2.202.1 (ma11p): 1. Grundlinien eines Gesetzes und Statuts für die Reichsbahn.

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1. Grundlinien eines Gesetzes und Statuts für die Reichsbahn.

Staatssekretär Fischer berichtete über den Stand der Verhandlungen in den Ressorts und führte aus, daß das Kabinett zu verschiedenen wichtigen Zweifelspunkten Stellung nehmen müsse.

Staatssekretär Vogt berichtete über den Gesetzentwurf des Reichsverkehrsministeriums an Hand der dem Kabinett vorgelegten Gesichtspunkte1.

1

Der Entwurf eines Gesetzes und einer Satzung der Dt. RB-Gesellschaft gemäß dem Sachverständigen-Gutachten wird dem Kabinett erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeleitet (vgl. Dok. Nr. 218, Anm. 11). Dem Kabinett liegt lediglich ein vom RVMin. zusammengestellter stichwortartiger Katalog von Fragen („Gesichtspunkten“) vor, die bei den bevorstehenden Verhandlungen des Organisationskomitees für die RB-Gesellschaft in Paris erörtert werden sollen (in der Anlage zum obigen Protokoll).

Staatssekretär Joel glaubte, daß es besonders aus innenpolitischen Gründen nicht möglich sei, diese Gesetzentwürfe den Beratungen in Paris zu Grunde zu legen. Auch seien dieselben noch nicht juristisch überprüft.

Staatssekretär Fischer wies darauf hin, daß die Gegenseite wohl mehr erwarte als lediglich ein Verhandeln über Grundsätze und Richtlinien. Auch müsse damit gerechnet werden, daß die Gegenseite die Vorlage der Entwürfe verlange. Es müsse daher so schnell wie möglich eine Klärung über die Entwürfe herbeigeführt werden.

Staatssekretär Joel führte ergänzend aus, daß eine Textvorlage eine endgültige Festlegung der Reichsregierung darstelle, die politisch schwer tragbar sei. Aus diesem Grunde wünschte er einen anderen Weg zu gehen.

Der Reichswirtschaftsminister schloß sich an sich der Auffassung des Staatssekretärs Joel an, glaubte aber, daß eine erste Formulierung der Entwürfe notwendig sei; daher müßten die Entwürfe mindestens das Maximum der verständigen Forderungen enthalten. Die vorgelegten Entwürfe seien als das Privatwerk der Mitglieder des Organisationskomitees anzusehen.

Der Vizekanzler war ebenfalls der Auffassung des Staatssekretärs Joel. Allerdings müßte vermieden werden, daß die Gegenseite dazu überginge, Paragraphen zu formulieren und Entwürfe von sich aus vorzulegen.

Staatssekretär Joel glaubte, daß gegen eine Formulierung der einzelnen Paragraphen von Fall zu Fall keine Bedenken beständen.

Staatssekretär Fischer hielt dies Verfahren für unmöglich. Auf keinen Fall[645] dürften sich die Mitglieder der Organisationskomitees hinter die formelle Abwesenheit der Regierung zurückziehen. Daraus würden sofort Schwierigkeiten entstehen. Eine Formulierung der Entwürfe müsse den Mitgliedern an Hand gegeben werden. Deren Sache sei es dann, diese in geeigneter Form zu verwerten. In den wesentlichen Punkten seien außerdem den Mitgliedern bindende Instruktionen mitzugeben. Unratsam erschiene ihm vor allem die Vorwegbehandlung der wichtigsten Punkte. Die Gegenseite werde dadurch nur klug gemacht. Die innenpolitischen Bedenken müßten zurückgestellt werden. Die Entwürfe müßten von Berlin aus gedeckt sein.

Der Reichskanzler hielt diesen Weg für möglich, falls man über die innenpolitischen Bedenken, also über die Bindung des Kabinetts durch die Vorlage der Entwürfe, hinwegkäme.

Der Reichsarbeitsminister sah in einer an sich möglichen Hinzögerung die Gefahr, daß die kritischen Punkte durch die dann notwendigen Verhandlungen besonders hervorgehoben werden würden und außerdem, daß die Gegenseite mit Entwürfen herauskomme. Unter diesen Verhältnissen glaube er, daß es sehr schnell notwendig werden könne, mit Entwürfen hervorzutreten.

Auf die Frage, ob die Entwürfe das letzte Wort seien, erwiderte Staatssekretär Fischer, daß die Beschlüsse der Organisationskomitees anzunehmen oder abzulehnen seien. Es fänden jedoch zwei Lesungen statt, und es werde genügend Zeit sein, die Wünsche der Regierung gegenüber der ersten Lesung zum Ausdruck zu bringen.

Der Reichsarbeitsminister hielt die juristische Prüfung spätestens bis Donnerstag [22. 5.] für notwendig und hielt dann ein Handeln für wichtiger als ein Nichthandeln mit Rücksicht auf die innenpolitischen Bedenken.

Der Gesandte Ritter warnte davor, sich durch ein Hinzögern dem Vorwurf der Sabotage auszusetzen. Außerdem sei es zweckmäßiger, die Regierungsentwürfe vor dem Organisationskomitee zu verhandeln als vor der Reparationskommission.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die Entwürfe vom Reichsjustizministerium bis Donnerstag juristisch nachgeprüft würden, etwaige Änderungen seien der Delegation sofort zuzustellen. Diese könne dann nach Gutdünken mit den Entwürfen hervortreten. In den entscheidenden Fragen sei die Delegation mit bindenden Instruktionen der Reichsregierung zu versehen2.

2

In der Instruktion StS Fischers vom 20. 5. für die dt. Vertreter im Organisationskomitee für die RB, StS Vogt und Bergmann, heißt es: Bei den Verhandlungen im Organisationskomitee in Paris solle der Entwurf eines RB-Gesetzes und eines RB-Statuts, der von den Reichsressorts noch geprüft werde, zunächst nur intern als Grundlage dienen und den ausländischen Komiteemitgliedern nicht vorgelegt werden. „Sofern die taktische Lage es indessen notwendig machen sollte, bestimmte Formulierungen zugrunde zu legen, insbesondere wenn zu befürchten steht, daß die Initiative der Gegenseite zu Formulierungen führt, welche den dt. Interessen abträglich wären, kann der Entwurf in geeigneter Weise als das Ergebnis der Vorarbeiten der dt. Vertreter und unter dem Vorbehalt der endgültigen Stellungnahme bei den Verhandlungen auch der Gegenseite gegenüber verwendet werden.“ In bestimmten Fragen dürfe von den Grundsätzen des Entwurfs nicht abgewichen werden. Diese Grundsätze werden in der Instruktion im einzelnen aufgeführt (R 43 I /1049 , Bl. 53-57, hier: Bl. 54). Vgl. hierzu die folgenden Festlegungen in der obigen Kabinettssitzung sowie die folgenden Anmerkungen.

Das Kabinett stimmte dem zu.

[646] Staatssekretär Vogt fuhr in seinem Bericht fort. Die auf Grund desselben erfolgte Beratung ergab, daß als bindend für die Delegation auf Beschluß des Kabinetts folgende Grundsätze anzusehen sind:

1.

Die Gesellschaft ist eine Betriebsgesellschaft3;

2.

der Vorsitzende und die Mitglieder des Verwaltungsrats sind durch den Reichspräsidenten zu bestätigen;

3.

die Mitglieder des Verwaltungsrats, die auf Vorzugsaktionäre entfallen, müssen Deutsche sein;

4.

die vom Trustee zu benennenden 5 Mitglieder müssen Deutsche sein4;

5.

die Wahl des Vorsitzenden aus der Reihe der Vertreter der Vorzugsaktionäre ist erst dann möglich, wenn 4 Vertreter der Vorzugsaktionäre dem Verwaltungsrat angehören;

6.

sämtliche Vorschläge des Reichsverkehrsministeriums betreffend Eisenbahnkommissar5;

7.

sämtliche Vorschläge des Reichsverkehrsministeriums betreffend Hoheitsrechte der Reichsregierung6;

8.

der Rechnungshof des Deutschen Reichs hat die Kontrolle des Reichs über die Reichsbahn auszuüben;

9.

die Reichsbahn hat sich in ihrer Geldpolitik den Grundsätzen der Reichsbank anzuschließen und die Durchführung im Benehmen mit dem Reich zu gestalten;

10.

das Schiedsgericht7 ist nicht anzurufen in den Fällen, in denen es sich um die Handhabung der Hoheitsrechte handelt.

3

Die Instruktion für Bergmann und Vogt (s. Anm. 2) formuliert den dt. Standpunkt in dieser Frage folgendermaßen: „Die durch das Gesetz zu errichtende Gesellschaft Dt. RB ist eine Betriebsgesellschaft, das Eigentum an dem Fundus der Eisenbahn verbleibt dem Reich, das Reich steht demgemäß dem Unternehmen als Inhaber der Eigentumsrechte gegenüber, soweit dieses Recht nicht durch besondere Bestimmungen eingeschränkt ist.“

4

Hierzu heißt es in der Instruktion: „Von den 9 vom Treuhänder zu ernennenden Mitgliedern des Verwaltungsrats müssen 5 die Reichsangehörigkeit besitzen. Die von den Inhabern der Vorzugsaktien zu wählenden Mitglieder des Verwaltungsrats müssen ebenfalls die Reichsangehörigkeit besitzen.“ Vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 29 und 127.

5

Hierzu in der Instruktion: „Die Befugnisse des [ausländischen] Eisenbahnkommissars dürfen nicht weitergehen als im Entwurfe vorgesehen ist. Ihm steht insbesondere nicht das Recht der Veräußerung oder der Verpachtung bei Eintritt der Pfandreife zu, sondern lediglich die Befugnis zur Übernahme des Betriebs mit den Rechten des Vorstandes.“ Vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 127 ff.

6

In der Instruktion heißt es lediglich: „An den nach dem Entwurf dem Reich zustehenden Hoheits- und Aufsichtsrechten ist unbedingt festzuhalten.“

7

Zum Schiedsgericht s. Sachverständigen-Gutachten, S. 132.

Des weiteren beschloß das Kabinett, ohne diesen Beschlüssen bindende Form zu geben, daß

1.

der Generaldirektor nur auf Zeit, also nicht lebenslänglich, anzustellen ist;

2.

eine Generalversammlung nicht abgehalten wird unter der Voraussetzung, daß ein Kommissar des Reichs an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnimmt8;

3.

[647]die Kosten des Kommissars ebenfalls zu Lasten des Gesamtbetrages gehen9;

4.

die Reparationslast der Reichsbahn herabgesetzt oder wenigstens gestundet wird, wenn die jährlich geleistete Tonnenkilometerzahl unter eine gewisse Grenze zurückgegangen ist10.

8

Unklar formuliert. In der Instruktion heißt es hierzu: „Zur Vertretung der Rechte und Belange des Reichs soll ein Kommissar des Reichs zu den Beratungen des Verwaltungsrats zwecks beratender Teilnahme entsandt werden.“

9

Gemeint ist anscheinend: Die Kosten für den ausländischen Eisenbahnkommissar sollen nicht von der RB-Gesellschaft getragen, sondern auf die gesamte dt. Reparationsschuld angerechnet werden.

10

Zu den Verhandlungen des Organisationskomitees für die RB-Gesellschaft in Paris vgl. den Bericht StS Vogts in der Kabinettssitzung vom 11. 6. (Dok. Nr. 218, P. 2).

[…]

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