1.125.1 (lut2p): [Fortsetzung der Preissenkungsaktion]

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 2.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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RTF

[Fortsetzung der Preissenkungsaktion]

I. Reichswirtschaftsministerium.

1. Behandlung der Kartelle.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß grundlegende Änderungen gegenüber dem bisher eingehaltenen Wege2 zunächst nicht vorgeschlagen werden könnten. Dazu müsse erst das Ergebnis der bevorstehenden Enquête, die insbesondere auch auf das Kartellwesen erstreckt werden solle, abgewartet werden3. Das solle aber nicht abhalten, auch jetzt schon zu handeln. Dafür komme folgendes in Frage:

2

Der RWiM hatte seit Einleitung der Preissenkungsaktion im August 1925 (vgl. Dok. Nr. 150, 151) gegen zahlreiche Handelsverbände wegen Verstoßes gegen § 4 der Kartellverordnung (vgl. Anm. 12 zu Dok. Nr. 145) Anklage beim Kartellgericht erhoben. Vgl. Anm. 7 zu Dok. Nr. 163.

3

Der Enquête-Ausschuß (vgl. Dok. Nr. 257, P. 7) legt seine Stellungnahme zur Frage der staatlichen Kartellpolitik erst im Jahre 1930 vor. S. Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft. Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für allgemeine Wirtschaftsstruktur. 3. Arbeitsgruppe, Teil IV: Kartellpolitik, S. 26 ff.

a)

Das Reichswirtschaftsministerium werde prüfen, ob die Errichtung eines besonderen Kartellamtes und die Einrichtung eines Kartellregisters zweckmäßig sei.

b)

Im Reichswirtschaftsministerium werde sofort eine Kommission eingesetzt werden mit der Aufgabe, die Kartellverordnung einer Revision zu unterziehen. Es habe sich gezeigt, daß diese Verordnung in mancherlei Hinsicht einer Verbesserung bedürfe.

c)

Die Einzelmaßnahmen gegen Auswüchse werden fortgesetzt werden. Zwei Maßnahmen, die sich gegen einen Färbereiverband und einen Kohlenhändlerverband richten sollen, könnten noch in dieser Woche durchgeführt werden.

[1133] Was insbesondere den Kohlenhandel und die Genossenschaften anlange, so werde weiter daran gearbeitet, Mißstände zu beseitigen. Der Kohlenhandel sei zweifellos überbesetzt, ein generelles Einschreiten sei aber nicht möglich. Den Klagen der Genossenschaften4 würde in jedem Einzelfalle nachgegangen.

4

Der Zentralverband deutscher Konsumvereine (Hamburg) hatte in zahlreichen Eingaben an den RK und den RWiM (Okt./Nov. 1925) schwere Vorwürfe gegen die Preispolitik der Kohlensyndikate und Kohlenhändlerverbände erhoben. In einer Eingabe an den RWiM vom 25. 11. heißt es: „Mit dem größten Eifer wird seitens des Handels dahin gearbeitet, daß die Kohlenpreise für alle in Frage kommenden Kohlenplätze festgesetzt werden und dadurch den Konsumvereinen der Verkauf von Kohlen und Briketts zu billigen Preisen unmöglich gemacht werden soll. […] Wir bitten dringend, den zuständigen Stellen mitzuteilen, daß diese Quertreibereien […] aufhören müssen und die Konsumvereine nicht mehr mit dieser Sache belästigt werden. Es kann nicht angehen, daß man die Konsumvereine in dieser Zeit veranlaßt, ihren Mitgliedern höhere Preis für Kohlen abzunehmen als unbedingt notwendig“ (R 43 I /1155 , Bl. 337-339).

Wenn dieser Einstellung des Reichswirtschaftsministeriums in den genannten Fragen beigepflichtet werde, habe er die Absicht, in seiner Etatsrede auf diese Dinge zu sprechen zu kommen5.

5

Curtius widmet diesen Fragen in seiner Etatrede am 19. 3. nur den folgenden Satz: „Wir wollen und müssen […] überlebte und volkswirtschaftlich schädliche Bedingungen und Gewohnheiten zu lockern und aus dem Wege zu räumen suchen und einer gesunden Preisbildung die Wege ebnen.“ (RT-Bd. 389, S. 6345 ).

Der Reichskanzler stellte daraufhin fest, daß das Reichswirtschaftsministerium für folgendes votiere:

1.

daß die Frage einer strafferen Kontrolle der Kartelle (Kartellamt, Kartellregister) an sich geprüft werden solle, zunächst aber, und zwar insbesondere mit Rücksicht auf die bevorstehende Enquête, von Maßnahmen noch abzusehen sei;

2.

daß sofort eine Kommission zur Nachprüfung der Kartellverordnung im Reichswirtschaftsministerium eingesetzt und in möglichst kurzer Zeit dem Reichstag ein entsprechender Gesetzentwurf zur Verbesserung der Kartellverordnung vorgelegt werde;

3.

daß auf Grund des geltenden Rechts Einzelmaßnahmen weiter ergriffen werden.

Der Reichsarbeitsminister fragte, ob es nicht doch möglich sei, schon vor der Enquête mit der öffentlichen Registrierung der Kartelle und Kartellbedingungen zu beginnen. Im übrigen sei er für ein möglichst festes Zugreifen gegenüber den Kartellen.

Der Reichsminister des Innern sprach sich insbesondere für eine möglichst rasche Revision der Kartellverordnung, und zwar mit verschärfender Tendenz, aus.

Der Reichsminister der Finanzen empfahl, daß möglichst alle Einzelfälle an das Kartellgericht gebracht würden. Allerdings sei nicht zu verkennen, daß gerade die Entscheidungen des Kartellgerichts den Kartellen Handhaben gegeben hätten, ihre Bedingungen zu verschärfen. Der Errichtung eines Kartellamtes[1134] sowie der Einrichtung eines Kartellregisters stehe er persönlich sehr skeptisch gegenüber.

Der Reichskanzler stellte daraufhin abschließend fest, daß bezüglich der Punkte a und b der Auffassung des Reichswirtschaftsministers beigetreten wird, bezüglich b mit der Maßgabe, daß schon in ganz kurzer Zeit eine gesetzliche Vorlage dem Kabinett unterbreitet werden soll6. Bezüglich der Einzelmaßnahmen bat der Reichskanzler, nochmals darzulegen, warum ein generelles Vorgehen gegen die Kohlenhandelsverbände nicht möglich sei.

6

Ein besonderer GesEntw. betr. Änderung der Kartellverordnung wird dem Kabinett Luther nicht mehr vorgelegt. Zur Beratung über die im Rahmen des GesEntw. zur Förderung des Preisabbaus beabsichtigte Änderung dieser VO vgl. Dok. Nr. 352, P. 1, dort auch Anm. 7.

Ministerialrat Josten führte aus, daß die Kartellverordnung nur gestatte, Einzelfälle vor das Gericht zu bringen. Es müsse in jedem einzelnen Falle der erforderliche Nachweis geführt werden. Auf Grund des § 4 Abs. 27 vorzugehen, verspreche nur dann Erfolg, wenn die Mitglieder der zu treffenden Kartelle bereits auseinanderstrebten. Sei dies nicht der Fall, werde von einer erteilten Kündigungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht werden. Ein generelles Eingreifen sei nur durch ein Gesetz möglich, in dem die Preisbindungen im Kohlenhandel untersagt würden.

7

Gemeint ist wohl § 4 Abs. 1 Ziffer 2 der Kartellverordnung (vgl. Anm. 2): Gefährdet ein Vertrag oder Beschluß die Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl, so kann der RWiM „anordnen, daß jeder an dem Vertrage oder Beschlusse Beteiligte jederzeit fristlos den Vertrag kündigen oder von dem Beschlusse zurücktreten“ kann.

[…]

Der Reichskanzler bat daraufhin um Mitteilung, ob nicht doch etwas zu Gunsten der Genossenschaften geschehen könne.

Ministerialrat Josten teilte zunächst mit, daß die Dinge nicht in allen Fällen so lägen, wie sie von den Genossenschaften dargestellt würden. Oft sei es den Genossenschaften nur dadurch möglich, billiger zu liefern, daß sie die bei dem Kohlengeschäft entstehenden Verluste durch andere Geschäftszweige deckten.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß er die Hand zur Einführung eines Abschlußzwanges gegenüber den Genossenschaften nicht bieten könne.

Der Reichskanzler stellte daraufhin fest, daß zur Zeit ein anderer Weg als der schon beschrittene, nämlich in jedem Einzelfalle den Klagen nachzugehen, nicht bestehe, daß aber auf diesem Wege mit allem Nachdruck künftig weitergegangen werden solle.

2. Innungen.

Der Reichswirtschaftsminister gab einen Überblick über die Gründe, die das Handwerk veranlaßt haben, gegen den Art. 4 des Gesetzentwurfs zur Förderung des Preisabbaus8 Stellung zu nehmen9. Diesen Argumenten könne[1135] er sich zum Teil nicht verschließen. Dazu komme, daß das Handwerk seine grundsätzliche Mitarbeit an der Preissenkungsaktion erklärt habe. Es komme ihm jetzt darauf an, über diese grundsätzliche Zusage hinaus praktische Handhaben zu erhalten. Er beabsichtige, alsbald durch Abänderung der Gewerbeordnung eine Beschwerdestelle zu schaffen, die dem Publikum die Möglichkeit gäbe, sich über die Forderungen des Handwerks zu beschweren. Die Beschwerdestelle solle bei der Handwerkskammer errichtet werden. Das Handwerk habe sich auf diesen Boden gestellt und sich mit der Errichtung dieser Beschwerdestelle einverstanden erklärt. Der vorliegende Gesetzentwurf solle durch entsprechende Anträge abgeändert werden. Das Handwerk habe sich angesichts dieses Entgegenkommens außerdem damit einverstanden erklärt, daß von der Vorlage der Handwerksordnung künftig endgültig Abstand genommen werde10. Soweit gewisse Neuregelungen erforderlich seien, sollen sie durch Abänderung der Gewerbeordnung vorgenommen werden. Diese Abänderung solle aber nicht gleichzeitig mit der Errichtung der Beschwerdestelle vorgenommen werden. Er empfehle, auf diesen Boden zu treten. Im übrigen sei es das beste Mittel, den Auswüchsen im Handwerk zu steuern, die einzelnen Fälle, die zu beanstanden seien, öffentlich bekanntzumachen.

8

Dieser vom Kabinett am 5.12.25 verabschiedete Entw. (s. Dok. Nr. 236, P. 2 und Nr. 242, P. 1 und 2) liegt zur Zeit dem RR vor (RR-Drucks. Nr. 184, Bd. 1925 II).

9

Curtius hierzu in einer Aufzeichnung vom 15. 2.: Der GesEntw. werde vom Handwerk gemeinhin als Ausnahmegesetz bezeichnet. Man werfe der Reg. vor, sie habe durch seine Verabschiedung „die gegen das Handwerk in der Öffentlichkeit erhobenen Angriffe, wonach es der eigentliche Preistreiber sei, ausdrücklich gebilligt und das Handwerk damit gleichsam ‚an den Pranger‘ gestellt“. Zu Art. IV (Änderung der Gewerbeordnung, vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 236 und Nr. 242, P. 1) werde erklärt: Das vorgesehene Gesetz sei überflüssig. „Für freie Innungen komme eine Verhängung von Ordnungsstrafen gegen Innungsmitglieder wegen Preisunterbietungen praktisch nicht in Betracht, weil jede derartige Maßnahme mit dem Austritt der Mitglieder beantwortet werden würde“. Höchst bedenklich sei auch die beabsichtigte Regelung hinsichtlich der Richtpreise; sie „lege eine für die handwerkliche Organisation besonders wichtige Entscheidung völlig in die Willkür der Verwaltungsbehörden. Denn der Entwurf schreibe, anders als die Kartellverordnung, keine Rechtsvoraussetzungen vor, von deren Vorliegen die Anordnung des Verbotes von Richtpreisen usw. abhängig ist. Er gebe ferner, ebenfalls anders als die Kartellverordnung, auch keinerlei Möglichkeit, die Entscheidung der Verwaltungsbehörden durch ein unabhängiges Gericht nachprüfen zu lassen.“ (R 43 I /1156 , Bl. 201-206).

10

Der „Entwurf einer Reichshandwerkordnung“ (R 43 I /2014 , Bl. 113-181) wurde vom Kabinett Marx am 24.4.24 kurz beraten, aber nicht verabschiedet (s. diese Edition: Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 183, P. 2). Auch unter Luther wurde das Projekt trotz wiederholter Zusage an das Handwerk nicht wesentlich gefördert (Aktenmaterial, insbes. Aufzeichnungen über Besprechungen mit Vertretern des Handwerks in R 43 I /2014 /2015).

Der Reichskanzler hielt es für notwendig, daß das Verfahren kostenfrei sei. Er bat sodann um Mitteilung, ob gegenüber den Entscheidungen der Beschwerdestelle eine Berufungsmöglichkeit gegeben sei.

Der Reichswirtschaftsminister verneinte dies.

Der Reichskanzler hielt daraufhin die Einrichtung einer solchen Beschwerdestelle für recht bedenklich. Wenn jetzt die Staatsaufsichtsbehörde ausgeschaltet werde, so sehe er insbesondere darin eine Gefahr, daß durch die Errichtung einer Beschwerdestelle bei den Handwerkskammern das System der Richtpreise stabilisiert werde.

Staatssekretär Trendelenburg wies darauf hin, daß die zivilrechtlichen Streitfälle den ordentlichen Gerichten auch ferner vorbehalten sein sollten. Inhalt der Entscheidungen der Beschwerdestelle könne nicht sein, daß z. B. eine Rechnung herabgesetzt werden solle; die Beschwerdestelle werde nur über die[1136] Angemessenheit der Preisgestellung befinden. Diese Entscheidung könne dann als Material den ordentlichen Gerichten unterbreitet werden.

Der Reichsminister des Innern hielt das vorgeschlagene Verfahren für unbrauchbar. Die Handwerker würden dann Richter in eigener Sache sein. Das Schlichtungsverfahren müsse im Anschluß an die bestehende Gemeindeorganisation eingerichtet werden. Er empfehle die Einsetzung von Ausschüssen bei den Gemeinden, die paritätisch zusammengesetzt seien und deren Vorsitzender ein Unparteiischer sei.

Der Reichskanzler hielt diesen Vorschlag für zweckmäßig.

Staatssekretär Trendelenburg wies darauf hin, daß dies einer Wiederbelebung der Preisprüfungsstelle11 gleichkäme.

11

Auf Grund der VOen vom 25.9.15 (RGBl., S. 607 ) und 13.7.23 (RGBl. I, S. 699 ) in Gemeinden über 10 000 Einwohnern eingerichtete Behörden zur Überwachung der Preise.

Der Reichsminister des Innern erwiderte, daß der Unterschied doch darin bestehe, daß früher die Preisprüfungsstellen sich damit befaßt hätten, generelle Bestimmungen für die Preisbildung aufzustellen, während es jetzt bei seinem Vorschlag sich nur darum handle, eine Instanz zu schaffen, die in Einzelfällen entscheiden solle.

Nach einer weiteren Aussprache schloß sich die Mehrheit dem Vorschlag des Reichsministers des Innern an.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte darauf, daß er einen entsprechenden Abänderungsentwurf vorlegen werde. Er stelle sich das Verfahren so vor, daß er zunächst den Entwurf dem Reichswirtschaftsrat mitteile und sodann dem Reichsrat zur Annahme empfehle12.

12

Zur weiteren Beratung s. Dok. Nr. 352, P. 1, dort auch Anm. 1 u. 4.

Dem wurde zugestimmt.

[…]

3. Behandlung der Banken.

Die Frage wurde durch die Chefbesprechung vom 15. Februar13 für erledigt angesehen.

13

Dok. Nr. 291.

4. Behandlung des Preisabbaugesetzes.

Der Reichswirtschaftsminister und der Reichsminister der Justiz wiesen darauf hin, daß der Reichsrat den Wunsch hege, Artikel 114 als besonderes Gesetz behandelt zu wissen.

14

Zu Art. I–IV des GesEntw. zur Förderung des Preisabbaus s. Dok. Nr. 242, P. 1 und 2, dort bes. Anm. 1, 3 und 6.

Der Reichskanzler erwiderte, daß dagegen keine Bedenken beständen. Die Reichsregierung könne einem entsprechenden Wunsche des Reichsrats stattgeben. Die Artikel 2–4 würden dann ein neues Gesetz bilden, wobei die erforderlichen Änderungen auf indirektem Wege zu betreiben wären.

[1137] Der Reichskanzler stellte dazu die Zustimmung fest. Ein formaler Kabinettsbeschluß wurde nicht mehr für notwendig erachtet15.

15

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 352, P. 1.

[…]

5. Abbau der notwirtschaftlichen Gesetzgebung16.

16

Das Kabinett hatte am 14.7.25 beschlossen, die Aufhebung der notwirtschaftlichen VOen vom 13.7.23 (RGBl. I, S. 699 ) zurückzustellen und zunächst das Ergebnis diesbezüglicher Verhandlungen des RT abzuwarten (vgl. Dok. Nr. 121, P. 3).

Der Reichswirtschaftsminister gab einen Überblick über die Lage und wies insbesondere darauf hin, daß der Reichstag in erster Lesung ein Initiativgesetz angenommen habe, das die Aufhebung der notwirtschaftlichen Gesetzgebung zum Inhalt habe17. Übergangsvorschriften seien dabei nicht vorgesehen. Die Regierungsparteien beabsichtigten jedoch, die Einführung von Übergangsvorschriften bei der zweiten Lesung durch entsprechende Anträge nachzuholen. Diese ganze Situation sei angesichts der Tatsache, daß die Regierung zwar grundsätzlich mit einer Aufhebung sich einverstanden erklärt, den Zeitpunkt dafür aber noch offengehalten habe, etwas mißlich. Es sei möglich, die zweite und dritte Lesung des Initiativgesetzes zu verhindern, wenn inzwischen die Regierung eine Vorlage unterbreite, die sich grundsätzlich auf den Boden des Initiativgesetzes stelle. Er halte es nicht für ausgeschlossen, daß man dann im Reichstage durchkomme, wenn man die Gesetze befriste.

17

Antrag (GesEntw.) des 5. Ausschusses vom 17.4.25 (RT-Drucks. Nr. 830, Bd. 400 ), angenommen in erster Lesung am 22.1.26 (RT-Bd. 388, S. 5103 ).

Der Reichsarbeitsminister hielt die Situation heute für einen Abbau der notwirtschaftlichen Gesetzgebung für günstiger. Zweifelhaft sei es ihm, ob es zweckmäßiger sei, selbst die Initiative zu ergreifen. Vielleicht sollte man doch die zweite Lesung vor sich gehen lassen und lediglich darauf hinwirken, daß der Gesetzentwurf einem Ausschuß überwiesen werde. Auf alle Fälle sei es notwendig, auf dem Gebiet des Wohnungswesens besondere Maßnahmen zu ergreifen.

Der Reichsminister des Innern hielt es ebenfalls für taktisch nicht gut, selbst die Initiative zu ergreifen. Was die Maßnahmen auf dem Wohnungsgebiet anlange, so würden diese am besten im Wege einer Novelle zum Mieterschutzgesetz ergriffen.

Der Reichsminister der Justiz war der gleichen Auffassung.

Der Reichswirtschaftsminister schloß sich daraufhin der Auffassung des Reichsarbeitsministers an. Er gehe allerdings dabei von der Voraussetzung aus, daß es sich nicht um eine politische Prinzipienfrage handele.

Es wurde daraufhin beschlossen, nach dem Vorschlag des Reichsarbeitsministers zu verfahren18.

18

Der RT beschließt die Aufhebung der notwirtschaftlichen VOen durch Annahme eines neuen Initiativgesetzentwurfs des 5. Ausschusses (RT-Drucks. Nr. 2348, Bd. 409 ) am 25. 6. (RT-Bd. 390, S. 7587 ). Die Vollziehung des Gesetzes erfolgt am 19. 7. (RGBl. I, S. 413).

[…]

[1138] II. Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

1. Lebensmittelpreise.

Ministerialdirektor Beyerlein berichtete über die bisherigen Erfolge19.

19

Nach einer „Übersicht über vorgenommene Herabsetzungen von handwerklichen Preisen im Verlauf der Preissenkungsaktion“, die der Aufzeichnung des RWiM vom 15. 2. (vgl. Anm. 9) beiliegt, wurden im Okt. und Nov. 1925 u. a. ermäßigt: Brotpreise in Hamburg um 20, in Düsseldorf um 30%; Fleischpreise in Hamburg um 30, in Düsseldorf um 10%.

Der Reichskanzler empfahl, das Material bei der Etatsrede des Reichswirtschaftsministers zu verwerten20.

20

In seiner Etatrede vom 19. 3. (RT-Bd. 389, S. 6340  ff.) macht der RWiM hierzu keine näheren Angaben.

Dem wurde zugestimmt.

Es wird weiterhin versucht werden, durch zähe Kleinarbeit den Preisabbau auf dem Lebensmittelmarkt weiterzuführen.

[…]

III. Reichsfinanzministerium21.

21

In der Zusammenstellung der Rkei (vgl. Anm. 1) ist für das RFMin. als Beratungsgegenstand aufgeführt: „Erneute Herabsetzung der Zinsen für öffentliche Gelder (Maßstab: Privatdiskont) bei Reich, Ländern und Gemeinden.“

Staatssekretär Fischer berichtete über die Wirkung, die die letzte Aktion zur Herabsetzung der Zinsen für öffentliche Gelder22 in ausländischen Kreisen gehabt habe. Es sei der Eindruck entstanden, als ob die Reichsregierung mit dieser Maßnahme die Diskontpolitik der Reichsbank23 zu durchkreuzen beabsichtige. Mit Rücksicht darauf und angesichts der veränderten Umstände auf dem Geldmarkte empfahl er, von einer neuen Aktion, die öffentlich bekanntgemacht werde, Abstand zu nehmen. Das Ziel solle dabei unverändert eine möglichste Ermäßigung der Zinsen bleiben.

22

Vgl. Anm. 4 zu Dok. Nr. 154 und Dok. Nr. 163.

23

Vgl. Anm. 13 zu Dok. Nr. 258 und Anm. 5 zu Dok. Nr. 291.

Der Reichsminister der Finanzen empfahl, im Rahmen der Preissenkungsaktion mit den Girozentralen bezüglich einer Herabsetzung ihrer Zins- und Provisionssätze Verhandlungen aufzunehmen.

Dem wurde zugestimmt.

Der Reichsminister der Finanzen wird entsprechend verfahren24.

24

Über das Ergebnis dieser Verhandlungen berichtet der RFM mit Schreiben an StSRkei vom 7. 5.: Die Girozentralen hätten sich der Vereinbarung über Zins- und Provisionssätze, die er im September 1925 mit den in Frage kommenden Reichsstellen getroffen habe (vgl. Anm. 4 zu Dok. Nr. 154), angeschlossen (R 43 I /1496 , Bl. 235).

IV. Reichspostministerium25.

25

Die Zusammenstellung der Rkei (vgl. Anm. 1) führt als Beratungsgegenstand auf: „Herabsetzung der Tarife: a) Telephongebühren, b) Telegrammgebühren, c) Kosten des Geldverkehrs.“

Der Reichspostminister erklärte, daß sich die Situation nicht geändert habe. Eine Herabsetzung von Gebühren im Telegramm- und Telefonverkehr sei nur möglich, wenn gleichzeitig das Briefporto erhöht werde.

[1139] Der Reichskanzler und der Reichsminister der Finanzen gaben zu erwägen, ob nicht durch eine erhebliche Senkung der Gebühren, vielleicht bis zu 50%, der Verkehr für Telegramme und Telefon so gesteigert werden könne, daß der durch die Gebührenermäßigung entstehende Gebührenausfall wettgemacht werde. Sie baten den Reichspostminister, diese Frage doch noch einmal eingehend prüfen zu lassen.

Der Reichspostminister wies darauf hin, daß diese Prüfung dauernd stattfinde.

Der Reichskanzler erklärte, daß er es unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr für unmöglich halte, eine Erhöhung des Briefportos gegebenenfalls vorzunehmen. Die Voraussetzungen, die ihn früher zu einer ablehnenden Stellungnahme veranlaßt hätten, seien nicht mehr in dem Maße gegeben wie bei Beginn der Preissenkungsaktion.

Der Reichswirtschaftsminister bat ebenfalls, eine Nachprüfung der Fernsprechgebühren vorzunehmen. Eine Portoerhöhung könne man wohl ins Auge fassen.

Der Reichspostminister wies darauf hin, daß er immer für eine Erhöhung des Briefportos gewesen sei. Im übrigen könne es sich aber im Augenblick nicht darum handeln, Beschlüsse zu fassen. Er sei aber bereit, die Frage nochmals eingehend zu prüfen. Vielleicht sei es empfehlenswert, dem Kabinett gelegentlich einen eingehenden Bericht über den Verkehr im Telefon- und Telegrammwesen zu geben. Die Telefongebühren seien übrigens gar nicht so hoch. Er möchte nur darauf hinweisen, daß ein Gespräch von New York nach San Francisco 26 Dollar koste.

Die Anregung, einen eingehenden Bericht über den Fernsprech- und Telegrammverkehr dem Kabinett zu geben, wurde begrüßt. Der Reichspostminister wird an Hand von Schaublättern diesen Bericht dem Kabinett alsbald erstatten lassen26.

26

Ein solcher Bericht wird in der restlichen Amtszeit des Kabinetts nicht erstattet.

V. Reichsverkehrsministerium27.

27

In der Zusammenstellung der Rkei (vgl. Anm. 1) ist für das RVMin. aufgeführt: „1. Tarifrevision, 2. Behandlung der Lager- und Standgelder.“

Der Reichsverkehrsminister erklärte, daß eine allgemeine Ermäßigung der Tarife der Reichsbahn nicht in Frage komme. Bezüglich der Lager- und Standgelder seien in letzter Zeit Klagen nicht laut geworden.

Der Generaldirektor der Reichsbahn Oeser gab einen Bericht über die Lage der Reichsbahn. Die Lage sei sehr ernst. Die Reparationsansprüche stiegen, gesetzliche Rücklagen müßten gemacht werden, der Verkehr gehe zurück. Die Einnahmen im Güterverkehr zeigten jetzt gegenüber dem Voranschlag einen täglichen Rückgang von 2 Millionen Mark. Eine 10%ige Ermäßigung der Gütertarife bedeute einen Einnahmeausfall von 280–290 Millionen Mark. Dieser könne nicht getragen werden. Eine allgemeine Tarifrevision sei in Vorbereitung. Allerdings bezweifle er, daß sich dabei eine Tarifermäßigung ergebe. Es[1140] müsse im Auge behalten werden, daß schon jetzt 62% aller transportierten Waren zu Ausnahmetarifen gefahren würden. Seit Gründung der Reichsbahngesellschaft28 seien nicht weniger als 95 Ausnahmetarife eingeführt worden. Der Stand der Verkehrseinrichtungen sei nicht besonders günstig. An Lokomotiven und Güterwagen sei allerdings Überfluß vorhanden. 5–6000 Lokomotiven ständen still und 100 000 Güterwagen seien nicht in Betrieb. Dagegen sei der Oberbau sehr reparaturbedürftig, desgleichen die Brücken und die Stoß- und Zugeinrichtungen. Dafür würden erhebliche Mittel benötigt. Zur Zeit zehre die Reichsbahngesellschaft von den Rücklagen, die sie früher habe machen können.

28

Am 11.10.24, s. die Bekanntmachung im RGBl. II, S. 386 .

Der Reichsverkehrsminister wies ergänzend darauf hin, daß Abschreibungen in genügendem Umfange nicht hätten gemacht werden können. Bei der Reichsbahn werde es sich wahrscheinlich zuerst zeigen, daß der Dawesplan nicht durchführbar sei, es sei denn, daß auf die Belange der Volkswirtschaft keine Rücksicht genommen werde.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß seitens des Reichswirtschaftsministeriums auf eine allgemeine Ermäßigung der Tarife nicht gedrängt werde. Er kam dann auf die Frage der Bereitstellung von 50 Millionen Mark zu sprechen. Leider seien Schwierigkeiten entstanden, er hoffe aber, daß sich diese bald ausräumen ließen. Zu erwägen sei, ob nicht noch wesentlich größere Mittel für die Zwecke der Reichsbahn flüssig gemacht werden sollen. Was die Lager- und Standgelder anlange, so würden Klagen besonders über die Tarife der Rollfuhrunternehmungen geführt. Er bäte, sich dieser anzunehmen.

Der Generaldirektor der Reichsbahngesellschaft Oeser erwiderte, daß die Reichsbahn die angebotenen 50 Millionen Mark dringend benötige. Der Verwaltungsrat habe ihn beauftragt, ein Programm für die Verwendung aufzustellen. Eine Erhöhung der Mittel wäre sehr wünschenswert. Die erwähnten Schwierigkeiten kämen daher, daß das Reichsfinanzministerium nur einen Kurs für die zu übergebenden Vorzugsaktien bewilligen wolle, der so niedrig sei, daß ihn die Reichsbahngesellschaft nicht annehmen könne29.

29

Die Dt. RB-Gesellschaft ist nach § 4 ihrer Satzung (RGBl. 1924 II, S. 272 ) berechtigt, Vorzugsaktien bis zu einem Höchstbetrag von 2 Mrd. GM auszugeben. Sie kann die Ausgabebedingungen und den Ausgabekurs nach freiem Ermessen festsetzen, „sofern nicht die Vorzugsdividende höher ist als sieben vom Hundert und sofern der Ausgabekurs mindestens den Nennwert erreicht. Die Gesellschaft muß sich dagegen mit der Reichsregierung ins Einvernehmen setzen, wenn es sich etwa um Sicherstellung der Ausgabe der Aktien als nötig herausstellen sollte, solchen Ausgabebedingungen zuzustimmen, die für die Gesellschaft ungünstiger wären.“

Der Reichsminister der Finanzen teilte mit, daß er bisher über die Verhandlungen bezüglich der 50 Millionen Mark immer dahin unterrichtet worden sei, daß die Schwierigkeiten bei der Reichsbahn lägen. Er sei erstaunt zu hören, daß die Reichsbahn in ihrem Interesse nicht nur die 50 Millionen Mark zu erhalten wünsche, sondern sogar noch für höhere Mittel Verwendung habe. Die Bedenken der Reichsbahn hätten, wie ihm mitgeteilt worden sei, darin bestanden, daß sie sich noch nicht darüber schlüssig geworden sei, ob sie die auszuhändigenden Vorzugsaktien verzinsen könne. Was den Kurs anlange, so könne er ausgehandelt werden. Ein höherer Kurs als der bisher angebotene sei wohl[1141] berechtigt. Er sei bereit, entgegenzukommen. Vielleicht sei es zweckmäßig, tunlichst bald eine Sitzung im Reichsverkehrsministerium zur Klärung der Situation abzuhalten.

Der Reichskanzler bat, ihn an der Sitzung zu beteiligen. Er empfahl, noch im Laufe dieser Woche eine Chefbesprechung unter Zuziehung des Generaldirektors der Reichsbahngesellschaft in der Reichskanzlei abzuhalten.

Dem wurde zugestimmt. An der Sitzung werden außer dem Reichskanzler und dem Generaldirektor der Reichsbahngesellschaft der Reichsminister der Finanzen, der Reichswirtschaftsminister und der Reichsverkehrsminister teilnehmen30.

30

In dieser Chefbesprechung, die am 19. 2. stattfindet, schlägt StS Fischer vor: „Das Reich erwerbe 50 Millionen Vorzugsaktien von der Reichsbahn. Ein endgültiger Übernahmekurs werde jedoch erst dann festgesetzt, wenn das Reich eine länger als 10 Jahre laufende Anleihe aufnehme. Als Zinsfuß könne der jeweilige Debet-Schatzwechselzinsfuß gelten. Den zweiten Betrag in Höhe von 50 Millionen Mark könne das Reich der Reichsbahn als Darlehen geben gegen Lombardierung eines Pakets Vorzugsaktien in gleicher Höhe.“ Dazu erklärt Generaldirektor Oeser, er könne dieser Anregung nur hinsichtlich der erstgenannten 50 Mio RM zustimmen, und weist darauf hin, daß die RB darüber hinaus einen Betrag von 150 Mio RM für die Elektrifizierung der Berliner Stadtbahnen benötige. Es wäre erwünscht, wenn das Reich eine Garantie für die Verzinsung von 150 Mio Vorzugsaktien, die die RB begeben wolle, übernehmen könne. Nach Ablehnung dieses Vorschlages durch den RFM stellt der RK als Ergebnis der Besprechung fest: Es solle dem Eisenbahnkommissar Leverve mitgeteilt werden, „daß das Reich auf Grund seiner Kassenlage bereit sei, den ursprünglich der Reichsbahn in Aussicht gestellten Betrag von 50 Millionen Mark auf 100 Millionen Mark zu erhöhen. Dann müsse das Reich jedoch von der Reichsbahn Vorzugsaktien in gleicher Höhe erhalten.“ (Protokoll in R 43 I /1050 , Bl. 245 f.). Zum Fortgang s. Dok. Nr. 352, P. 3 und 4, dort bes. Anm. 20. u. 22.

[…]

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