2.90.1 (lut1p): Parlamentarische Behandlung des deutsch-spanischen Handelsvertrages.

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Parlamentarische Behandlung des deutsch-spanischen Handelsvertrages.

Der Reichskanzler teilte mit, daß ursprünglich im Reichstag vorgesehen worden sei, am nächsten Montag [25. 5.] den deutsch-spanischen Handelsvertrag im Plenum zur Verhandlung zu bringen. Nunmehr sei es gelungen, die Angelegenheit auf Mittwoch kommender Woche zu verschieben. Zweck der Vertagung sei, Zeit zu gewinnen für Besprechungen mit den einzelnen Fraktionen. Es sei nicht zu verkennen, daß im Zentrum und in der Deutschnationalen Fraktion sich erhebliche Widerstände gegen den Vertrag geltend machten1. Unter diesen Umständen sei es zweifelhaft, ob auf Annahme zu rechnen sei. Absicht der Regierung sei, eine Annahme zu erzielen, um dann alsbald den Vertrag wieder zu kündigen. Dabei entstehe die Frage, ob ein solches Vorgehen außenpolitisch tragbar sei. Unter Umständen müsse man auch versuchen, eine weitere Vertagung der Debatte herbeizuführen. Wenn er als Kanzler mit den Fraktionen rede und für Annahme des Vertrages eintrete, so müsse gegebenenfalls hieraus die letzte Konsequenz bei Nichtannahme gezogen werden.

1

In einer Besprechung des RK mit Führern der Mehrheitsparteien, die am 20.5.<in der Druckfassung: 20.4.; Anm. der Online-Edition> im RT abgehalten worden war, hatte der Abg. Leicht (BVP) mitgeteilt, daß seine Fraktion gegen die Annahme des Abkommens stimmen werde. Die Abg. Westarp (DNVP) und Fehrenbach (Zentrum) hatten gleichfalls Bedenken geäußert, jedoch auf Hinausschiebung der Behandlung vor dem Plenum gedrängt, um Zeit für Verhandlungen mit den anderen großen Parteien zu gewinnen (R 43 I /1117 , Bl. 214 f.).

[299] Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß die Reichsregierung wohl gegenüber Spanien die endgültige Annahme hinauszögern könne, aber dann würde Frankreich und Italien gegenüber die Lage schwierig werden, da bei Ablehnung des Vertrages der Kredit der Deutschen Reichsregierung für den Abschluß von Handelsverträgen schwinde2. Daneben müsse auch berücksichtigt werden, daß die deutsche Industrie einen längeren Schwebezustand nicht mehr ertragen könne3.

2

Das AA übersendet am 23. 5. eine Aufzeichnung der dt. Delegation für die dt.-ital. Handelsvertragsverhandlungen gleichen Datums, in der hierzu wie folgt Stellung genommen wird: „Der durch die Ablehnung Spanien gegenüber eintretende vertragslose Zustand würde für die deutsch-italienischen Verhandlungen […] insofern unerwünschte Folgen haben, als der deutsch-italienische Modus vivendi vom 10. 1. […] d. J. [s. dazu Dok. Nr. 155, Anm. 2] durch den Wegfall der Geltung des deutsch-spanischen Vertrages für die Italiener seines eigentlichen Inhaltes beraubt würde. Wenn Italien auch praktisch wegen der noch geltenden Suspendierung wichtiger Lebensmittelzölle zur Zeit im wesentlichen nur beim Wein und gewissen Konserven eine ungünstigere Zollbehandlung zu tragen hätte, so würde doch durch das Fallen des spanischen Vertrages die in der Gewährung der Meistbegünstigung bestehende deutsche Gegenleistung im Modus vivendi beseitigt werden und bei den Italienern der Eindruck entstehen, daß sie durch den Abschluß des Modus vivendi ihrerseits uns große Zugeständnisse gemacht hätten, ohne dafür noch einen Ausgleich in Händen zu haben.“ (R 43 I /1097 , Bl. 74-77).

3

Der Deutsche Industrie- und Handelstag hatte sich am 12. 5. mit einer Stellungnahme zum dt.-span. Handelsabkommen an die RT-Fraktionsvorstände gewandt und darin vor weiterer Hinauszögerung der Ratifizierung gewarnt. „Der gegenwärtige Schwebezustand hat zur Folge, daß gerade umfangreiche Aufträge, die lange Lieferfristen benötigen, nicht oder nur unter sehr erheblichen Schwierigkeiten nach Deutschland vergeben werden. Dieser Zustand hat für Industrie und Handel bisher schon die volle Entfaltung des Handelsvertrages schwer gehemmt und die Wirkung des Abkommens beeinträchtigt. Er ist ohne schwersten Schaden nicht mehr länger zu ertragen.“ (Eine an den RK zur Kenntnisnahme übersandte Abschrift in R 43 I /1117 , Bl. 206-210).

Ministerialdirektor Schäffer führte aus, daß ihm der Standpunkt des Herrn Reichswirtschaftsministers in politischer Beziehung nicht bekannt sei4. Richtig sei es, daß die Industrie baldige Klärung wünsche.

4

Der RWiM führte mit Schreiben an den StSRkei vom 22. 5. hierzu aus: „Den Führern der […] Parteien, insbesondere dem Grafen Westarp wird mit aller Deutlichkeit klarzumachen sein, daß die Regierungskoalition zum mindesten stark gefährdet wird, wenn der spanische Handelsvertrag falle und wenn insbesondere die DNVP das Odium auf sich nimmt, daß wir in einen Zollkrieg mit Spanien kommen und zugleich Spanien in das Lager der Entente gedrängt wird. […] Dazu kommt, daß die bereits jetzt eingetretene Verschiebung der Ratifikation zu recht unerwünschten Weiterungen führen muß, weil die Aufhebung der Diktatur in Spanien bevorsteht und daher voraussichtlich eine Erörterung im spanischen Parlament vor Austausch der Ratifikation erforderlich sein wird.“ (R 43 I /1117 , Bl. 216 f.).

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß nach seinen Informationen mit einer glatten Ablehnung seitens der Sozialdemokratischen Partei nicht zu rechnen sei.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er der Überzeugung sei, daß auf eine sozialdemokratische Hilfe unter keinen Umständen zu rechnen sei.

Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte, daß in den Fraktionen die Opposition nicht nur von den Weinbauern ausgehe, sondern auch von den Agrariern, die in dieser Beziehung die Weinbauern unterstützten.

Der Reichsminister des Innern bemerkte, daß die Regierungsparteien unter sich klar sein müßten. Ein Verlaß auf die Sozialdemokratie sei ausgeschlossen.[300] Die Deutschnationale Fraktion würde wohl sicherlich mitmachen, wenn das Zentrum der Annahme zustimmte.

Der Reichsarbeitsminister führte demgegenüber aus, daß für die Deutschnationalen die Annahme deshalb leichter sei, weil der Prozentsatz der Abgeordneten, die aus Weinbaugebieten stammten, bei den Deutschnationalen viel geringer sei als beim Zentrum.

Am Montag fände eine Fraktionssitzung des Zentrums statt, zu der der Herr Reichskanzler eine Einladung erhalten habe.

Der Reichsmin. d. Auswärtigen ist der Auffassung, daß, wenn man nicht eine Vertagung erziele, die Angelegenheit zu einer Vertrauensfrage des Kabinetts sich auswachsen würde.

Der Reichsmin. d. Finanzen hält die Stellung der Vertrauensfrage in diesem Falle für unmöglich. Der deutsch-spanische Handelsvertrag sei keine so wichtige Angelegenheit, daß darüber das Kabinett stürzen dürfe.

Der Kanzler stellte die Frage, ob das Zentrum eine weitere Vertagung mitmachen werde.

Der Reichsarbeitsminister erwiderte, daß er glaube, diese Frage bejahen zu können. Im übrigen schlage er vor, daß der Kanzler auch offiziell mit den Sozialdemokraten Fühlung nehme.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte hiergegen Bedenken. Man könne mit den Sozialdemokraten doch nur dann Fühlung nehmen, wenn man es zur Abstimmung kommen lassen wolle.

Der Reichskanzler führte aus, daß man im allgemeinen jederzeit mit der Opposition verhandeln könne. Man müsse in diesem Einzelfall jedoch eine besondere Form wählen und vor allem zunächst feststellen, daß in den Regierungsparteien die Mehrheit für eine Annahme sei. Dann hätten die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten nur den Zweck der weiteren Feststellung, ob angesichts dieser Sachlage die Sozialdemokratie bereit sei, auch ihrerseits, wenigstens teilweise, für Annahme zu stimmen.

Der Reichskanzler stellte nach längerer Debatte als Ergebnis fest, daß am nächsten Montag der Reichsminister des Auswärtigen zunächst mit den Regierungsparteien über die Frage des deutsch-spanischen Handelsvertrages verhandeln wird. Dabei kommt es hauptsächlich darauf an, daß das genaue Stimmverhältnis in den einzelnen Parteien ermittelt wird. Bei diesen Verhandlungen beteiligen sich der Reichswirtschaftsminister und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft.

Der Reichskanzler wird persönlich in Begleitung des Reichsministers des Auswärtigen der Einladung der Zentrumsfraktion Folge leisten. Von dem Ergebnis dieser Schritte wird es abhängen, ob und evtl. wann mit den Sozialdemokraten verhandelt wird5.

5

Über Verhandlungen des RAM mit den Regierungsparteien und des RK mit der Zentrumsfraktion fanden sich Aufzeichnungen nicht in den Akten der Rkei. Zum Fortgang s. die Besprechung mit den Regierungsparteien am 26. 5. (Dok. Nr. 93).

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