1.11.2 (ma12p): 2. Aufhebung der Ausreiseverordnung.

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2. Aufhebung der Ausreiseverordnung.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß sich die Reichsregierung bei Erlaß der Verordnung klar darüber gewesen sei, daß sie unvollkommen und so schnell wie möglich wieder aufzuheben sei7. Nicht zu bezweifeln sei der Erfolg der Verordnung. 4/5 des Reiseverkehrs über die Grenze sei abgestoppt worden. Jetzt aber hätten sich bei der Erteilung der Ausnahmebescheinigungen Verhältnisse herausgebildet, die zu einer Entscheidung darüber zwängen, ob die Verordnung entweder aufzuheben oder in der Durchführung zu verschärfen sei. Der gegenwärtige Zustand sei mit Rücksicht auf die Wahrung der Staatsautorität nicht mehr tragbar. Ein Mittelweg komme nicht in Frage, es gebe nur die Aufhebung oder die verschärfte Durchführung. Bei der Aufhebung müsse man sich darüber klar sein, daß ein außerordentlich großer Strom von Reisenden über die Grenze einsetze. Er glaube, daß für die nächste Zeit 100 000 noch unterschätzt seien. Entscheidend für die Beurteilung müsse die Währungslage sein. Die währungspolitische Abteilung des Reichsfinanzministeriums sei der Meinung, daß bei Aufhebung 1/5 des gesamten Devisenbedarfs durch den Reiseverkehr beansprucht werde. Erfreuliche Folge einer Aufhebung werde ein sicher stark einsetzender Preisabbau in den deutschen Kurorten sein.

7

Zum Erlaß der VO über Ausreisegebühren vom 3.4.24 vgl. Dok. Nr. 164, P. 7. Am 24. 4. hatte Kiep vermerkt: Die Ressorts stünden auf dem Standpunkt, daß die VO wegen der sich häufenden Beschwerden befreundeter Staaten auf die Dauer nicht zu halten sei. Vorerst lege insbesondere das AA auf die Aufrechterhaltung der VO großen Wert, und zwar vor allem wegen des Zusammenhanges mit der Reparationsfrage. „Diese VO stellt ein Paradestück dar in der Bereitschaft der RReg., auch die brutalsten Mittel gegenüber der eigenen Bevölkerung anzuwenden, um die Reparationsfähigkeit zu erhalten und zu steigern.“ (R 43 I /107 , Bl. 33). In einem Vermerk Kieps vom 10. 6. heißt es u. a.: „Nach Mitteilung der Presse-Abteilung nimmt der Ansturm der gesamten Presse gegen die Auslandsreiseverordnung von Tag zu Tag zu.“ (R 43 I /597 , Bl. 24). Am 6. 6. hatte die DDP-Fraktion dem RT einen GesEntw. vorgelegt, der die Aufhebung der VO vorsieht (RT-Drucks. Nr. 202, Bd. 382 ).

Der Reichswährungskommissar glaubte anhand des ihm vorliegenden Materials, daß die ausgesprochenen Befürchtungen bei der Aufhebung übertrieben seien. Die Währungslage hätte sich in der letzten Zeit sehr stark gebessert. Er könne nicht sagen, daß die augenblickliche Währungslage dazu zwinge, die Verordnung weiter aufrechtzuerhalten. Vielleicht sei aber zu erwägen, ob man vor einer vollkommenen Aufhebung nicht eine Abänderung derart vornehmen solle, daß die sozialen Unerträglichkeiten der bestehenden Verordnung beseitigt würden.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte den letzteren Vorschlag für ausgeschlossen. Einen mittleren Weg gebe es überhaupt nicht. Falls die Sachlage nicht so beurteilt werden könne, daß sich eine Aufhebung rechtfertigen lasse, mache er darauf aufmerksam, daß die Aufrechterhaltung der Verordnung nur[707] möglich sei, wenn das Kabinett geschlossen dahinter stände. Er selbst halte die Aufrechterhaltung für richtig. Wenn die Verordnung dagegen aufgehoben werde, sei notwendig, daß bei der Veröffentlichung des Kabinettsbeschlusses die Richtigkeit der Einführung der Verordnung begründet werde.

Der Reichskanzler schloß sich der Auffassung des Reichsministers der Finanzen in allen Punkten an. Bei Aufrechterhaltung werde allerdings das Kabinett mit größeren Schwierigkeiten gleich in den ersten Tagen des Zusammentritts des Reichstags8 zu rechnen haben.

8

Der RT hatte sich am 6. 6. bis zum 24. 6. vertagt.

Der Reichswirtschaftsminister sprach sich für einen Mittelweg aus. Man sollte die Verordnung nicht aufheben, jedoch über die bestehenden Ausnahmen noch weitere zulassen. So glaube er, daß Ausnahmen möglich seien für den Schiffsverkehr in der Ostsee, für die Fälle des unentgeltlichen Aufenthaltes im Auslande, für Österreich usw.

Der Reichskanzler stimmte dieser Auffassung nicht bei. Juristische Feinheiten könnten in diese ziemlich brutale Verordnung nicht eingefügt werden. Es gäbe nur eine Aufhebung oder eine Aufrechterhaltung. Das Wohlwollen des Reichstags werde man durch kleine Verbesserungen auch nicht erhalten.

Staatssekretär Weismann glaubte, daß vom Standpunkt der öffentlichen Ordnung, vom Standpunkt der Staatsautorität aus und vom Standpunkt einer nachdrücklichen Preissenkungspolitik im Inlande die Verordnung aufgehoben werden sollte. Eine Modifikation der bestehenden Verordnung schien auch ihm unmöglich.

Der Reichsminister der Finanzen sprach sich ebenfalls gegen den Vorschlag des Reichswirtschaftsministers aus. Er bat noch, sich darüber klar zu sein, daß im Notfall die Verordnung auch wieder eingeführt werden müßte, wenn man sie jetzt aufhöbe.

Der Reichskanzler glaubte, daß der Artikel 48 die Möglichkeit in diesem Falle gäbe.

Ministerialdirektor v. Schubert sprach sich vom Standpunkt des Auswärtigen Amts für die Aufhebung der Verordnung aus.

Der Reichspostminister sagte, für ihn sei die Währungslage entscheidend, er beuge sich hier ganz dem Urteil des Reichswährungskommissars.

Der Reichskanzler stellte, nachdem der Reichswährungskommissar nochmals erklärt hatte, daß die Verordnung aus währungspolitischen Gründen nicht notwendigerweise aufrechtzuerhalten sei, fest, daß das Kabinett mit einer sofortigen Aufhebung der Verordnung einverstanden wäre. Die Wiedereinführung müsse – und zwar auf Grund des Art. 48 der RV – vorbehalten bleiben, falls sich aus der Aufhebung währungspolitische Nachteile ergäben9.

9

Durch VO des RPräs. vom 18.6.24 wird die VO über Ausreisegebühren aufgehoben (RGBl. I, S. 648 ).

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