1.137.1 (ma12p): 1. Steuerfrage.

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1. Steuerfrage.

Ministerialdirektor Dr. Popitz berichtete über die Vorlage des Reichsfinanzministeriums1.[1155] Neben den darin vorgesehenen Maßnahmen sei beabsichtigt, die Börsensteuer abzuschaffen und die Börsenumsatzsteuer zu ermäßigen. Das Ausmaß dieser Ermäßigung solle in Verhandlungen mit den Banken ausgehandelt und von dem Grad der Herabsetzung ihrer Provisionssätze abhängig gemacht werden.

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Am 1. 11. übersandte der RFM als Kabinettsvorlage den Entwurf einer „Zweiten VO des RPräs. über wirtschaftlich notwendige Steuermilderungen“ auf Grund Art. 48. Der Entwurf sieht u. a. vor: in Art. I, § 1 eine Ermäßigung der Vorauszahlungen von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe auf die Einkommen- und Körperschaftssteuer um 25%; in Art. I § 2 eine Erhöhung des steuerfreien Betrages bei Lohnempfängern von 50 auf 60 RM monatlich, ferner eine Ermäßigung der Lohnsteuer bei Heimarbeitern von 4 auf 2%; in Art. II eine Herabsetzung der allgemeinen Umsatzsteuer von 2 auf 1½%, ferner eine Ermäßigung der erhöhten Umsatzsteuer (Luxussteuer) von 15 auf 10%. In der Begründung heißt es: Die RReg. habe bereits im September 1924 eine Reihe wirtschaftlicher und steuerlicher Erleichterungsmaßnahmen getroffen (s. Dok. Nr. 299, bes. Anm. 7). Die damit bezweckte Preissenkung sei jedoch nicht eingetreten, vielmehr seien die Preise seitdem z. T. noch gestiegen. Das habe Kaufkraftrückgang, Betriebseinschränkungen und Arbeiterentlassungen zur Folge gehabt. Dringend erforderlich sei daher eine weitere Verringerung der hohen Steuerlast, die der kapitalarmen Wirtschaft im Jahre 1924 im Interesse der Währungserhaltung und Staatsfinanzierung hätte auferlegt werden müssen. Die RReg. habe „von Anfang an betont, daß sie, sobald es die Staatswirtschaft nur irgendwie gestattet, eine Milderung der Steuern, die produktionshemmend oder substanzvermindernd wirken, eintreten lassen werde. Der Anfang ist damit durch die VO des Herrn RPräs. vom 14. September 1924 [RGBl. I, S. 707 ] gemacht worden. Der anliegende Entwurf bildet die Fortsetzung auf dem damals beschrittenen Wege.“ Der finanzielle Ausfall, der sich infolge der vorgesehenen Steuerermäßigungen für das Rechnungsjahr 1924 ergebe, betrage schätzungsweise 257 Mio M, von denen 121 Mio M auf das Reich und 136 Mio M auf die Länder und Gemeinden entfielen. „Dabei handelt es sich allerdings nicht um Ausfälle gegenüber den Etatansätzen, die, selbst wenn die Ermäßigungen vorgenommen werden, noch erheblich überschritten werden, sondern nur um Ausfälle gegenüber dem vermutlichen Steueraufkommen unter Zugrundelegung der bisher tatsächlich aufgekommenen Beträge.“ (R 43 I /2395 , Bl. 222-230).

Die Verordnung sei mit den Ländervertretungen durchgesprochen worden und habe teilweise Zustimmung gefunden, teilweise seien Bedenken gegen die vorgeschlagenen Steuermilderungen erhoben worden.

Der Reichskanzler verlas ein Telegramm des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, in dem dieser Einspruch gegen die Behandlung der auf der Tagesordnung stehenden Punkte erhob.

Der Reichsarbeitsminister bedauerte, daß die Vorlage so spät eingegangen sei, daß es ihm kaum möglich gewesen wäre, sie zu überprüfen. Er glaube nicht, daß es unter diesen Umständen möglich sei, heute zu einer Beschlußfassung zu gelangen; gegen eine Besprechung habe er nichts einzuwenden.

Der Reichskanzler glaubte die zu erörternden Fragen für so dringend halten zu sollen, daß die Besprechung stattfinden müsse und das Kabinett möglichst zu einer Beschlußfassung kommen sollte.

Der Reichsminister der Finanzen schloß sich dieser Auffassung bezüglich der Steuerfragen an; die Erledigung derselben sei so dringend, daß das Kabinett heute zu einer Beschlußfassung kommen müsse. Was die Aufwertungsfrage anlage, so habe er heute dem Kabinett lediglich Richtlinien unterbreiten wollen2, auf Grund deren, falls sie die Zustimmung des Kabinetts fänden, die erforderlichen Vorlagen ausgearbeitet werden sollten. Er sei damit einverstanden,[1156] daß die Aussprache über diese Richtlinien auf einen späteren, aber nahen Zeitpunkt vertagt werde.

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S. Anm. 6.

Was die Steuermilderungen anlange, so müsse gleichzeitig sorgsam die Kehrseite, nämlich die Frage der Neuanforderungen an die Ausgabeseite erwogen werden. Die Preissenkungsaktion der Reichsregierung habe sichtbare Erfolge nicht gehabt. Die Kosten der Lebenshaltung seien in letzter Zeit dauernd gestiegen; infolgedessen werde der Druck von seiten der Reichsarbeiter- und Beamtenschaft wegen einer Erhöhung ihrer Bezüge in nächster Zeit sehr stark sein. Demgegenüber müsse gefragt werden, ob 1) es mit der Balancierung des Etats noch vereinbar sei, die Ausgaben für derartige Zwecke zu steigern, 2) ob mit Rücksicht auf die allgemeine Wirtschaftslage jetzt eine Erhöhung der Reichsarbeiterlöhne und Beamtengehälter angängig sei und 3) ob zur Zeit die politischen Kräfte stark genug seien, um einem Drängen der Beamten und Reichsarbeiter zu widerstehen.

Sachlich richtig sei es, die Steuern zu senken, denn sie seien tatsächlich zu hoch. Für die anderen Fragen müßten dann daraus die Konsequenzen gezogen werden.

Der Reichsarbeitsminister stimmte dem Grundgedanken der Vorlage zu. Zweifel hege er jedoch, ob das, was geschehen solle, bereits ausreiche. Leider sei dem Kabinett kein Überblick über den Stand der Reichsfinanzen gegeben worden, so daß es nicht möglich sei, sich ein Bild von den Möglichkeiten und den finanziellen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen zu machen. Er wäre dankbar, wenn ein derartiger Überblick gegeben werden könnte.

Zu den vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen habe er folgendes zu bemerken:

1. Die Erhöhung des steuerfreien Einkommensbetrages von 50 auf 60 Mark sei zu niedrig. Man müsse wenigstens auf den steuerfreien Betrag der Vorkriegszeit kommen. Er beantrage daher, den steuerfreien Betrag von monatlich 50 M nicht nur auf 60 M, sondern auf 75 M zu erhöhen.

2. Es sei zu erwägen, ob man nicht mit Rücksicht auf ihre Bedeutungslosigkeit die 2prozentige Besteuerung der Heimarbeiter völlig streiche.

3. Er empfehle nochmals und beantrage, die Umsatzsteuer für Lebensmittel, insbesondere für Getreide und Mehl, völlig aufzuheben. Dies sei das wirksamste Mittel zur Herabsetzung der Preise.

4. Die Preisbeeinflussung müsse energischer vorgenommen werden. Er könne sich des Eindrucks nicht verschließen, als ob das Reichswirtschaftsministerium den Kartellen gegenüber zu schonend sich verhalte. Leider sei das Wirtschaftsministerium bisher immer ein Bremsblock auf dem Gebiete der Kartellbekämpfung gewesen. Er möchte hier keinen förmlichen Antrag stellen, wohl aber den dringenden Wunsch aussprechen, die Art der Kartellüberwachung nochmals zu überprüfen.

5. Bezüglich der Luxussteuer sei zu erwägen, ob nicht eine weitere Senkung oder gar gänzliche Beseitigung möglich sei.

6. Die Bestrebung zur Herabsetzung der Bankprovisionen anläßlich der geplanten Ermäßigung der Börsenumsatzsteuer müsse sich auch auf die Herabsetzung der Zinssätze ausdehnen.

[1157] Der Reichsminister der Finanzen erwiderte:

1. Der tatsächliche steuerfreie Lohnbetrag für die geringst besoldeten Arbeiter sei 900 M und darüber. Dieser Betrag ergäbe sich, wenn man die weiteren Bestimmungen über die Einziehung der Steuerbeträge und die Ermäßigungen für Familien mit Kindern hinzunähme. Ein steuerfreier Betrag von weniger als 900 M ergäbe sich erst für höhere Einkommensgruppen. Auf die Besteuerung der Differenz von 720 bis 900 M Einkommen bei diesen Gruppen könne aber nicht verzichtet werden. Bei einer allgemeinen Erhöhung des steuerfreien Lohnbetrages werde auch die Steuerzahlung der Landarbeiter völlig aufhören; das sei nicht tragbar.

2. Die Durchlöcherung des Umsatzsteuersystems durch die Herausnahme bestimmter Gruppen als umsatzsteuerfreie Gruppen sei unmöglich. Damit falle die gesamte Umsatzsteuer.

3. Bezüglich der Luxussteuer stimme er dem Grundgedanken des Reichsarbeitsministers zu, im Rahmen der derzeitigen Aktion sei jedoch eine weitere Ermäßigung nicht möglich. Es schwebten aber Verhandlungen wegen eines vollständigen Umbaues dieser Steuer, und es werde geprüft werden, ob im Rahmen dieser Aktion den vorgebrachten Wünschen Rechnung getragen werden könne.

4. Bezüglich der Heimarbeiter sei nicht einzusehen, warum Meister und dergl. mit größerem Einkommen steuerfrei sein sollten. Der kleine Heimarbeiter falle unter die Bestimmungen, da er infolge seines niedrigen Lohnes steuerfrei sei.

Der Reichswirtschaftsminister stimmte dem Reichsminister der Finanzen darin bei, daß eine völlige Streichung der Umsatzsteuer für Lebensmittel nicht angängig sei; er empfahl aber zu erwägen, ob nicht eine Milderung des Satzes für Getreide, Mehl und einige anderen Waren auf 1% vorgenommen werden könne. Wenn dies nicht geschehe, so sehe er leider sonst keine wirksamen Möglichkeiten des Preisabbaues. Das Vorgehen gegen die Kartelle sei schon so umfassend wie nur möglich. Überall, wo Übervorteilungen und Mißbräuche vorkämen und dem Reichswirtschaftsministerium bekannt würden, würde eingeschritten. Es sei eine Verkennung, wenn geglaubt werde, durch energischere Maßnahmen gegen Preiskartelle die Preise senken zu können. Preiskartelle beständen überhaupt fast gar nicht, und es seien ihm keine Kartelle bekannt, denen Preisübersetzungen nachzuweisen wären.

Bei Post und Eisenbahn müsse man möglichst bald zu weiteren Ermäßigungen kommen.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß er nach den Ausführungen des Reichsministers der Finanzen seine Bedenken bezüglich der vorgeschlagenen Steuermaßnahmen zurückstelle und seinen gestellten Antrag bezüglich Heraufsetzung des steuerfreien Lohnbetrages zurückziehe. Den Antrag bezüglich weiterer Herabsetzung der Umsatzsteuer für Getreide usw. müsse er jedoch aufrechterhalten.

Staatssekretär Meissner teilte mit, daß der Herr Reichspräsident bereit sei, die Verordnung auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung zu erlassen. Voraussetzung sei jedoch für ihn, daß vorher der Überwachungsausschuß des Reichstags über die Vorlage informiert werde, ohne daß ihm dabei ein Einfluß auf die Bestimmungen eingeräumt werde.

[1158] Der Reichsminister der Finanzen äußerte Bedenken gegen die Information des Überwachungsausschusses, da sich daraus leicht ein Präzedenzfall für spätere Fälle der Anwendung des Art. 48 aus anderen Anlässen ergeben könne.

Der Reichsminister der Finanzen schlug vor, seine Bedenken dem Herrn Reichspräsidenten nochmals persönlich zu unterbreiten.

Das Kabinett war damit einverstanden.

Den Antrag des Reichsarbeitsministers auf weitere Herabsetzung der Umsatzsteuer für Lebensmittel usw. bat der Reichsminister der Finanzen abzulehnen. Er sähe sich sonst zu seinem Bedauern veranlaßt, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen3.

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Zum Vetorecht des RFM vgl. § 32 der Geschäftsordnung der RReg. vom 3.5.24 (Dok. Nr. 192).

Der Antrag des Reichsarbeitsministers wurde gegen seine Stimme abgelehnt.

Die Verordnung wurde daraufhin unverändert angenommen4.

4

Der vorliegende Entwurf einer „Zweiten VO des RPräs. über wirtschaftlich notwendige Steuermilderungen“ wird noch in einigen Punkten ergänzt und in der Kabinettssitzung vom 8. 11. endgültig verabschiedet (Dok. Nr. 351, P. 1).

Der Reichskanzler wurde ermächtigt, im geeignet erscheinenden Zeitpunkt der Presse Mitteilung zu machen.

Staatssekretär Sautter teilte mit, daß die Post weitere Ermäßigungen in Aussicht genommen habe, insbesondere sei beabsichtigt, die Telegrammgebühren vom 1. Januar ab zu ermäßigen und auch die Fernsprechgebühren herabzusetzen.

Diesen Herabsetzungen werde das Personal der Post sehr ungünstig gegenüberstehen. Er müsse bitten, die Frage der Lohnerhöhung in kürzester Zeit im Kabinett grundsätzlich zu entscheiden. Es sei nicht möglich, die Lohnverhandlungen länger hinauszuschieben. Falls beabsichtigt sei, eine Lohnerhöhung in nächster Zeit vorzunehmen, sei es zweckmäßig, bereits jetzt davon der Öffentlichkeit Mitteilung zu machen.

Das Kabinett beschloß, diese Frage im Zusammenhang mit den allgemeinen Preisfragen am Donnerstag [6. 11.] zu erörtern5.

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S. Anm. 9.

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