1.47.1 (ma12p): Erörterung der Wünsche der Eisenbahnländer.

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Erörterung der Wünsche der Eisenbahnländer.

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung und führte aus, daß Exzellenz v. Richter als Vertreter der Eisenbahnländer an der Verhandlung teilnehme und es heute darauf ankomme, das Verhältnis des Reichs zu den Ländern in der Eisenbahnfrage einer Klärung entgegenzuführen. Er bat zunächst Exzellenz v. Richter, den Standpunkt der Länder näher darzulegen.

Exzellenz v. Richter: Durch den Staatsvertrag seien seinerzeit die Eisenbahnen der Länder auf das Reich übergegangen1. Das Reich habe sich damals verpflichtet, die Schulden der Länder zu übernehmen, und zwar in Anrechnung auf den Kaufpreis2. Diese Schulden könne man als durch die Inflation erledigt betrachten. Das Reich habe die Restkaufsumme bisher den Ländern nicht bezahlt. Nunmehr sei das Reich in der Reparationsfrage gezwungen, die Eisenbahn[911] zu verpfänden. Hierzu sei nach § 8 des Staatsvertrages die Zustimmung der Länder erforderlich. Die Länder dächten keineswegs daran, die Zwangslage des Reichs zu benutzen, um für sich ungerechtfertigte Vorteile zu erlangen, aber alle Länder seien sich darin einig, daß nunmehr versucht werden müsse, innerhalb der Leistungsfähigkeit des Reichs und entsprechend der Billigkeit eine Regelung zu suchen, die die Länder befriedige. Die Länder hätten den Vorschlag gemacht, daß sie zunächst mit einem Fünftel an der neuen Reichsbahn-Gesellschaft beteiligt würden, daß ferner, falls das Reich ihnen die Restsumme jetzt nicht zahlen könne, ihnen wenigstens eine sichere Verzinsung von 3% gewährleistet würde. Wenn das Reich diese Forderungen nicht erfüllen könne, sähen die Länderregierungen voraus, daß in den Landtagen ein Sturm der Entrüstung losbrechen würde. Es sei auch für das Reich von großem Vorteil, eine freiwillige Zustimmung zur Verpfändung gemäß § 8 des Staatsvertrages zu erhalten, denn der Weg der Gewalt sei auch in diesem Falle wenig empfehlenswert.

1

S. das Gesetz betr. den Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahnen auf das Reich vom 30.4.20 (RGBl. S. 773 ).

2

S. das Gesetz betr. den Staatsvertrag, §§ 4–7, bes. § 4.

Der Reichsminister der Finanzen dankte zunächst dem Preußischen Finanzminister für die Ausführungen. Er sei leider nicht in der Lage, dem Vorschlage zuzustimmen. Man könne vielleicht zur Erledigung der zwischen Reich und Ländern bestehenden Differenz den Staatsgerichtshof anrufen. Er seinerseits möchte gern diesen Weg vermeiden, da er der festen Auffassung sei, daß man auf dem Wege des Vergleichs weiter kommen könne. Der Vorschlag von Exzellenz Richter enthalte zwei Schwierigkeiten: zunächst würde die finanzielle Forderung der Länder die Frage der Aufwertung in ein unerträgliches Stadium bringen. Es sei zweifellos, daß damit das Signal für eine weitgehende Aufwertung gegeben werde, und zwar zunächst zwischen dem Reich und den Ländern. Diese Aufwertung würde sich dann auf die Gemeinden und weiter auf die Privatwirtschaft erstrecken und würde geradezu einen ruinösen Charakter annehmen. Dann müsse man zweitens bedenken, daß die früheren Eisenbahnländer etwa 85 bis 90% der Bevölkerung des Deutschen Reichs ausmachten. Die Entschädigung der Länder müsse also tatsächlich aus Ländereinnahmen wieder gedeckt werden; das Reich als solches wäre dann nur mit 10% beteiligt. Reich und Länder hätten doch ein Interesse daran, bei der neuen Reichsbahn-Gesellschaft mindestens eine kleine Dividende herauszuschlagen. Bei dem von Exzellenz Richter vorgeschlagenen Verfahren sei zweifellos ein Widerstand der beteiligten Landtage gegen eine Dividende zu erwarten. Er habe bereits früher einen Vorschlag gemacht, wonach das Reich sich verpflichten wolle, von den 4/5 seines Gewinns die Hälfte solange den Ländern herauszugeben, bis die Länderdividende auf 3% aufgefüllt sei. An diesem Vorschlage müsse er festhalten3.

3

Zum Vorschlag des RFM vgl. die Ministerbesprechung vom 9. 7.: Dok. Nr. 248, P. II , 2.

Der Reichsminister der Finanzen entfernte sich darauf zu einer anderen Sitzung.

Exzellenz v. Richter wies nochmals darauf hin, daß es unmöglich sei, den Landtagen klar zu machen, daß die vom Reich zu zahlende Summe tatsächlich[912] dem Wert der seinerzeit übertragenen Eisenbahn entspreche. Die Zustimmung der Länder zur Verpfändung nach § 8 sei unzweifelhaft erforderlich und nicht zu erlangen, wenn nicht das Reich den Forderungen der Länder nachgebe. Sie verlangten keine Aufwertung, sondern lediglich die Bewilligung eines angemessenen Kaufpreises.

Der Reichsverkehrsminister betonte, daß auch er für eine friedliche Verständigung sei und daß er in dem Vorschlage des Reichsfinanzministers den Weg zu einer solchen Verständigung erblicken könne.

Der Reichskanzler schloß darauf die Aussprache und stellte möglichst baldige Kabinettsentscheidung in Aussicht.

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