2.64.1 (lut1p): [Reichspräsidentenwahl; Kandidatur Simons]

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[Reichspräsidentenwahl; Kandidatur Simons]

Reichskanzler teilt mit, daß der Abgeordnete Leicht brieflich bei ihm angeregt hätte, durch Besprechung mit Führern der bürgerlichen Fraktionen den[232] Versuch zu machen, durch Aufstellung eines von möglichst weiten Kreisen getragenen Kandidaten dem Wahlkampf um den Posten des Reichspräsidenten die zu befürchtende Schärfe zu nehmen. Er sei der Anregung gern gefolgt. Die bisher bei der Wahl eingeschlagene Bahn scheine ihm nicht glücklich. Die Dinge liegen bei uns anders als beispielsweise in Amerika. Bei uns sei der Präsident kein Faktor der aktiven Politik. Der Präsident müßte eine Persönlichkeit sein, hinter der möglichst das ganze Volk stehe. Zur Zeit habe es den Anschein, als ob der zukünftige Präsident ohne absolute Mehrheit der Stimmen gewählt werden werde. Nach seiner Ansicht müßte alles geschehen, damit er nicht nur mit einer relativen Mehrheit gewählt würde, sondern damit eine wirkliche Mehrheit des Volkes hinter ihm stehe. Mit dem Abgeordneten Leicht befürchte er, wenn man zu einer gemeinsamen Kandidatur nicht komme, eine äußerst geringe Wahlbeteiligung im Süden Deutschlands1, was bei der Struktur des Reiches ein Unglück sei, und ferner eine starke Verschärfung der konfessionellen Gegensätze.

1

Die Wahlbeteiligungsergebnisse in den einzelnen Stimmkreisen Süddeutschlands lagen im ersten Wahlgang zwischen 45 und 60% (Niederbayern 44,4%) (s. Statistisches Jahrbuch für das Dt. Reich 1926, S. 450 f.).

Bei dieser Sachlage handle er innerhalb seiner gestellten Pflichtaufgabe, wenn er der Anregung des Abgeordneten Leicht folge2.

2

Vgl. die Stellungnahme Luthers in der Parteiführerbesprechung vom 12.3.25 (Dok. Nr. 47). Die verfassungsrechtlichen Gründe seiner Zurückhaltung im Wahlkampf erläutert der RK ferner in einer Erklärung, zu der er in den ersten Apriltagen die „Kölnische Zeitung“ ermächtigt: „Die Wahl des Reichspräsidenten ist verfassungsmäßig eine Angelegenheit des Volkes und nicht der Reichsregierung. Wer dem Reichskanzler zumutet, in den Kandidatenstreit um das Amt des Reichspräsidenten bestimmend einzugreifen, zieht damit die politische Mündigkeit des deutschen Volkes in Frage und sinnt dem Kanzler eine Haltung an, die seiner verfassungsmäßigen Stellung nicht entspricht.“ Darüber hinaus könne aus allgemein-politischen Gründen von ihm nur erwartet werden, „daß er im Wahlstreit derart vermittelnd wirkte, daß sich auf den künftigen Präsidenten ein möglichst großer Teil des Volkes einigte, damit erbitternde und Reich und Volk schädigende Kämpfe möglichst beseitigt würden und die Autorität des künftigen Reichspräsidenten gestärkt würde.“ (Zitiert bei Luther, Politiker ohne Partei, S. 331 f.).

Leicht dankt dem Kanzler für das Befolgen seiner Anregung. Ein scharfer Kampf drohe, und man würde es in weiten Kreisen nicht begreifen, daß keine Einigung zustande gekommen sei. Wären die bürgerlichen Parteien einig, dann würde der häßliche Kampf fortfallen oder wenigstens gemildert und erträglicher gemacht werden. Aus diesem Grunde habe er den ungewöhnlichen Schritt seines Briefes an den Kanzler getan.

Spahn: Der Beschluß des Zentrums, Herrn Marx als Kandidaten aufzustellen, sei unabänderlich3. Den Gedanken einer einheitlichen Kandidatur begrüße auch er, aber nach Lage der Dinge könne das dann eben nur Marx sein.

3

Dieser Beschluß war am Vormittag des gleichen Tages in der Sitzung des Reichsparteiausschusses des Zentrums gefaßt worden (s. „Die Zeit“ vom 3.4.25).

Oberfohren: Auch die Deutschnationalen würden eine gemeinsame Kandidatur begrüßen. Nach der Erklärung des Abgeordenten Spahn aber scheine es ihm kaum möglich, einen Einheitskandidaten aufzustellen.

Scholz tritt dieser Erklärung des Abgeordneten Oberfohren bei. Die Grundauffassung des Reichskanzlers habe bei der Deutschen Volkspartei Widerhall[233] gefunden, aber die Erklärung des Zentrums dürfte in dieser Schärfe nicht erhalten bleiben, sonst sähe er keine Möglichkeit einer Einheitskandidatur.

Drewitz: In der eben vernommenen Tonart des Zentrums könne die Frage nicht gelöst werden.

Leicht: Seine Fraktion stände hinter ihm. Seiner Partei seien die Person und die Konfession des Kandidaten gleich. Ihm käme es nur auf das Ziel an; sei dieses mit Marx zu erreichen, so sei es ihm recht. Die Bayerische Volkspartei stelle die Sache über alles andere.

Koch: Er stände den Anschauungen des Reichskanzlers, wonach eine breitere Grundlage erwünscht sei, nahe. Die Verwirklichung wäre aber beim ersten Wahlgang leichter gewesen als beim zweiten. Die Demokraten hätten Simons benannt, hätten dann später auch Geßler zugestimmt und wären bereit gewesen, über weitere Kandidaten zu verhandeln, aber diese Verhandlungen seien brüsk abgebrochen worden. Jetzt, im zweiten Wahlgang, seien die Verhandlungen über die Kandidatur Marx weit gediehen. Es würde illoyal sein, wenn die Demokraten davon abgingen, solange das Zentrum an der Kandidatur Marx festhalte.

Curtius fragt den Kanzler, ob er gemeint habe, daß er weiter gehen wolle, daß er also einen Kandidaten suche, dem auch die Sozialdemokratie zustimmt.

Luther: Dies schwebe ihm in der Tat als Wunsch vor.

Curtius: Er habe sogar einen Initiativantrag des Reichstages erwogen, wonach die Stellvertretung des Präsidenten durch Simons4 bis zum Jahre 1932 verlängert würde, aber dies sei ja praktisch undurchführbar. Seines Erachtens müsse man daher die Sozialdemokraten fragen, ob sie sich mit den anderen Parteien auf Simons einigen wollten, ein anderer Weg sei jetzt wohl undenkbar.

4

Zur gesetzlichen Regelung der Stellvertretung des RPräs. s. Anm. 16 zu Dok. Nr. 41.

Luther: Die Worte von Herrn Curtius enthielten einen sachlichen Vorschlag und einen technischen Weg. Die Vermeidung der Wahl durch ein verfassungsänderndes Gesetz des Reichstages sei seines Erachtens nicht möglich. Aber der sachliche Vorschlag über die Person müsse alsbald erörtert werden.

Leicht: Der Vorschlag Curtius über die Person Simons könne vielleicht in den Fraktionen besprochen werden, abends könnten dann die Antworten der Fraktionen vorliegen.

Wallraf: Er habe Herrn Spahn so verstanden, daß die Personenfrage für das Zentrum entschieden sei.

Spahn: Ja, er habe für den neuen Vorschlag keine Hoffnung, sei aber bereit, die Frage zu erörtern.

Koch: Man müsse anerkennen, daß eine neue lage geschaffen sei, zu der die Fraktionen Stellung nehmen müßten.

Zapf: Der Vorschlag des Abgeordneten Curtius, Herrn Simons zu wählen, sei, wie er feststellen müsse, von Curtius spontan erfolgt. Würde er in die Fraktionen gebracht, so sei er sofort gefährdet. Nach seiner Auffassung müßten die hier Versammelten den Mut aufbringen, nach einer kurzen Pause, in der sie[234] mit einigen wenigen weiteren Mitgliedern ihrer Fraktion gesprochen hätten, sich hier für diese Kandidatur auszusprechen.

Spahn: Für die Zentrumsabgeordneten sei es schwer, einen solchen Beschluß in einem so engen Gremium zu fassen.

Wallraf: Der Gedanke des Abgeordneten Zapf sei schön, aber schwer durchführbar wegen der Fraktionen.

Zapf: Wenn hier nach Rücksprache mit einigen Wenigen eine Einigung zustande käme, dann wäre seines Erachtens die Sache durchführbar.

Leicht: Mann könne vielleicht zunächst den engeren Vorstand der Fraktionen hören.

Scholz: Es dürfe unter keinen Umständen so laufen, daß der Vorschlag in die Fraktionen gebracht würde, ehe sich hier eine klare Meinung gebildet hätte. Er könne unter keinen Umständen dulden, daß die Nominierung von Simons etwa als ein Vorschlag der Deutschen Volkspartei in die Fraktionen gebracht würde. Der Name sei hier nur genannt worden, um eine Diskussionsgrundlage für die Anwesenden zu schaffen.

Luther: Wesentlich scheine ihm, daß der Versuch einer neuen Verfahrensart angeregt sei. Der Gedanke sei, daß nur einige Männer aus den Fraktionen gehört würden, daß keine Frage nach der Priorität des Vorschlages entstehen dürfe und daß die hier Anwesenden sich verbinden und sich mit ihrer Person voll für einen zu findenden Vorschlag einsetzen sollten.

Curtius: Vielleicht empfehle es sich, die Sozialdemokraten hinzuzuziehen.

Luther: Er habe hiergegen keine Bedenken und sei auch auf Wunsch des Abgeordneten Curtius bereit, den Vorschlag auf seine Kappe zu nehmen, ebenso die Zuziehung der Sozialdemokraten.

Leicht und Koch: Der Reichskanzler könne dies tun, und zwar in seiner Eigenschaft als Kanzler und nicht nur als deutscher Bürger.

Reichskanzler stellt fest, daß alle Anwesenden geneigt seien, sich um 4 Uhr zu treffen, um zu versuchen, durch eine neue Verfahrensart die zu erwartende Schärfe des Wahlkampfes zu vermeiden5. Er stellt weiter fest, daß er von den Anwesenden beauftragt sei, mit den Sozialdemokraten im besprochenen Sinne zu reden.

5

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 65.

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