1.66.1 (ma12p): [Stand der Londoner Konferenz.]

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[Stand der Londoner Konferenz.]

Der Vizekanzler begrüßte die Herren und gab zunächst einen ausführlichen Bericht über die Lage. Hervorzuheben sei insbesondere, daß es gelungen sei, gegen den Willen Frankreichs die sogenannten Ehrenfragen in London zur Verhandlung zu bringen. Der Vizekanzler verlas die neu eingegangenen Telegramme aus London und betonte, daß es der Zähigkeit der Deutschen Delegation gelungen sei zu erreichen, daß die wirtschaftlichen Fragen von der Räumungsfrage getrennt worden seien.

Es sei geplant, alsbald nach Rückkehr der Delegation zunächst die Minister- und Staatspräsidenten der Länder in Berlin zu versammeln. Die Verhandlungen im Reichsrat müßten beschleunigt werden, ebenso die Einberufung des Reichstags. Es entstehe die Frage, welche Frist der Reichsrat für die Behandlung der Angelegenheit für erforderlich halte.

Der Vertreter Hessens wies auf die Tatsache hin, daß die französischen Truppen (Marokkaner) einen Teil von Darmstadt besetzt hielten. Es müsse darauf hingewirkt werden, daß dieser Teil deutschen Bodens zuerst geräumt würde.

Der Vizekanzler sagte zu, diesen Wunsch sofort nach London zu übermitteln.

Der bayerische Vertreter stellte fest, daß die wirtschaftliche Räumung innerhalb einer Frist von etwa 35 Tagen erfolgen werde; daß ferner die Fragen der Militärkontrolle in London nicht behandelt worden seien, ebensowenig die Frage des Garantiepaktes.

Was die Frist für die Behandlung im Reichsrat anlange. so sei festzustellen, daß bisher dem Reichsrat nicht einmal das Eisenbahngesetz, das doch in den Grundzügen vollständig feststehe, zugegangen sei. Man habe diese Maßnahme seitens der Regierung damit begründet, daß die Reparationskommission dem Gesetze noch nicht zugestimmt habe. Nun habe er von dem Herrn Vizekanzler gehört, daß die Reparationskommission den Gesetzen der Organisationskomitees[971] zugestimmt habe. Es sei daher von größter Bedeutung, und er müsse darauf bestehen, daß nunmehr umgehend die Vorlagen dem Reichsrat zugingen.

Was die Zustimmung des Reichsrats anlange, so müsse er hervorheben, daß ein Entschluß im Reichsrat nicht eher zu erlangen sein werde, als bis die Frage der Abfindungen der Länder für ihre Eisenbahnen eine befriedigende Regelung gefunden habe. Die Verhandlungen in der Eisenbahnfrage stockten seit Juli. Wenn hier eine befriedigende Regelung erzielt sei, so werde es sich im Reichsrat nur darum handeln, formal den Londoner Abmachungen zuzustimmen. Er glaube, daß dann in der übernächsten Woche der Reichstag zusammenberufen werden könne.

Zum Schluß stellte er die Frage, wann ungefähr die Ministerpräsidenten der Länder nach Berlin gebeten würden.

Der Vizekanzler beantwortete diese letzte Frage dahin, daß er annehme, daß die Besprechung mit den Ministerpräsidenten etwa ein bis zwei Tage nach Ankunft der Delegation, also vielleicht Donnerstag oder Freitag nächster Woche [21./22. 8.] stattfinden könne1. Was die Gesetze anlange, die der Reichsrat zu seinen Verhandlungen brauche, so seien dieselben jetzt in Druck gegeben2.

1

Die Besprechung mit den Staats- und Ministerpräsidenten der Länder findet am 19. 8. statt; s. Dok. Nr. 282.

2

Die Gesetze zur Durchführung des Sachverständigen-Gutachtens werden dem RR am 18./19. 8. zugeleitet; s. RR-Drucks. 1924, Nr. 131–138.

Der Vertreter Sachsens stellte fest, daß es bisher nicht gelungen sei, das Räumungsabkommen international festzulegen, d. h. in die Londoner Abmachungen hineinzubeziehen. Es werde wohl zu einem Notenaustausch zwischen Frankreich und Belgien einerseits und Deutschland in der Räumungsfrage und der Frage, ob hier die Deutsche Regierung den Protest gegen die Besetzung des Ruhrgebiets aufrechterhalte, kommen.

Der Vizekanzler erwiderte, daß mit einem Protest sicherlich zu rechnen sei.

Der Vertreter Sachsens stellte die Frage, wer die Kosten der weiteren Besatzung zu tragen habe.

Der Vizekanzler erwiderte, daß Deutschland mit den Besatzungskosten nichts mehr zu tun habe.

Der Vertreter Sachsens stellte weiter die Frage, wie es mit der Zurückziehung der fremden Eisenbahner stehe.

Der Vizekanzler erwiderte, daß sämtliche fremden Eisenbahner zurückgezogen würden und daß eine kleine Genietruppe zurückbleibe.

Der Vertreter Sachsens stellte ferner die Frage, ob Gelegenheit gegeben sei, die Kriegsschuldfrage zu erörtern.

Der Vizekanzler verneinte diese Frage.

Der Vertreter Sachsens hob hervor, daß die Engländer die 26%ige Ausfuhrabgabe wieder eingeführt haben.

Der Vizekanzler erwiderte: davon werde die deutsche Industrie nicht betroffen. Die Reparationskasse müsse diese Beträge erstatten3.

3

Mit Note vom 11. 8. hatte die engl. Reg. mitgeteilt, daß sie beabsichtige, die auf Grund des „Reparation Recovery Act“ erhobene Reparationsabgabe, die durch Abkommen vom 23.2.24 auf 5% ermäßigt worden war (vgl. Dok. Nr. 59, Anm. 4), mit Inkrafttreten des Dawes-Plans demnächst wieder auf 26% zu erhöhen. Am 30.8.24 wird zwischen dt. und engl. Regierungsvertretern in London vereinbart, daß die engl. Reparationsabgabe auf dt. Exportwaren vom 9.9.24 ab von 5% auf 26% erhöht wird. Die RReg. wird den dt. Exporteuren die von ihnen zu entrichtende Abgabe in bar erstatten. Diese von der RReg. zu zahlenden Beträge bilden einen Teil der Jahresleistungen, die Deutschland auf Grund des Dawes-Plans zu zahlen hat (Vorgänge in R 2 /2381 ; Mitteilungen in der Tagespresse).

[972] Der Vertreter von Mecklenburg-Strelitz führte aus, daß ihm nicht ganz klar sei, wie die Lage sich gestalten würde, wenn Frankreich, das sich das Recht auf Einzelsanktionen vorbehalten habe, ein Verschulden Deutschlands feststelle und demzufolge von seinem angeblichen Recht Gebrauch machte.

Der Vizekanzler erwiderte, daß man unterscheiden müsse zwischen dem Dawes-Gutachten und den übrigen Bestimmungen des Friedensvertrages von Versailles. Verstöße gegen das Dawes-Gutachten könnten nicht zum Gegenstand einer Einzelsanktion gemacht werden, sondern hier sei ein Schiedsgericht vorgesehen.

In den übrigen Fällen, z. B. Militärkontrolle, bleibe die Forderung Frankreichs bestehen, gegen die seitens Deutschlands Protest erhoben sei.

Vizekanzler teilte aus einem soeben eingegangenen Telegramm mit, daß die Schlußsitzung in London um 6 Uhr 30 stattfände und daß am 30. August in London die Protokollierung stattfinden werde. In der Zwischenzeit müßten die Parlamente sich entscheiden.

Mit Worten des Dankes an die Erschienenen schloß der Vizekanzler die Sitzung.

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