1.6.1 (ma12p): Weitere Behandlung des Sachverständigengutachtens.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx I und II, Band 2 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

Extras:

 

Text

RTF

Weitere Behandlung des Sachverständigengutachtens.

Staatssekretär Fischer führte aus, daß es voraussichtlich nicht möglich sein werde, vor Zusammentritt des Reichstages1 die Gesetzentwürfe betreffend Reichsbahn und Industrieobligationen fertigzustellen. Allenfalls könnte bis dahin der Entwurf des Bankgesetzes hergestellt sein2, doch müßten die drei Gesetzentwürfe zusammen dem Reichstag unterbreitet werden. Unter diesen Umständen halte er es für unwahrscheinlich, daß vor der ersten Hälfte Juli der Reichstag sich mit den Gesetzentwürfen werde beschäftigen können.

1

Vgl. Dok. Nr. 218, Anm. 7.

2

Zunächst müssen die genannten Gesetzentwürfe zur Durchführung des Sachverständigen-Gutachtens von den zuständigen Organisationskomitees (für die RB-Gesellschaft, für die Industriebelastung und für die Notenbank) durchberaten und verabschiedet werden.

Hinsichtlich der weiteren Behandlung des Gutachtens sei bei einer früheren Gelegenheit von einem hiesigen Botschafter vorgeschlagen worden, eine internationale Vereinbarung über die Zustimmung zum Gutachten herbeizuführen. Das würde bedeuten, da diese Vereinbarung den gesetzgebenden Körperschaften zur Ratifikation vorgelegt werden müßte, daß der gesamte Inhalt des Gutachtens zum Gegenstand der inneren Gesetzgebung gemacht würde. Hiergegen bestünden jedoch mit Rücksicht auf die heute noch bestehenden vielfachen Unklarheiten hinsichtlich der Auslegung des Gutachtens erhebliche Bedenken.

[690] Es sei daher von seiten der Kriegslastenkommission und des Auswärtigen Amts der Gedanke aufgegriffen worden, die konstruktiven Elemente des Gutachtens, welche in den Gesetzentwürfen keine Berücksichtigung fänden, zum Gegenstand eines Memorandums zu machen, welches der Reparationskommission bei gegebener Gelegenheit zu unterbreiten sei. In Betracht kämen insbesondere die Fragen des Transfers, des Index, der Zahlungen aus dem Reparationsguthaben, der Kontrolle der verpfändeten Einnahmen und der Sachlieferungen3. Der Amerikaner Logan habe vorgeschlagen, mit Details noch nicht an die Repko heranzutreten; die Kriegslastenkommission müsse jedoch mit allem Material versehen werden, um bei gegebener Zeit bereit zu sein und im übrigen in der Angelegenheit vorzufühlen.

3

Zum Memorandum s. Dok. Nr. 232, Anm. 1.

Hinsichtlich der politischen Voraussetzungen des Gutachtens4 glaube er, Staatssekretär Fischer, daß hier eine vorherige Festlegung vielleicht nicht am Platze sei; zweckmäßiger sei es vielmehr, diese Frage im Wege der diplomatischen Verhandlungen zu klären.

4

Gemeint ist die Räumung des Ruhrgebiets, die Wiederherstellung der dt. Verwaltungs-, Wirtschafts- und Finanzhoheit im besetzten Gebiet, die Rückkehr der Ausgewiesenen, die Freilassung der politischen Gefangenen.

Der Reichsminister der Finanzen stellte fest, daß demgemäß drei Gruppen von Fragen zu unterscheiden seien: 1. die in den Gesetzen zu regelnden, 2. die in das Memorandum aufzunehmenden betreffend Gegenstände, welche im Gutachten behandelt seien, 3. diejenigen Fragen, die im Gutachten nicht geregelt seien und bezüglich derer der Weg der diplomatischen Verhandlungen zu beschreiten sei.

Der Reichsminister des Auswärtigen wies darauf hin, daß außerdem eine internationale Vereinbarung nötig sei über den Tag, an dem das Gutachten in Kraft trete. Die ausländischen Regierungen seien sich selber noch nicht klar, wie in diesem Punkte vorzugehen sei. Sie hätten wiederholt hier angefragt, wie die Deutsche Regierung sich das Verfahren denke.

Im einzelnen glaube er, daß die Frage der Ausgewiesenen keine erheblichen Schwierigkeiten bereiten werde. Anders sei es dagegen mit den Gefangenen, von denen einige voraussichtlich zurückbehalten würden. Bezüglich der Räumung des Ruhrgebiets habe Herriot in Aussicht gestellt, die Truppen zu verringern, wenn die deutschen Leistungen sichergestellt seien. Die französische Regierung werde eine formale Abmachung über die Räumung nicht treffen können. Wohl dagegen komme in Frage, daß Deutschland sich von den anderen beteiligten Regierungen zusichern lasse, daß Frankreich räumen werde.

Sobald die neue Regierung in Frankreich gebildet sei5, werde das Auswärtige Amt versuchen, Erklärungen von ihr zu erlangen, welche eine gewisse Sicherheit böten, und sodann diese Erklärungen durch Zusicherungen der anderen beteiligten Regierungen verstärken zu lassen. Er, der Reichsminister des Auswärtigen, glaube, daß man zu einem Kabinett Herriot Vertrauen hegen dürfe.

5

Das Kabinett Herriot wird am 14. 6. gebildet.

Der Reichskanzler führte zur Frage der Stellungnahme des Reichstages aus, daß er eine Zustimmung der Deutschnationalen zwecks Erlangung der Zweidrittelmehrheit[691] für möglich halte, wenn in den Ehrenfragen ein Erfolg erzielt werde. Jedenfalls glaube er nicht, daß die Deutschnationale Partei das Gutachten sabotieren werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte die Auffassung, daß man schon mit Rücksicht auf das Vertrauen des Auslandes in die Durchführung des Gutachtens deutscherseits eine Zweidrittelmehrheit nötig habe.

Der Staatssekretär Joel äußerte sich zur Rechtsfrage dahin, daß bei Annahme des Gesetzes bez. der Eisenbahn lediglich mit einfacher Mehrheit zum mindesten erhebliche Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit bestehen würden, welche mit Rücksicht auf die Dauer der durch das Gesetz zu bewirkenden Regelung kaum tragbar sein würden.

Der Reichswirtschaftsminister regte die Frage an, mit welchem Arbeitsstoff der Reichstag am 24. zu beschäftigen sei, nachdem die Vorlage der Gesetzentwürfe betreffend das Gutachten noch längere Zeit in Anspruch nehmen werde.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei schlug vor, in erster Linie den Etat hierzu zu verwenden und bezeichnete es als erwünscht, zum 24. Juni den Justizetat zunächst zur Beratung bereitzuhalten.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß eine enge Fühlungnahme mit den Parteien vor und während der ersten Zeit der Reichstagstagung unbedingtes Erfordernis sein werde.

Extras (Fußzeile):