2.205.3 (feh1p): Anlage 3

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   Das Kabinett Fehrenbach  Konstantin Fehrenbach Bild 183-R18733Paul Tirard und General Guillaumat Bild 102-01626AOppeln 1921 Bild 146-1985-010-10Bild 119-2303-0019

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[571] Anlage 3

Aufzeichnung

Mit den Botschaftern Englands und Frankreichs in Berlin hatte ich am Donnerstag, den 24. Februar, vor ihrer Abreise nach London Besuche ausgetauscht, bei denen die deutschen Gegenvorschläge zur Sprache kamen. Ich hatte ihnen erklären müssen, daß ich noch nicht in der Lage sei, ihnen irgendwelche vertrauliche Mitteilungen mitzugeben, da das Kabinett seine Entscheidungen noch nicht gefällt habe22. Beide Botschafter baten mich, in London über ihre Mitwirkung zu verfügen, wenn es sich darum handeln würde, vertrauliche Fühlung mit den alliierten Regierungen zu nehmen.

22

Das Kabinett beriet erst am 25. 2. über die dt. Gegenvorschläge; s. dazu Dok. Nr. 181.

Nachdem am Donnerstag, den 3. März, die deutschen Gegenvorschläge zurückgewiesen waren, bat ich Herrn Staatssekretär Schroeder, sich mit Lord D’Abernon23, und Herrn Ministerialdirektor v. Simson, sich mit Herrn Laurent24 in Verbindung zu setzen und, wenn möglich, eine Besprechung zwischen mir und den leitenden Staatsmännern Englands und Frankreichs herbeizuführen. Auch ermächtigte ich die Botschaft, eine Fühlung zwischen dem Staatssekretär Bergmann und dem Privatsekretär des britischen Premiers, Mr. Philip Kerr, herbeizuführen. Lord D’Abernon suchte mich hierauf am Freitag [4. 3.] auf und teilte mir mit, daß Lloyd George mich am Sonnabend [5. 3.] um 10 Uhr bei sich zu sehen wünschte. Die Vereinbarung wurde auf französische Anregung dahin abgeändert, daß eine gemeinsame Besprechung zwischen Lloyd George, Briand und mir am Sonnabend um 10 Uhr im Hause des Ministers des Auswärtigen, Lord Curzon, anberaumt wurde. Der Besprechung sollte außer den Ministern und dem Hauswirt je ein technisch erfahrener Beamter beiwohnen. Die Wahl fiel auf Lord D’Abernon, Minister Loucheur und Staatssekretär Bergmann.

23

Siehe Anlage 1 zu diesem Dok.

24

Siehe Anlage 2 zu diesem Dok.

Zu Beginn der Besprechung legte ich dar, daß die bisherigen Versuche, über einen neuen Gesamtvorschlag wegen der deutschen Reparationsschuld einig zu werden, keine Aussicht auf Erfolg gezeitigt hätten. Wohl sei die Deutsche Regierung bereit zu prüfen, auf welche andere Weise als durch den 12%igen Ausfuhraufschlag die reparationsberechtigten Länder an einer Besserung der deutschen Wirtschaft teilnehmen könnten. Einen bestimmten Vorschlag hierüber selbst zu machen, sei sie aber nicht in der Lage, zumal sie auf Grund der Gutachten der deutschen Sachverständigen25, die der Gegenseite bekannt seien, ehrlicherweise nicht eine Besserung in Aussicht stellen könne, die eine höhere Belastung der späteren Jahre zuließe, als sich aus den ursprünglichen deutschen Gegenvorschlägen ergebe. Wenn die Alliierten ein so viel größeres Vertrauen in die Entwicklung der deutschen Wirtschaft hätten, so wolle die Deutsche Regierung gern mitarbeiten, damit die Mehrerträgnisse für Reparationszwecke nutzbar gemacht werden könnten.

25

Zu den Gutachten der dt. Sachverständigen s. RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 29 –39.

[572] Trotzdem blieben aber die Unterschiede zwischen der Forderung der Alliierten und dem Angebot Deutschlands noch außerordentlich groß. Dies liege einmal in der Erstreckung der gegnerischen Forderungen über 42 Jahre, während wir die Gesamtsumme unserer Schuld auf ihren Gegenwartswert rediskontieren müßten, damit wir die deutschen Vorleistungen in Abzug bringen könnten, sodann aber an dem Gegensatz der Bewertung dieser Vorleistungen26. Über beide Punkte würde man ohne geduldige und sorgfältige Beratungen Sachverständiger, wie sie in Brüssel begonnen worden seien, nicht zur Einigung kommen.

26

Zur Rediskontierung der in den Pariser Vorschlägen vom 29.1.1921 festgesetzten dt. Reparationsschuld und zur Berechnung der dt. Vorleistungen s. Dok. Nr. 181, Anm. 3 und 4.

Unter diesen Umständen erschiene es der deutschen Delegation als einzig mögliches Mittel, um eine Verständigung auf der Londoner Konferenz zu erzielen, daß man für einige Jahre eine vorläufige Regelung eintreten ließe. Während der ersten 5 Jahre seien die deutschen Angebote und die Forderungen der Gegner nicht sehr weit auseinander. Die deutsche Delegation sei daher bereit, den Gegnern für die ersten fünf Jahre ein Äquivalent der in Paris gestellten Forderungen zu geben, sowohl was die festen Annuitäten als was die variablen Zahlungen anlange. Über die Einzelheiten des Planes bat ich Herrn Staatssekretär Bergmann anzuhören. Ich selbst behielt mir dann vor, noch zwei wichtige Punkte zu besprechen, nämlich den Gedanken der internationalen Reparationsanleihe und die Art der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete.

Herr Lloyd George erklärte sich hiermit einverstanden, wies aber zugleich darauf hin, daß es noch nötig sein werde, Methoden der Zahlung in bar oder in Sachwerten zu erörtern.

Herr Staatssekretär Bergmann entwickelte darauf die finanzielle Tragweite der verschiedenen Vorschläge, die für die deutschen finanziellen Leistungen während 5 Jahren, vom 1. Mai 1921 bis 1. Mai 1926, gemacht worden seien. Er begann mit dem Versailler Frieden, der den Reichsfinanzen für diese Zeit eine Jahresannuität von 1 Milliarde Goldmark und zahlreiche Sachleistungen auferlege, erläuterte die Vorschläge der Brüsseler Entente-Sachverständigen, die auf eine Jahreszahlung von 3 Milliarden Goldmark unter Anrechnung der Sachleistungen hinausgegangen seien27, und bezifferte schließlich den Gegenwartswert der Pariser Forderungen für die fraglichen fünf Jahre sowohl nach der festen wie nach der beweglichen Seite hin. Er führte aus, daß bei der gegenwärtigen Lage der deutschen Finanzen die Zahlung so hoher Beträge, wie man in Paris in Aussicht genommen habe, für Deutschland nur möglich sei, wenn ein erheblicher Teil durch eine internationale Anleihe aufgebracht werde, für welche die Alliierten Deutschland zum mindesten das Vorrecht des Artikel 248 des Friedensvertrages28 einräumen müßten. Herr Bergmann legte dar, daß durch eine solche Anleihe, an der sich selbstverständlich auch Deutschland beteiligen würde, für Reparationszwecke große Kapitalien greifbar gemacht werden[573] würden, die sich jetzt dem Steuerdruck durch die Flucht ins Ausland oder durch sonstige Verheimlichung entzögen.

27

Gemeint war der Vorschlag Seydoux; s. o. Anm. 6.

28

Zu Art. 248 VV s. o. Anm. 9.

Im Anschluß hieran führte ich aus, daß es keineswegs beabsichtigt sei, die Anleihe in erster Linie aus den alliierten Ländern herauszuholen; im Gegenteil, diejenige Regierung, die gegen eine Emission der Anleihe sei, könne ihr Land ohne weiteres ausschließen. Wir rechneten aber nicht ohne Grund auf die Beteiligung neutraler Länder. In diesen Ländern würde sich steuerflüchtiges deutsches Kapital an der Zeichnung beteiligen können, ohne deshalb erst nach Deutschland zurückkehren zu müssen. Da es sich bei der Reparationsanleihe um ein gemeinsames internationales Interesse handle, glaube die Deutsche Regierung, auf eine privilegierte Behandlung der Anleihe rechnen zu dürfen.

Ganz besonders bedeutsam zur Herstellung bleibender nationaler Verhältnisse in Europa erscheine mir der tatsächliche Wiederaufbau in den zerstörten Gebieten. Bisher sei jedes deutsche Angebot in dieser Richtung daran gescheitert, daß die nächstbeteiligten Länder darunter die Absicht, sei es der Erzielung von Unternehmergewinnen auf Kosten des geschädigten Landes oder einer Ansiedlung deutscher Arbeiter, erblickten. Auf deutscher Seite, wo man gegenwärtig durch Wohnungsnot und Siedlungsbedürfnis bedrängt werde, habe man in der letzten Zeit Pläne ausgearbeitet, die den Wohnungsbau außerordentlich vereinfachen und beschleunigen würden. Es handle sich um die Herstellung typisierter Wohnungsteile, die maschinenmäßig hergestellt, aber nach vielfachen Grundrissen und mannigfaltigen Ausführungsformen gestaltet werden können. Die Wohnungsteile würden dann an Ort und Stelle durch Monteure und Vorarbeiter mechanisch zusammengefügt, so daß eine dauernde Niederlassung größerer Arbeitermassen nicht in Frage käme. Derartige Häuser seien in Westfalen bereits gebaut und schienen sich zu bewähren. Es würde sich lohnen, das System für Reparationszwecke näher zu prüfen.

Minister Loucheur bemerkte hierzu, der Plan sei sehr interessant, nur habe es sich seines Wissens bisher mehr um Theorien gehandelt. An sich würde man ihm gern nähertreten.

Der britische Premierminister äußerte wegen der Anleihe erhebliche Bedenken. Die Regierungen aller in Frage kommender Länder seien kaum in der Lage, ihr eigenes Anleihebedürfnis zu decken. Wichtiger scheine ihm eine Erklärung über die von ihm vorgeschlagene Methode, den Alliierten dadurch alsbald bares Geld für Reparationszwecke zur Verfügung zu stellen, daß man einen Teil der Kaufpreise für deutsche Exportwaren nach den alliierten Gebieten beschlagnahme und an den Staatsschatz abführe, der seinerseits den Käufern amtliche Quittungen zu erteilen hätte. Der Käufer zahle dann einen Teil des Kaufpreises, z. B. 50%, an den deutschen Verkäufer in bar, den Rest durch Übergabe der Quittung. Der deutsche Verkäufer müsse unter Vorlage der Quittung sich von seiner Regierung in deutschem Gelde bezahlen lassen. Man könne mit dem Satz heruntergehen, je stärker der Import deutscher Waren werde.

Ich fragte, ob diese Einrichtung als eine Sanktion (penalty) gedacht sei.

Lloyd George erwiderte sehr lebhaft, er wolle von den verwünschten Sanktionen nichts hören, denke vielmehr selbstverständlich an eine Vereinbarung,[574] auf die sich Deutschland gern einlassen könne, wenn es wirklich seine Reparationspflicht erfüllen wolle.

Ich bemerkte, daß der Gedanke an sich mir sehr erwägenswert erscheine. Er hätte allerdings mehrere Bedenken gegen sich. Zunächst liege es nahe, daß die deutschen Waren den neuen Zahlungsbedingungen durch den Umweg über neutrale Zwischenkäufer zu entgehen suchten. Aber dies sei die Sorge der Alliierten. Für uns sei es bedenklich, daß wir durch Auszahlung des beschlagnahmten Teiles der Kaufpreise die Inflation unserer Währung verstärken würden.

Herr Lloyd George entgegnete, die englische Gesetzgebung würde die deutschen Waren schon zu erfassen wissen, auch wenn sie auf dem Umweg über das Ausland nach Großbritannien kämen. Die Gefahr der Inflation bestehe für jede Art der Leistungen, bei denen sich der deutsche Fiskus der deutschen Produktionstätigkeit bediene, um seine Reparationsschuld abzutragen.

Ich machte darauf aufmerksam, daß die hier vorgesehene Inflation deshalb bedenklich sei, weil sich ihr Umfang für das Budget niemals auch nur annähernd voraussehen ließe. Bei den anderen Leistungen könne die Deutsche Regierung gewisse Maximalzahlen bestimmen. Der Export deutscher Güter nach den alliierten Ländern sei aber nach der Konjunktur zu verschieden, um eine budgetäre Festsetzung zuzulassen. Ich bat Herrn Lloyd George, mir Gelegenheit zu geben, die Frage mit Herrn Staatssekretär Bergmann zu besprechen.

Herr Lloyd George meinte, auch die Vertreter der Alliierten müßten zunächst über das, was sie von uns gehört hätten, schlüssig werden und würden uns dann ihre Antwort sagen.

Die Vertreter der alliierten Regierungen zogen sich hierauf in ein Nebenzimmer zurück. Nachdem ihre Sonderbesprechung etwa 15 Minuten gedauert hatte, wurde die Beratung wieder aufgenommen29.

29

Zu diesen Beratungen der Alliierten untereinander s. DBFP, 1st Series, Vol. XV, p. 290–291.

Herr Lloyd George gab mir zunächst das Wort, und ich erklärte, daß wir bereit seien, seine Vorschläge wegen Einbehaltung eines Teiles der Kaufpreise deutscher Waren unserer Regierung zur Berücksichtigung zu empfehlen, und daß wir im übrigen unseren Vorschlag eines Provisoriums unter der Voraussetzung der Anleihemöglichkeit aufrechterhielten30.

30

Ein Protokoll dieser Besprechung von brit. Seite findet sich in DBFP, 1st Series, Vol. XV, p. 291–295; s. dazu auch C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 91.

Herr Lloyd George erwiderte, die englische und französische Delegation habe beschlossen, am Sonnabendnachmittag und am Sonntag Besprechungen zwischen ihren und den deutschen Sachverständigen stattfinden zu lassen, zu denen von jeder Seite etwa 3 Herren erscheinen möchten. Die erste Besprechung wurde auf Sonnabend, nachmittags 3½ Uhr, anberaumt.

gez. Dr. Simons

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