1.98.1 (lut2p): [Gesetzentwurf betr. Förderung des Preisabbaus]

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[Gesetzentwurf betr. Förderung des Preisabbaus]

Der Abgeordnete Esser führte aus, daß das Handwerk außerordentlich beunruhigt über den Gesetzentwurf betreffend Förderung des Preisabbaus1 sei. Das Handwerk habe schon von sich aus sehr viel getan, um die Bestrebungen der Reichsregierung hinsichtlich einer Preissenkung zu unterstützen. Wenn Auswüchse im Innungsleben beständen, so reiche zu ihrer Bekämpfung die bestehende Gesetzgebung schon aus. Eine Sondergesetzgebung sei nicht notwendig, zumal Kartelle und Syndikate ungeschoren blieben. Das gesamte Handwerk fasse das genannte Gesetz als ein Ausnahmegesetz gegen das Handwerk auf. Außerdem sei das Handwerk der Überzeugung, daß dieses Gesetz absolut[1047] nicht im Interesse einer Preissenkung liege. Dies die sachliche Seite. Politisch stehe es so, daß die Wirtschaftspartei gegen den Gesetzentwurf sei und sich deshalb an der Regierungsbildung nicht beteiligt habe. Die Deutschnationalen entfesselten neuerdings eine starke Agitation gegen das Gesetz. Dadurch sei die Stellung der Handwerkervertreter in den Regierungsparteien eine sehr prekäre. Wenn bis zur Abstimmung über die Regierungserklärung hinsichtlich dieses Gesetzes seitens der Reichsregierung nichts geschehe, so sei er nicht in der Lage, an einer Vertrauensabstimmung teilzunehmen und müsse sein Mandat niederlegen. Er möchte daher die dringende Bitte aussprechen, daß dieser Gesetzentwurf durch einen anderen ersetzt werde.

1

Der vom Kabinett am 5.12.25 verabschiedete Entw. (s. Dok. Nr. 236, P. 2 und Nr. 242, P. 1 und 2) liegt z. Z. dem RR vor (RR-Drucks. Nr. 184, Bd. 1925 II).

Der Abgeordnete Havemann wies darauf hin, daß die Richtpreise jetzt schon nur noch wenig praktische Bedeutung im Handwerk hätten. Durch den Gesetzentwurf werde aber die ganze Organisation des Handwerks zerstört. Insbesondere werde es gar nicht mehr möglich sein, das bestehende Schulwesen aufrechtzuerhalten. Die Preise im Handwerk würden durch die Löhne und die Materialpreise bestimmt. Der Verdienst des Handwerks sei nur 5 bis 20% und in diese Preisspanne versuche der Gesetzentwurf einzugreifen. Man sollte doch offen sagen, daß, solange die Belastungen mit Steuern, sozialen Abgaben, Daweslasten u. dergl. beständen, keine Aussicht auf einen Preisabbau bestehe. Das Gesetz stelle nach seinem Gefühl eine Sozialisierung schlimmster Art dar. Die DVP werde dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Der Artikel I (Geschäftsaufsicht) sei mit einigen Abänderungen tragbar. Vielleicht könne man den herausnehmen und unter diesem Gesichtspunkt den ganzen Gesetzentwurf zunächst zurückziehen.

Der Abgeordnete Bartschat bezeichnete den Gesetzentwurf besonders bezüglich der Bestimmungen über die Ringbildung als Eingriff in das durch die Verfassung gewährte Koalitionsrecht2. Er erfordere also, da er verfassungsändernd sei, eine Zweidrittelmajorität. Auch in seiner Fraktion herrsche die Stimmung, daß dieses Gesetz nicht dem Reichstag vorgelegt werden dürfe. Er glaube auch, daß die Vertreter seiner Partei im Kabinett das Gesetz gar nicht übernehmen würden. Wenn die Deutschnationalen in Opposition gegenüber diesem Gesetz gingen, dann müßten sie sich ebenso verhalten, da sie sonst ihre Anhänger verlören.

2

Betrifft Art. 159 der RV, welcher lautet: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“

Der Abgeordnete Loibl schloß sich im wesentlichen den Ausführungen der Vorredner an. Auch in Bayern herrsche große Erregung. Der Gesetzentwurf bedeute einen Bruch mit der Tradition und komme einer Auflösung des korporativen Handwerks gleich. Das Handwerk solle gewissen politischen Vorurteilen geopfert werden. Artikel 2 und 4 des Gesetzes seien nicht tragbar3. Die Bayerische Regierung werde die gleiche Stellung einnehmen.

3

Vgl. unten Anm. 7.

Der Reichskanzler erwiderte, daß die neue Regierung sich mit dem alten Gesetzentwurf noch nicht befaßt habe. Auch habe er persönlich noch keine Gelegenheit[1048] gehabt, mit dem neuen Reichswirtschaftsminister4 über dieses Gesetz zu sprechen. Er nehme aber an, daß sich das Kabinett mit dem Gesetzentwurf in Kürze befasse. Was den Inhalt des Gesetzentwurfs anlange, so sei es kein Ausnahmegesetz gegenüber dem Handwerk. Wenn die Kartelle darin nicht in gleicher Weise wie das Handwerk behandelt würden, so deswegen, weil ein Kartellgesetz bereits bestehe5. Im übrigen sei auch dies nur mit einfacher Majorität angenommen, und so glaube er, daß auch das neue Gesetz keinen Eingriff in die Verfassung bedeute. Von Sozialisierungsbestrebungen könne keine Rede sein. Der Handwerkerschutz werde durch das Gesetz nicht aufgehoben. Das Gesetz verfolge nur den Gedanken, diesen Schutz in Einklang zu bringen mit der Notwendigkeit, unser Wirtschaftsleben neu aufzubauen. Weitere Ausführungen könne er im Augenblick nicht machen.

4

Curtius.

5

S. die „Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen“ vom 2.11.23 (RGBl. I, S. 1067 ).

Der Abgeordnete Esser erwiderte, daß sie zunächst auch nicht mehr erwartet hätten, er bäte aber, daß der Reichswirtschaftsminister sobald als möglich mit den Handwerker-Vertretern Fühlung aufnehme.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß er entsprechende Weisungen bereits erteilt und die Absicht habe, sich bereits am Montag [25. 1.] mit den Handwerkern in Verbindung zu setzen. Es käme ihm darauf an festzustellen, ob es möglich sei, das Entgegenkommen, das das Handwerk bereits freiwillig gezeigt habe, weiter und sichtbarer auszubauen.

Der Reichskanzler bat, von der Besprechung für Montag abzusehen, da der Montag für die Vorbereitung der Regierungserklärung freigehalten werden müsse. Grundsätzlich sei er durchaus damit einverstanden, daß das Reichswirtschaftsministerium erneut mit den Vertretungen des Handwerks Fühlung nehme.

Die Vertreter des Handwerks baten daraufhin, in die Regierungserklärung einen Passus aufzunehmen, der die nochmalige Überprüfung der Gesetzentwürfe zusichere.

Der Reichskanzler erklärte sich bereit, eine diesbezügliche Bemerkung in die Regierungserklärung aufzunehmen, auf deren Grundlage dann die gemeinsame Arbeit mit dem Handwerk wieder aufgenommen werden könne6.

6

In der Regierungserklärung hierzu Luther am 26. 1.: Die RReg. sei davon überzeugt, daß die Preissenkungsaktion mit Nachdruck fortgesetzt werden müsse, „um die Wirtschaft von übermäßigen Preisbelastungen zu befreien und dadurch gerade auch die gesunden Kräfte sowohl der Großwirtschaft wie des gewerblichen Mittelstandes in ihrer Lebensfähigkeit zu stärken“. Von besonderer Wichtigkeit sei daher „die alsbaldige Verabschiedung eines Gesetzes über die Beseitigung der Geschäftsaufsicht“ (RT-Bd. 388, S. 5148 ).

Die Besprechung mit den Vertretern des Handwerks im Reichswirtschaftsministerium wurde für Donnerstag [28. 1.] oder Freitag nächster Woche in Aussicht genommen7.

7

Über eine derartige Besprechung in den Akten der Rkei nichts ermittelt. Am 15. 2. übersendet der RWiM eine Aufzeichnung über die vom Handwerk insbes. gegen Art. IV des GesEntw. zur Förderung des Preisabbaus vorgebrachten Einwände. Zum Inhalt s. Anm. 9 zu Dok. Nr. 294.

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