2.120 (ma11p): Nr. 120 Das Bayerische Staatsministerium des Äußern an den Reichskanzler. München, 23. Februar 1924

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Nr. 120
Das Bayerische Staatsministerium des Äußern an den Reichskanzler. München, 23. Februar 19241

1

Aus den Akten des Geh. Staatsarchivs München abgedr. in: Deuerlein, Der Hitlerputsch, Dok. Nr. 281, S. 694 ff. Das Schreiben wird dem RK vom bayer. Gesandten v. Preger am 25. 2. mittags übergeben. Am Kopf des Schreibens vermerkt Kempner: „Erledigt durch Verhängung des zivilen Ausnahmezustandes unter Ausnahme Bayerns.“ Vgl. hierzu Anm. 7, letzter Absatz.

R 43 I /2708 , Bl. 242 f.

Betreff: Reichsausnahmezustand.

Bei den jüngsten Besprechungen in Berlin zwischen der Bayer. Staatsregierung und der Reichsregierung2 wurde auch kurz die Frage des derzeitigen Reichsausnahmezustandes berührt, wobei mitgeteilt wurde, daß das Reichskabinett die Aufhebung des militärischen Ausnahmezustandes und des Ausnahmezustandes überhaupt zum 1. März 1924 unter gewissen Vorbehalten beschlossen habe. Bayerischerseits wurde schon damals darauf hingewiesen, daß in Bayern mit Rücksicht auf den derzeitigen Stand der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und namentlich im Hinblick auf den bevorstehenden Hochverratsprozeß gegen Hitler und Genossen3 an die Aufhebung des bayerischen Ausnahmezustandes noch nicht gedacht werden könne. Hierin hat sich inzwischen nichts geändert.

2

Gemeint sind offenbar die Besprechungen am 14. 2.; vgl. Dok. Nr. 109, Anm. 1.

3

Der Prozeß beginnt am 26. 2. vor dem Volksgericht München.

Nun hat heute der bayerische Gesandte Dr. von Preger mitgeteilt, daß die Reichsregierung beabsichtige, an die Stelle des militärischen Ausnahmezustandes einen beschränkten zivilen Ausnahmezustand treten zu lassen4, der sich hauptsächlich gegen die Kommunisten richten solle. Der Reichsminister des Innern würde ermächtigt werden, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die notwendig seien. Diesen Ausnahmezustand wolle das Reich für das ganze Reichsgebiet,[401] also mit Einschluß Bayerns, anordnen. Das sei deswegen erforderlich, weil die Kommunisten häufig ihre Zentralen wechselten. Eine Einschränkung des Ausnahmezustandes auf einen Teil des Reichsgebietes sei aus diesem Grunde nicht möglich. Die Reichsregierung sei bereit, die Verordnung, die für das ganze Reich zu erlassen sei, so zu handhaben, daß die Reichsregierung keine Maßnahmen für Bayern treffe, ohne sich vorher mit der Bayer. Regierung verständigt zu haben. Es sei aber nicht erwünscht, daß dies irgendwie nach außen bekannt werde.

4

Vgl. hierzu die Ministerbesprechungen vom 20. und 21. 2. (Dok. Nr. 115, P. 1 und Nr. 117, P. 3).

Die Bayer. Staatsregierung ist durchaus damit einverstanden, daß auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung vom Reichspräsidenten zur Sicherung gegen die kommunistische Gefahr besondere Maßnahmen getroffen werden. Sie hat in der Vergangenheit selbst zu wiederholten Malen auf diese Gefahr aufmerksam gemacht und ein entschiedenes Vorgehen gegen sie bei der Reichsregierung angeregt. Sie ist bereit, die Reichsregierung in der Bekämpfung dieser Gefahr in jeder Weise zu unterstützen und mit ihr zusammenzuarbeiten. Sie wird aber nie zugeben, daß der beabsichtigte neue Ausnahmezustand auch auf Bayern erstreckt werde.

Ein sachlich begründetes Bedürfnis für eine solche Erstreckung liegt nicht vor. In Bayern besteht bereits der Ausnahmezustand, und zwar nunmehr nach Maßgabe der Verordnung vom 18. Februar 19245. Dieser Ausnahmezustand wird mit allem Nachdruck gerade auch zur Unterdrückung der kommunistischen Gefahr angewendet. Bayern ist in dieser Richtung schon weiter vorangeschritten, als dies im übrigen Reiche der Fall ist. Auch weiterhin wird die Bekämpfung der kommunistischen Gefahr eine Hauptaufgabe dieses Ausnahmezustandes sein.

5

VO des bayer. Gesamtstaatsministeriums über einstweilige Maßnahmen zum Schutze und zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 18.2.24; abgedr. bei Huber, Dokumente zur dt. Verfassungsgeschichte, Bd. 3, Dok. Nr. 331, S. 354 ff.

Die Tatsache, daß die Kommunisten ihre Organisationen ändern und insbesondere ihre Zentralen bald dahin, bald dorthin verlegen, erfordert es nicht, daß der beabsichtigte Reichsausnahmezustand auch auf Bayern erstreckt werde. Die wünschenswerte Einheitlichkeit des Vorgehens läßt sich auch ohne diese Erstreckung und bei Fortdauer des gegenwärtigen Rechtszustandes in Bayern durch entsprechendes Zusammenwirken sicherstellen, wozu die bayer. Regierung jederzeit bereit ist. Die Wirksamkeit der vom Reichspräsidenten zu verhängenden Maßnahmen wird in keiner Weise dadurch beeinträchtigt werden, daß sich ihr Geltungsbereich auf das Reichsgebiet ohne Bayern beschränkt. Denn die bayerischen Maßnahmen werden gerne, soweit nur immer möglich, jenen angeglichen werden und gewiß einen vollwirksamen Ersatz für sie bieten.

In der Sache selbst liegt sonach schlechterdings kein Grund, der es zu rechtfertigen vermöchte, im Widerspruch mit der bayer. Regierung die beabsichtigten besonderen Maßnahmen auch auf Bayern zu erstrecken.

Die Bayer. Regierung geht wohl nicht fehl, wenn sie annimmt, daß lediglich politische Erwägungen der Reichsregierung diese Erstreckung zweckmäßig erscheinen ließen. Damit fällt die ganze Frage wieder auf den Punkt zurück,[402] von dem alle bisherigen Konflikte zwischen dem Reiche und Bayern ihren Ausgang genommen haben. Sie hatten immer ihre letzte Ursache darin, daß unter dem Einflusse rein unitaristisch eingestellter politischer Strömungen der Versuch gemacht wurde, mittels Art. 48 der RV den in der Reichsverfassung festgelegten bundesstaatlichen Charakter des Reiches, der in der Hauptsache in der den Ländern verbliebenen Justiz- und Polizeihoheit seinen Ausdruck findet, im Sinne einer allmählichen Entwicklung zum Einheitsstaat zu unterhöhlen. Daß dieses Ziel in gewissen politischen Parteien ernsthaft verfolgt wird, ist ebenso unbestreitbar, wie die Tatsache, daß gerade im vorliegenden Fall die Inanspruchnahme des formalen Rechtes aus Art. 48 im Widerspruch stünde auch zu den Abmachungen zwischen der Reichsregierung und der bayer. Staatsregierung vom Jahre 19226.

6

Vgl. das Berliner Protokoll vom 11.8.22, mit dem der damalige Konflikt zwischen Bayern und dem Reich über die Durchführung des Republikschutzgesetzes beigelegt wurde; abgedr. bei Huber, Dokumente zur dt. Verfassungsgesch., Bd. 3, Dok. Nr. 245; s. auch Fritz Poetzsch, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, in: Jbch. des öffentl. Rechts der Gegenwart, Bd. 13 (1925), S. 76–91.

Das unverbrüchliche Festhalten an seiner Polizei- und Justizhoheit ist für Bayern eine Lebensfrage. Die bayer. Staatsregierung ist daher entschlossen, jedem sachlich unbegründeten Eingreifen in diese Hoheitsrechte äußersten Widerstand entgegenzusetzen. Sie wird niemals zugeben, daß den Bestrebungen der unitaristisch gerichteten Parteien auf diesem Gebiet zum Schaden der bayerischen Staatshoheit aus politischen Gründen Konzessionen gemacht werden. Sie erwartet vielmehr von der Reichsregierung, daß sie mit der bayer. Regierung sich gegen diese, den wahren Reichsinteressen widerstrebenden unitaristischen Tendenzen wendet.

Für einen Reichsausnahmezustand neben oder über dem von der bayer. Regierung verhängten, vorläufig noch nicht aufhebbaren Ausnahmezustand wäre kein Raum. Das Recht der Landesregierungen zur Erlassung der ihnen für die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig erscheinenden Maßnahmen beruht nicht auf einer Übertragung des Rechtes des Reichspräsidenten, sondern steht den Landesregierungen als ein durch die Reichsverfassung unmittelbar verliehenes selbständiges Recht zu. Die Landesregierung übt auf Grund des Art. 48 Abs. 4 für das Gebiet ihres Landes Reichsgewalt aus. Die Rechte des Reiches gegenüber einem von einer Landesregierung verhängten Ausnahmezustande sind in Art. 48 Abs. 4 Satz 2 der RV erschöpfend aufgeführt. Die Annahme, daß ein von einer Landesregierung verordneter Ausnahmezustand durch die Anordnung des Ausnahmezustandes für das ganze Reichsgebiet ohne weiteres hinfällig werde, entbehrt der gesetzlichen Grundlage.

Die bayer. Regierung muß daher auf Grund einstimmig gefaßten Beschlusses des Ministerrates dringendst widerraten, den in Aussicht genommenen zivilen Ausnahmezustand auch für Bayern zu verhängen.

Sollte entgegen dieser Warnung die Verhängung gleichwohl erfolgen, so wäre ein neuerlicher Konflikt zwischen Bayern und dem Reiche unvermeidlich.[403] Die bayer. Staatsregierung würde einen solchen auf das tiefste bedauern schon mit Rücksicht auf die außenpolitische Lage des Reiches. Die Verantwortung dafür müßte jedoch ausschließlich die Reichsregierung treffen7.

7

Am 23. 2. berichtet v. Haniel aus München: „Auf Grund der von Herrn StS Bracht telefonisch erhaltenen Instruktion [nicht ermittelt] habe ich umgehend Staatsrat Schmelzle aufgesucht, um auf ihn und eventuell andere Persönlichkeiten im Sinne der RReg. einzuwirken. Es stellte sich indessen heraus, daß jeder solche Versuch zu spät kam und schon aus diesem Grunde vergeblich bleiben mußte, da, wie mir Staatsrat Schmelzle mitteilte, der Ministerrat bereits einstimmig die Ablehnung der Vorschläge der RReg. beschlossen hat. Eine entsprechende Note ist nach Berlin unterwegs [obiges Dokument]. Staatsrat Schmelzle setzte mir im übrigen auf meine eingehende Darlegung des Standpunktes der RReg. hin auseinander, daß die Forderungen der letzteren für die bayer. Reg. vollkommen untragbar seien und nach ihrer Ansicht weder sachlich noch politisch begründet. Sachlich bestehe bereits der Ausnahmezustand in Bayern und werde gegen die Kommunistengefahr mindestens so scharf und wirksam gehandhabt, wie dies seitens des Reiches geschehen könne. Den bayer. Ausnahmezustand jetzt aufzuheben, sei unangängig, schon wegen des bevorstehenden Hitlerprozesses. Wenn aber ein Reichsausnahmezustand neben dem bayerischen bestehe, so seien Konflikte unvermeidlich, trotz aller Zusicherungen der RReg., daß sie sich wegen jeder Maßnahme mit der bayer. Reg. vorher ins Benehmen setzen würde. Aber auch politisch liege seiner Auffassung nach für die RReg. kein Anlaß vor, auf ihrer Fordeurng zu bestehen, da sie sich darauf berufen könne, daß der bayer. Ausnahmezustand eine Ausdehnung des Reichsausnahmezustandes auf ersteres Gebiet überflüssig mache. Die bayer. Reg. sei fest entschlossen, in dieser Frage nicht nachzugeben und, wenn auch mit Bedauern, es auf einen Konflikt ankommen zu lassen. Daran könne auch das beabsichtigte Schreiben an den bayer. MinPräs. nichts ändern. Es würde dann der gleiche Zustand eintreten wie im letzten September. Mein Eindruck geht dahin, daß es der bayer. Reg. mit ihrem Entschlusse ernst ist. Schon mit Rücksicht auf die bevorstehenden Wahlen wird sie in diesem Punkte keine Nachgiebigkeit zeigen wollen, umso weniger, als sie durch ihren kaum verschleierten Rückzug im Militärkonflikt [vgl. Dok. Nr. 109] ihre Politik der hiesigen Öffentlichkeit gegenüber schon einer starken Belastungsprobe ausgesetzt hat. Wenn daher die RReg. keinen Weg sieht, wodurch sie den Reichsausnahmezustand auf die außerbayer. Gebietsteile beschränkt, so besteht die dringende Gefahr, daß die bayer. Reg. von sich aus den Reichsausnahmezustand für Bayern außer Kraft setzen wird.“ (R 43 I /2219 , Bl. 129 f.).

S. hierzu die Beratungen des RKab. am 25. und 26. 2. (Dok. Nr. 121, P. 7 und Nr. 122, P. 2). Als am 28. 2. die VO des RPräs. über die Umwandlung des militärischen Reichsausnahmezustandes in einen zivilen ergeht, wird Bayern ausdrücklich von der Anwendung dieser VO ausgenommen (vgl. Dok. Nr. 122, Anm. 7).

I. V.

Dr. Matt

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