1.159.1 (ma12p): [Regierungsbildung.]

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Die Kabinette Marx I und II, Band 2 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

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[Regierungsbildung.]

Der Reichskanzler teilte den Erschienenen den Entschluß des Reichsbakinetts, am 15. d. Mts. zu demissionieren, mit und fügte hinzu, daß er zur Auskunftserteilung zur Verfügung stehe. Seine persönliche Stellungnahme gehe dahin, daß er einen Rechtsblock nicht mitmachen könne; im übrigen hänge die weitere Entwicklung in erster Linie von der Stellungnahme der Reichstagsfraktion der Zentrumspartei ab.

Der Abgeordnete Hermann Müller erklärte, daß er und seine Kollegen nicht für die Fraktion sprechen könnten, welche noch nicht zusammengetreten sei; nach der Haltung der Parteipresse jedoch stehe es für die Erschienenen außer Zweifel, daß die Auffassung der Gesamtpartei dahin gehe, das Wahlergebnis müsse durch Bildung einer nach links erweiterten Regierung ausgewertet werden. Trotzdem sie die stärkste Fraktion sei, verlange die Sozialdemokratische Partei durchaus nicht den Kanzlerposten; in sachlicher Beziehung erachte sie es jedoch für die wichtigste Aufgabe, die bisherige Außenpolitik des Reichskanzlers Marx weiterzuführen. Die Erfüllung dieser Aufgabe sei jedoch nach der Haltung der Deutschnationalen Partei im Wahlkampf in Gemeinschaft mit dieser Partei nicht möglich. Im übrigen wolle er aber feststellen,[1224] daß die Verantwortung für das Scheitern der großen Koalition allein bei der Deutschen Volkspartei liege. Er wisse nicht, wie die Zentrumspartei zu dem Gedanken einer Linkskoalition stehe, könne jedoch so viel sagen, daß die Sozialdemokratische Partei ein erneutes Experiment nach Art der Cuno-Regierung für ausgeschlossen halte und im Falle der Wiederholung die schärfste Opposition leisten werde.

Auch das Ausland erwarte eine Erweiterung der Regierung nach links; eine Rechtsregierung würde in Kürze auf außenpolitischem Gebiete scheitern.

Der Reichskanzler erklärte, daß er in weitgehendem Maße der Auffassung des Abgeordneten Müller beipflichten müsse; auch er sei über die Haltung der Deutschnationalen Partei im Wahlkampfe, im Gegensatz zu ihrer vorhergehenden Billigung des Dawes-Gutachtens, aufs höchste erstaunt.

Der Abgeordnete Wels führte aus, daß die Deutschnationalen und die Deutschvölkischen einheitlich betrachtet werden müßten. Unter diesem Gesichtswinkel hätten sie jedoch bei den Neuwahlen ganz erheblich verloren. Die Schuld an allem trage die Deutsche Volkspartei, welche bewußte Obstruktion gegen die Regierung und den Parlamentarismus treibe. Insbesondere sei nach seiner Auffassung die Haltung des Ministers Stresemann im Wahlkampfe dafür verantwortlich.

Der Reichskanzler erklärte, das Ziel müsse sein, eine möglichst weite Regierungsgrundlage zu erlangen. So sei bei der gestrigen Zusammenkunft der Zentrumsfraktion des Landtages der Gedanke der Volksgemeinschaft stark in den Vordergrund getreten. Er halte jedoch die Verwirklichung dieses Gedankens für unmöglich, nachdem der Wahlkampf die Parteien so weit auseinandergeführt habe.

Der Abgeordnete Dittmann wies darauf hin, daß ein großer Teil der völkischen Wähler zu den Deutschnationalen umgeschwenkt sei; hierdurch sei eine starke Radikalisierung jener Partei herbeigeführt. Dieses müsse bei dem Gedanken eines Zusammengehens mit den Deutschnationalen berücksichtigt werden.

Der Abgeordnete Hermann Müller fragte, ob angenommen werden könne, daß die Deutsche Volkspartei den Gedanken der großen Koalition endgültig ablehne.

Der Reichskanzler erwiderte, daß dieses für den Augenblick zum mindesten gelten müsse; dies gehe insbesondere aus der Haltung der Volkspartei gegenüber den Demokraten hervor. Er halte es für wahrscheinlich, daß die Volkspartei zunächst mit der Regierungsbildung betraut werde; die Stellungnahme der Zentrumsfraktion hierzu werde sich am Mittwoch [17. 12.] klären.

Der Abgeordnete Dr. Hilferding wies darauf hin, daß die Demokraten und die Deutschnationalen am Dienstag zusammentreten, so daß es zweckmäßig sein werde, wenn die Sozialdemokratische Fraktion am Donnerstag sich versammle. Er halte gegebenenfalls eine Linkskoalition, welche von der Wirtschaftspartei unterstützt würde, für möglich.

Der Abgeordnete Müller stellte in Aussicht, die Sozialdemokratische Fraktion zu Donnerstag einzuberufen und äußerte seine Auffassung zu dem Gedanken[1225] einer Rechtskoalition dahin, daß eine solche bei lediglich neutraler Haltung des Zentrums nicht lebensfähig sein werde.

Da weitere Fragen nicht gestellt wurden, schloß der Reichskanzler die Sitzung.

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