1.50.1 (ma12p): 1. Sachverständigengutachten.

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1. Sachverständigengutachten.

Der Reichskanzler teilte die neuesten Telegramme aus London mit1.

1

Diese Telegramme waren in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln. S. jedoch die Übersicht über die im Nachlaß Marx  befindlichen Berichte zur Londoner Konferenz in: Der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx, bearb. von H. Stehkämper, Teil II, 1968, S. 139 ff.

Der Reichsminister der Finanzen teilte seine vorläufige Stellungnahme zu dem eingegangenen Bericht über die Beschlüsse der Zweiten Kommission in[918] London mit2. Besonders bedenklich seien darin 1. die langen Fristen für die Ausführung der vorgesehenen Maßnahmen3, 2. die Art der Finanzierung der Übergangszeit4. Er empfehle, daß bereits jetzt die Herren in London dahin instruiert würden, daß die Vorschläge der Zweiten Kommission für Deutschland in der Frage der Finanzierung unannehmbar seien. Für Deutschland komme eine Beteiligung an der Finanzierung der Übergangszeit nur auf der Grundlage ausländischer Zwischenkredite in Betracht.

2

Am 16. 7. hatte die interall. Londoner Konferenz drei Ausschüsse eingesetzt, die bestimmte Fragen bez. der Durchführung des Sachverständigen-Gutachtens (Dawesplan) behandeln sollten. Der zweite Ausschuß, der mit der Ausarbeitung eines Plans zur Wiederherstellung der fiskalischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands beauftragt war, legte seinen Bericht am 24. 7. der Konferenz vor. Der Bericht ist abgedr. im amtlichen dt. Weißbuch „Die Londoner Konferenz, Juli–August 1924“, Berlin 1925, S. 94 ff. Vgl. auch Schultheß 1924, S. 422 f.

3

Der Bericht des zweiten Ausschusses vom 24. 7. (s. Anm. 2) enthält einen Zeitplan für die stufenweise Inkraftsetzung des Dawesplans: 1) Bis zum 15.8.24 sollen die dt. Gesetze zur Durchführung des Dawesplans verkündet sein und soll der Reparationsagent seine Tätigkeit aufgenommen haben. 2) Danach sind bis zum 1.10.24 die im Dawesplan vorgesehenen Organe einzusetzen, die Rbk und die RB-Gesellschaft zu konstituieren, die Zertifikate über die Obligationen zu übergeben und Verträge über die Zeichnung der Reparationsanleihe abzuschließen. 3) Bis zum 15.10.24 werden die frz. und belg. Reg. alle Maßnahmen treffen, die zur wirtschaftlichen Räumung des besetzten Gebiets erforderlich sind. Es handelt sich hierbei um die Beseitigung aller Beschränkungen der dt. Finanz- und Wirtschaftsgesetzgebung, die Zurückziehung der all. Pfänderverwaltungen, die Rückgabe der von den Besatzungsbehörden beschlagnahmten Betriebe. Die Aufhebung der Binnenzollgrenze soll schon vor dem 5.9.24 erfolgen.

4

Nach dem Plan des zweiten Ausschusses sollen die dt. Reparationszahlungen bereits während der Übergangsperiode, d. h. zwischen dem 15. 8. und 1.10.24 beginnen. Die monatliche Höhe der Zahlungen beträgt 1/12 der ersten Annuität nach dem Dawesplan, abzüglich der Papiermarkausgaben für die Besatzungstruppen und der Erträge aus der engl. Exportabgabe. Aus den Überweisungen soll der Reparationsagent hauptsächlich die Reparationssachleistungen finanzieren.

Der Reichsverkehrsminister hielt ebenfalls die Fristen für zu lang. Die Regie werde zweifellos diese Zeit benutzen, um die Eisenbahn im Regiegebiet allen wertvollen Materials zu berauben. Technische Schwierigkeiten bei sofortigem Übergang der Regie auf die Gesellschaft beständen nicht.

Staatssekretär Zapf berichtete über die Behandlung der Wiederherstellung der Zollhoheit und erläuterte die Vorlage des Reichsministers der Finanzen (vgl. Anlage)5.

5

In der Anlage zum obigen Protokoll befindet sich eine undatierte Aufzeichnung über die „Wiederherstellung der Zollhoheit im besetzten und Einbruchsgebiet“, in der u. a. ausgeführt wird: Nach unverbindlichen Mitteilungen aus London werde im zweiten Komitee vielleicht beschlossen werden, die wirtschaftliche Räumung des besetzten Gebiets in zwei Stadien vorzunehmen; Endtermin für das erste Stadium dürfte der 15. 8., Endtermin für das zweite Stadium der 1. 10. sein. Hierbei bestehe die Gefahr, daß in der Zwischenzeit vom 15. 8. bis zum 1. 10. die Anwendung der dt. Zollgesetze durch willkürliche Maßnahmen der frz. Dienststellen sabotiert wird und daß das dt. Gebiet kurz vor Beendigung der Zollregie noch mit ausländischen Waren überschwemmt wird. Es werde daher in London besonders darauf Gewicht gelegt werden müssen, daß die dt. Zollhoheit nicht in zwei Stadien, sondern in einem Zuge, etwa am 1. 9. vollständig wiederhergestellt wird.

Der Reichswirtschaftsminister äußerte Bedenken, schon jetzt die Öffentlichkeit davon zu unterrichten, daß mit einer längeren Übergangszeit zu rechnen sei. Diese Zeit werde nur ausgenutzt werden, um möglichst viel Waren aus dem Ausland in das jetzt besetzte Gebiet zu verbringen.

[919] Der Reichsarbeitsminister glaubte, daß darauf hingewirkt werden müsse, die westliche Zollgrenze so schnell als möglich wieder aufzurichten. Die Möglichkeit eines Weiterbestehens der Zwischenzollgrenze dürfe nicht erörtert werden.

Der Reichswirtschaftsminister stimmte dem sachlich voll zu, hielt es nur für unzweckmäßig, jetzt bereits darauf aufmerksam zu machen, daß die Erledigung längere Zeit in Anspruch nehmen würde.

Der Reichsminister der Finanzen schloß sich der Auffassung des Reichswirtschaftsministers an. Natürlich müsse auf eine Kürzung der Fristen mit allen Mitteln hingewirkt werden. Gelinge dies jedoch nicht, dann seien evtl. außerordentliche Maßnahmen erforderlich.

Der Reichsverkehrsminister erhob besondere Bedenken gegenüber der vorgesehenen Regelung der Amnestie6.

6

Der Plan des zweiten Ausschusses (s. Anm. 2) sieht eine politische Amnestie in den besetzten Gebieten vor. Die dt. Reg. soll alle Strafen erlassen, die wegen Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden zwischen dem 11.1.23 und der Inkraftsetzung des Dawesplans verhängt worden sind. Die Regierungen Frankreichs und Belgiens werden die von ihnen bereits begonnenen Gnadenmaßnahmen fortsetzen, soweit dies mit der Sicherheit der Besatzungstruppen vereinbar ist.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß die Franzosen auf Grund des Rheinlandabkommens jederzeit die Möglichkeit hätten, ihnen unbequeme Personen auszuweisen. Diese Möglichkeit werde vielleicht die Brücke zu einer Lösung darstellen können.

Staatssekretär Joel hielt die vorgeschlagene Regelung für innenpolitisch untragbar, da sie die Amnestie der Separatisten umfasse. Er glaube aber, daß die Formulierung des Beschlusses den Weg zu Verhandlungen offen lasse; es müsse eine vollkommen gleichartige Amnestie auf beiden Seiten angestrebt werden.

Das Kabinett war damit einverstanden, daß die deutschen Herren in London bez. der Finanz- und Fristenregelung in dem in der Debatte zum Ausdruck gekommenen Sinne instruiert werden, um bei passender Gelegenheit von dieser Stellungnahme der Reichsregierung der Gegenseite Mitteilung machen zu können.

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