eine Pause stattfinden, so daß die Parteien in der Lage wären, ihre zu machenden Ausführungen in Einklang zu bringen. Helfferich ist dafür, den Verständigungswillen nicht zu stark zu betonen, weil sonst Englands Stellung gestärkt würde. Der Reichskanzler wies zum Schluß auf die Verantwortung hin, die er durch eine Gefährdung der Verhandlungen in London trage. Er komme nicht darüber hinweg, daß mit dieser Möglichkeit zu rechnen sei8.

1

In der RT-Sitzung am Mittag des 4. 3. war es zu Beginn zu einer kurzen Geschäftsordnungsdebatte gekommen. RT-Präs. Löbe hatte zunächst mitgeteilt, daß er sich an die RReg. mit der Frage gewandt habe, ob sie bereits in der Lage sei, dem RT Auskunft über den Stand der Londoner Verhandlungen zu geben. Die RReg., so hatte Löbe erklärt, habe dies verneint. Darauf hatte der Abg. Ledebour (USPD) den Antrag zur Geschäftsordnung gestellt, sofort in eine Debatte über die Londoner Verhandlungen einzutreten; der Abg. Levi (VKPD) hatte den Antrag unterstützt. Bei der anschließenden Abstimmung war der Antrag Ledebours vom RT jedoch abgelehnt worden (RT-Bd. 348, S. 2647 –48). Zum Schluß der RT-Sitzung war es dann noch einmal zu einer lebhaften Debatte gekommen, nachdem RT-Präs. Löbe die von den Alliierten angedrohten Sanktionsmaßnahmen verlesen hatte. Die Sitzung war dann gegen den Widerstand der USPD und VKPD vertagt worden, um den Fraktionen Gelegenheit zur Beratung zu geben (RT-Bd. 348, S. 2652 –53).

2

Am Montag, 7. 3., lief die Frist ab, bis zu der Dtld. nach der Forderung der Alliierten die Pariser Beschlüsse anzunehmen hatte oder aber die Sanktionen würde hinnehmen müssen (Rede Lloyd Georges vom 3.3.1921, RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 165 ).

3

Zu den Besprechungen mit den Sachverständigen s. Dok. Nr. 188, Anm. 11.

4

Dies bezog sich auf die Äußerungen Lloyd Georges zur Kriegsschuldfrage in seiner Rede vom 3. 3. Siehe dazu Dok. Nr. 189, Anm. 7.

5

Zu dem Telegramm des RAM s. Dok. Nr. 189, Anm. 1.

6

Zur Frage des Besserungsscheins auf der Londoner Konferenz s. Dok. Nr. 192, Anm. 4.

7

Gemeint waren die Verhandlungen des RT über die Pariser Beschlüsse der Alliierten vom 2.2.1921, RT-Bd. 347, S. 2309  f. In diesen Verhandlungen hatten zunächst der RAM und dann die Sprecher der Parteien übereinstimmend die Annahme der Pariser Beschlüsse abgelehnt. Auf diese Weise war gleichsam ein Vertrauensvotum für die Regierung zustande gekommen.

8

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 191.

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