2.161.1 (ma11p): Lohntarifvertrag der Reichspostverwaltung.

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Lohntarifvertrag der Reichspostverwaltung1.

1

Eine diesbezügliche Kabinettsvorlage war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln. Nach Zeitungsmeldungen hatten die Gewerkschaften unter Hinweis auf die bevorstehende Aufbesserung der Beamtengehälter (vgl. Anm. 3) eine Erhöhung der Löhne der Post- und Eisenbahnarbeiter gefordert.

Staatssekretär Sautter teilte zunächst mit, daß es ihm gestern abend nicht mehr gelungen sei, den von Berlin abwesenden Herrn Reichspostminister telefonisch zu erreichen. Heute vormittag habe er mit ihm gesprochen und sei nunmehr in der Lage, den Standpunkt des Herrn Reichspostministers wiederzugeben.

Die Einführung des neunstündigen Arbeitstages habe in der Lohnfrage neue Verhandlungen nötig gemacht. Dabei sei es nicht gelungen, eine Einigung zu erzielen, so daß nichts weiter übriggeblieben sei, als den bestehenden Tarif zum 31. März zu kündigen.

Die danach neu eingeleiteten Verhandlungen hätten gestern abend zu einer Einigung geführt, der neue Tarifvertrag selbst sei noch nicht unterzeichnet. Gestern habe nun das Reichsfinanzministerium seine schweren Bedenken gegen dieses Vorgehens des Reichspostministeriums geltend gemacht2, insbesondere sei darauf hingewiesen worden, daß eine gleichartige Regelung bei den übrigen Verwaltungen einen Mehrbedarf von etwa 90 Millionen Goldmark jährlich erfordere. Es sei ein Zufall, daß das Datum des Inkrafttretens des neuen Tarifvertrages mit dem Zeitpunkt einer Erhöhung der Beamtengehälter3 zusammenfalle. Das Reichspostministerium habe festgestellt, daß die Arbeiter in der Schwachstromindustrie mehr als das Doppelte des Lohnes der Telegraphenarbeiter der Reichspost erhielten. Das habe zur Folge, daß die Arbeiter des Reiches in großer Zahl zur Privatindustrie übergingen. In Berlin seien beispielsweise[511] etwa 70 tüchtige Telegraphenarbeiter abgewandert. Die Reichspost müsse bei ihren Lohnverhandlungen die Löhne der Industrie zum Vergleich heranziehen.

2

In einer Chefbesprechung am 28. 3., 19 Uhr in der Rkei hatte RFM Luther das eigenmächtige Vorgehen des RPMin. beim Abschluß des neuen Lohntarifvertrages kritisiert. Die vorgesehenen Lohnerhöhungen hätten „eine äußerst bedenkliche Präjudizwirkung auf die gesamten Lohnverhältnisse im Reiche“. Man müsse sich darüber klar sein, „daß nach den Erfahrungen der vergangenen Monate die geringste Bewegung von der Lohnseite her auf dem Wege über eine Preissteigerung in allerkürzester Zeit zu einer unaufhaltsamen Inflation mit allen verheerenden Folgen führen müsse“. Die Unterzeichnung des Tarifvertrages müsse vorläufig unterbleiben und die Angelegenheit dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt werden (Protokoll in R 43 I /1393 , Bl. 208 f.).

3

Die vom Kabinett beschlossene Erhöhung der Beamtengehälter soll am 1. 4. wirksam werden (vgl. Dok. Nr. 148, P. 1, bes. Anm. 4).

Es entstehe nun die Frage, ob etwa eine Hinausschiebung des Inkrafttretens des neuen Tarifvertrages möglich sei. Er sei in der Lage, den Vorschlag zu machen, den neuen Vertrag nicht am 1. April, sondern erst später, und zwar am 7. April in Kraft treten zu lassen. Die vorgesehene Erhöhung der Löhne bedeute im Höchstfalle eine etwa 25%ige Steigerung. Ein Nichtabschluß des Tarifvertrages würde kritische Folgen haben, insbesondere Streik oder Leistungsverminderung nach sich ziehen. Die Postverwaltung habe z. Zt. etwa 60 000 neue Anschlüsse herzustellen, und jede Verzögerung bedeute einen großen materiellen Verlust für den Staat. Ferner würde die Nichtanerkennung des Vertrages dem Reichspostministerium als Wortbruch gedeutet werden, jedenfalls müsse das Reichspostministerium die Verantwortung für die Folgen ablehnen.

Er stelle daher den Antrag, dem Abschluß des Tarifvertrages nicht zu widersprechen.

[…]

Ministerialdirektor v. Schlieben beantragte, 1. dem Tarifvertrag die Zustimmung zu versagen und dem Reichspostministerium aufzugeben, auf Grund des Vorschlages Schilling in neue Verhandlungen einzutreten, 2. einen Beschluß dahin zu fassen, daß in Zukunft ohne Beteiligung des Reichsfinanzministeriums und der zuständigen Ressorts keine Verhandlungen in Tariffragen geführt werden dürften.

[…]

Der Reichskanzler bedauerte lebhaft, daß es dem Herrn Reichspostminister nicht möglich sei, an der Sitzung teilzunehmen, die Lage erfordere aber eine sofortige Klärung, und er stelle daher an das Kabinett folgende Fragen:

1. Solle die Angelegenheit vertagt werden?

Das Kabinett lehnte Vertagung gegen die Stimme des Staatssekretärs Sautter ab. Dieser ablehnende Beschluß wird gestützt auf die Tatsache, daß jede Verzögerung eine Gefährdung des Währungszustandes bedeute.

2. Wie soll in Zukunft bei Tarifverhandlungen verfahren werden, um ähnliche Schwierigkeiten zu vermeiden?

Das Kabinett beschloß, daß von jetzt ab die Verhandlungen über Löhne der Reichsarbeiter nur unter Zuziehung des Reichsfinanzministeriums, des Reichsarbeitsministeriums und der übrigen beteiligten Ressorts sowie in steter Fühlungnahme mit den genannten Ressorts stattfinden dürfen4.

4

Der neue Tarifvertrag für die Arbeiter der Reichspostverwaltung wird am 31. 3. mit Wirkung vom 1. 4. abgeschlossen (Amtsblatt des RPMin. 1924, S. 167 f. und Anlage). Vgl. hierzu Dok. Nr. 166, Anm. 1.

[…]

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