2.58.1 (lut1p): 1. Zwangssyndikat für die Bergwerksbesitzer des Ruhrbezirks.

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1. Zwangssyndikat für die Bergwerksbesitzer des Ruhrbezirks.

Der Reichswehrminister eröffnete in Abwesenheit des Herrn Reichskanzlers1 die Sitzung.

1

Luther verbrachte in den letzten Märztagen einen kurzen Erholungsurlaub in Schreiberhau (Riesengebirge).

Der Reichswirtschaftsminister trug den Sachverhalt vor2. Er führte aus, daß manche Gründe (Sinken der Kohlenpreise und des allgemeinen Preisstandes, Hebung des Exports) für einen kurzen syndikatslosen Zustand geltend gemacht werden könnten. Auf der anderen Seite müsse man jedoch bedenken, daß er (der Reichswirtschaftsminister) durch die Bestimmungen des Kohlenwirtschaftsgesetzes zur Bildung des Kohlensyndikats gezwungen sei und daß die Vorteile, die ein syndikatsloser Zustand zur Folge haben werde, nur vorübergehender Natur sein würde. Sie würden bald unter einer außerordentlich starken finanziellen Schädigung des Bergbaus in das Gegenteil umschlagen. Die Kämpfe des Bergbaus bei einem syndikatslosen Zustande müßten zu Zechenstillegungen in größtem Umfange führen. Sachverständige des Bergbaus glaubten, daß mit Arbeiterentlassungen von mindestens 100 000 Mann zu rechnen sein werde. Es seien daher auch die Arbeitnehmervertreter gegen die Duldung eines syndikatslosen Zustandes bereits bei ihm nachdrücklichst vorstellig geworden. Vor allem aber befürchte er von einem syndikatslosen Zustand die ungünstigsten Wirkungen auf die Reparationskohlenlieferungen. Zur Zeit sei das Syndikat[214] Beauftragter des Reiches für die Ausführung der Reparationskohlenlieferungen. Bei einem syndikatslosen Zustande würden die Kohlen uns nur zu dem dann sicher sich bildenden niedrigeren Preise auf Reparationskonto angerechnet werden. Das würde einen Ausfall von jährlich etwa 60 bis 70 Millionen Mark bedeuten. Auch der zur Zeit bestehende vorteilhafte Vertrag mit den Italienern über Kohlenlieferungen würde fallen. Es sei möglich, durch ein Zwangsstatut einen Ausgleich zu finden. Wenn die Regierung allerdings ein Zwangsstatut erlasse, müsse sie auch in der Lage sein, es durchzuführen. Er glaube jedoch, daß das möglich sein werde. Eine Kohlenpreiserhöhung solle auf keinen Fall eintreten.

2

In seiner Kabinettsvorlage hatte Neuhaus am 25. 3. mitgeteilt, er stehe vor der Frage, ob er einen syndikatslosen Zustand, der gegenwärtig im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk zu entstehen drohe, dulden oder die Zechenbesitzer unter Erlaß eines Zwangsstatuts zu einem neuen Syndikat zusammenfügen solle. Zur Vorgeschichte heißt es dann: Das im Jahre 1919 auf der Grundlage des Kohlenwirtschaftsgesetzes (RGBl. 1919, S. 341 ) neugeschaffene Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat sei im Januar 1924 aufgelöst und durch eine von den Zechenbesitzern gebildete „Vereinigung für die Verteilung und den Verkauf von Ruhrkohle AG“ (Essen) abgelöst worden, deren Satzung „jeden Hinweis auf das Kohlenwirtschaftsgesetz bewußt vermieden“ habe. Nachdem dieser freiwillige Vertrag von der Mehrheit der Mitglieder jedoch zum 30.9.24 rechtswirksam gekündigt worden sei, habe sich der Ruhrbergbau mit 90% zu einer Syndikatsneubildung auf fünf Jahre zusammengefunden. Nichtbeitrittswillige Zechenbesitzer seien damals durch VO des RWiM vom 16.9.24 in das Kohlensyndikat eingegliedert worden. Die weitere Entwicklung habe jedoch starken Widerstand gegen die neue Syndikatssatzung ergeben. Auch hätten die zwangsweise eingegliederten Zechenbesitzer Gutachten namhafter Rechtsgelehrter beizubringen vermocht, in denen die Beitrittsverordnung des RWiM für rechtsunwirksam und der Syndikatsvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für nichtig erklärt worden sei. Seitdem hätten die Vorstellungen wegen Änderung des Syndikatsvertrages immer größeren Nachdruck gewonnen, und es sei zu befürchten, daß die Vereinigung demnächst ganz auseinanderfallen werde (R 43 I /2173 , Bl. 178-180).

Unter Würdigung aller Umstände halte er es für das beste, den zwangsweisen Zusammenschluß der Bergwerksbesitzer des Ruhrbezirks herbeizuführen. Sollten in letzter Stunde die Bergwerksbesitzer sich noch freiwillig zu einem Syndikat zusammenschließen, so dürfe man dem natürlich nicht hinderlich sein.

Geheimrat Stutz (Reichskohlenkommissar) machte sodann noch nähere Angaben über die Fragen der Beteiligungsquote am Syndikat, der Verkaufs- und Verbrauchsquote und der Verkaufsorganisationen.

Ministerialdirektor Schäffer (Reichswirtschaftsministerium) machte Ausführungen über die Frage der Reparationslieferungen.

Der Reichswehrminister stellte fest, daß das Kabinett die Ausführungen des Reichswirtschaftsministers informatorisch zur Kenntnis genommen habe und daß das Kabinett gegen das vom Reichswirtschaftsminister beabsichtigte Vorgehen, ein Zwangssyndikat der Bergwerksbesitzer zu bilden, jedoch dann davon abzusehen, falls diese sich noch in letzter Stunde freiwillig zusammenschließen sollten, keine Bedenken zu erheben habe3.

3

Über diese Vorgänge in den Akten nichts weiter ermittelt. Lt. Pressemeldungen schließen die beteiligten Zechen am 1. 5. nach langwierigen Verhandlungen einen neuen freiwilligen Syndikatsvertrag (Laufzeit bis 31.3.30)), wonach von einer Gesamtbeteiligung von 160 Mio t Steinkohle 133 Mio t zum Verkauf durch Handelsgesellschaften, die dem Syndikat als Kommanditisten angeschlossen sind, gelangen und 27 Mio t dem Eigenverbrauch der Zechen vorbehalten bleiben sollen (s. „Die Zeit“ vom 1., 21., 22. 4. und 5.5.25).

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