2.73.4 (ma11p): 4. Rhein-Ruhr-Frage. a) Verhandlungen des Wirtschaftsausschusses.

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[278]4. Rhein-Ruhr-Frage.
a) Verhandlungen des Wirtschaftsausschusses.

Der Vizekanzler teilte mit, daß er von Geheimrat Hagen gebeten worden sei, eine Äußerung der Reichsregierung darüber zu veranlassen, ob eine Fortsetzung der Verhandlungen über die Gründung der rheinischen Goldnotenbank erwünscht sei. Er bitte um Ermächtigung, Herrn Geheimrat Hagen auf Grund der Beschlüsse der heutigen Sitzung eine entsprechende Mitteilung zukommen zu lassen.

Der Reichsarbeitsminister hielt es taktisch für unerwünscht, von seiten der Reichsregierung die Verhandlungen zu unterbrechen.

Der Reichswährungskommissar führte aus, daß der Gedanke, eine selbständige Rheinische Goldnotenbank zu gründen, sich von selber ausgelaufen habe, nachdem die Einrichtung einer zentralen Goldnotenbank des Reichs beschlossen und von dem Sachverständigenausschuß in Paris gutgeheißen sei13. Er halte es für unbedenklich, in diesem Sinne Geheimrat Hagen zu benachrichtigen14.

13

Vgl. oben Anm. 6.

14

Mit Schreiben vom 29. 1. an den RK teilt Hagen mit, er und seine Freunde hätten beschlossen, ihre Bemühungen um die Errichtung einer Rheinisch-Westfälischen Notenbank einzustellen. Dieser Beschluß gehe von der Voraussetzung aus, daß die von Schacht bestimmt in Aussicht gestellte Dt. Goldnotenbank tatsächlich zustande komme. Andernfalls müßten im Interesse des besetzten Gebiets die Verhandlungen erneut aufgenommen werden, „um der nach wie vor durch Mangel an wertbeständigen Zahlungsmitteln stark bedrängten Bevölkerung zu helfen“ (R 43 I /2442 , Bl. 127).

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß die Gefahr von Sonderverhandlungen einzelner rheinischer Gruppen in letzter Zeit erheblich geringer geworden sei, einmal infolge der allgemeinen politischen Entwickelung, sodann aber auch auf Grund der Haltung des französischen Ministerpräsidenten, der es wiederholt abgelehnt habe, einzelne inoffizielle Unterhändler in Paris zu empfangen15.

15

Vgl. Aufzeichnung Adenauers über eine Unterredung mit Tirard in Koblenz am 19.1.24, abgedr. bei K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, Dok. Nr. 34, S. 367 f.; Schreiben Adenauers an Marx vom 23.1.24, ebd., Dok. Nr. 35, S. 369 f.

Der Preußische Ministerpräsident bat, zu der allgemeinen Lage an Rhein und Ruhr das Wort ergreifen zu dürfen. Es habe bisher Einverständnis darüber geherrscht, daß eine Verständigung mit Frankreich angestrebt werden müsse. Immer aber sei dabei der Grundsatz in den Vordergrund gestellt worden, daß derartige Verständigungsversuche nicht zu politischen Verhandlungen führen dürften mit dem Ziele der Gründung eines selbständigen rheinischen Staatswesens. Würde das Rheinland wirtschaftlich und politisch von Preußen gelöst, so sei das Ausscheiden aus dem Reichsverbande die notwendige weitere Folge davon, und die französischen Annexionsziele seien verwirklicht.

In diesem Lichte betrachtet seien die jüngsten Ausführungen des Vorsitzenden der Handelskammer in Köln, über welche in der Presse berichtet worden sei, im höchsten Maße bedenklich. Die Preußische Staatsregierung habe Veranlassung genommen, einen Kommissar nach Köln zu entsenden, um den Wortlaut der Rede des Geheimrats Hagen festzustellen, und es sei von diesem[279] berichtet worden, daß Geheimrat Hagen sich darauf berufen habe, bei seinen Ausführungen im Einvernehmen mit den höchsten Reichsstellen gesprochen zu haben16. Diese Behauptung müsse mit aller Energie zurückgewiesen werden, und er bitte um eine entsprechende Kundgebung der Reichsregierung.

16

In einem vertraulichen Schreiben an den RK vom 25. 1. teilt der PrHandM Siering mit: Gelegentlich eines Essens der Handelskammer Köln am 11. 1. habe Hagen eine Rede gehalten, die in den Leipziger Neuesten Nachrichten unter der Überschrift „Hochverräterische Umtriebe im Rheinland“ sowie auch in anderen Zeitungen besprochen worden sei. Die Kölnische Volkszeitung und die Kölnische Zeitung hätten eine vom Syndikus der Handelskammer veranlaßte Berichtigung gebracht, „die den Kerngedanken der Rede, die Abtrennung des besetzten Gebiets von Preußen, nicht bestreitet“. Der PrHandM habe daraufhin im Einverständnis mit dem PrStMin. einen Kommissar zur Untersuchung der Angelegenheit nach Köln entsandt. In der Anlage zu diesem Schreiben findet sich eine zusammenfassende, nachträglich gefertigte „ungefähre Wiedergabe“ der fraglichen Rede Hagens. Darin heißt es: Wir stünden nach dem Verlust des Ruhrkampfes in einer schweren Krisis, aus der wir uns nur durch Lösung der Reparationsfrage und Hereinholung großer ausländischer Kredite retten könnten. Vorher müsse aber eine Verständigung mit Frankreich gefunden werden. Auf politische Hilfe von England und Amerika sei nicht zu rechnen. „Ohne ein schweres Opfer würde es aber nicht gehen, und dieses Opfer liege auf dem Gebiete der Sicherheit, die Frankreich für sich gegen neue Überfälle seitens Deutschlands fordere und die Frankreich höher als irgendwelche Zahlungen stelle.“ Aber nur wenn es gelänge, die Reparations- und Besatzungsfrage in ihrem ganzen Umfang zu lösen, die Hoheit des Reiches im besetzten Gebiet vollständig wiederherzustellen, die Zollgrenze zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet zu beseitigen usw., „sei das Opfer der Lösung von Preußen möglich, nur dann habe es einen Sinn“. Dieser Aufzeichnung ist eine Erklärung Hagens beigefügt, die dieser am 23. 1. gegenüber dem pr. Kommissar, StS Dönhoff, abgab. Danach habe Hagen sich entschlossen, die von ihm in seiner Rede am 11. 1. „berührte Frage der eventuellen und nur unter ganz bestimmten und stark formulierten Voraussetzungen in Frage kommenden Loslösung Rheinland-Westfalens vom preußischen Staatsverband“ zur Zeit nicht weiter zu verfolgen. Auch werde Hagen „von sonstiger politischer Tätigkeit in der Handelskammer und dem Wirtschaftsausschuß bis auf weiteres absehen“ und im Zweifelsfalle vorher mit den preußischen Stellen Fühlung nehmen (R 43 I /1839 , S. 27-41).

Der Reichskanzler berichtete über die verschiedenen Besprechungen, welche in der Reichskanzlei mit den Vertretern des besetzten Gebietes stattgefunden hätten. Diese hätten sich über den langsamen Fortgang der Verhandlungen mit Frankreich beschwert und hätten um die Ermächtigung gebeten, mit den Besatzungsmächten selbständig zu verhandeln. Es sei ihnen von der Reichsregierung darauf geantwortet worden, daß solche Verhandlungen, sofern sie rein wirtschaftlicher Natur seien, ihnen nicht verwehrt würden, sie dürften sich jedoch auf die Zustimmung der Reichsregierung nicht berufen; wenn sie verhandelten, täten sie es auf eigene Verantwortung. Sollte es sich als unvermeidlich erweisen, bei den Verhandlungen auch politische Fragen zu berühren, so dürfe das nur geschehen, wenn feststünde, daß die wirtschaftlichen Fragen, insbesondere das Reparationsproblem, eine befriedigende Lösung fänden.

Der Reichsarbeitsminister bestätigte die Darstellung des Reichskanzlers und stellte fest, daß Geheimrat Hagen insofern jedenfalls die Vollmacht überschritten habe. Es müsse nochmals mit aller Deutlichkeit klargestellt werden, daß die Zustimmung der Reichsregierung sich auf wirtschaftliche Fragen beschränke, nicht dagegen auf eine politische Regelung, in dem Sinne, wie den Ausführungen des Herrn Hagen bei seiner Kölner Rede zu entnehmen.

Der Reichsminister des Auswärtigen teilte mit, daß nach einem Bericht[280] des Abgeordneten Moldenhauer Herr Hagen sich dahin geäußert habe: „er habe nicht ohne Fühlungnahme mit der Reichsregierung gesprochen“.

Der Reichskanzler schlug unter Zustimmung des Kabinetts vor, die Vertreter des besetzten Gebiets abermals nach Berlin zu berufen und ihnen sowohl hinsichtlich der Vergangenheit als auch bezüglich der Gegenwart und der Zukunft die Sachlage klar auseinanderzusetzen.

Inzwischen müßten, entsprechend der allgemeinen politischen Linie, welche eine abwartende Haltung der Reichsregierung vorschreibe, bis der Sachverständigenausschuß gesprochen habe, alle Verhandlungen von Vertretern des besetzten Gebiets mit den Besatzungsmächten ruhen. Er bitte den Vizekanzler, eine entsprechende generelle Weisung an die Vertreter des besetzten Gebietes gelangen zu lassen.

Der Preußische Ministerpräsident bat, bei künftigen Verhandlungen des Reichsministeriums mit den Vertretern des besetzten Gebiets die Preußische Regierung zuzuziehen.

Der Reichskanzler sagte zu, daß dies, soweit möglich, geschehen werde17.

17

Unter Bezugnahme auf diese Zusage spricht der PrMinPräs. in einem Schreiben an den RK vom 28. 1. die Erwartung aus, „daß keine Entscheidungen, die die Rheinprovinz, Hessen-Nassau und Westfalen betreffen, von der RReg. getroffen werden, ohne sich vorher mit der Pr. Staatsreg. in Verbindung gesetzt zu haben“. Auch solle die RReg. bei künftigen Besprechungen mit einzelnen Persönlichkeiten aus den genannten Provinzen keine Direktiven erteilen, die nicht vorher mit der Pr. Staatsreg. abgesprochen sind. Mit Antwortschreiben vom 5. 2. gibt der RK die gewünschten Zusicherungen (R 43 I /191 , Bl. 175 f.).

Der Reichsbankpräsident berichtete, daß er mit dem französischen Ministerpräsidenten auch die Rhein-Ruhrfrage erörtert habe. Letzterer habe mit allem Nachdruck erklärt, daß die französische Politik keinerlei separatistische Tendenz verfolge. Er, der Reichsbankpräsident, habe im übrigen aus den Erörterungen mit dem Sachverständigenausschuß den Eindruck gewonnen, daß dort die Neigung bestünde, die Einheit des deutschen Staatsgebiets nach jeder Richtung hin zu erhalten.

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