1.80.1 (ma12p): 1. Herabsetzung der Gütertarife der Deutschen Reichsbahn.

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1. Herabsetzung der Gütertarife der Deutschen Reichsbahn.

Der Reichsverkehrsminister1: Aus politischen Gründen habe sich das Reichskabinett vorbehalten, zu der Frage einer Ermäßigung der Gütertarife in der jetzigen Zeit Stellung zu nehmen. Die Frage sei nunmehr außerordentlich dringend geworden, da die Interessenten eine Tarifermäßigung erwarteten und in dieser Erwartung mit dem Versand gewisser Güter zur Zeit warteten, wie z. B. mit dem Versand von Kohle und Holz.

1

Die folgenden Ausführungen des RVM geben im wesentlichen den Inhalt einer Kabinettsvorlage des RVM vom 9. 8. wieder (R 43 I /1068 , Bl. 72f).

[1013] Es könne der rechtliche Einwand erhoben werden, daß die jetzige Reichsbahn nicht befugt sei, die Tarife zu ändern, da das neue Eisenbahngesetz schon publiziert sei2. Diese Bedenken teile er jedoch nicht. Bis zum Übergang des Betriebes an die neue Gesellschaft3 sei die jetzige Gesellschaft noch zu Tarifänderungen befugt.

2

Gemeint ist das „Gesetz über die Dt. RB-Gesellschaft“, das zusammen mit den anderen Gesetzen zur Durchführung des Dawes-Gutachtens am 30.8.24 verkündet worden war (RGBl. II, S. 272 ). Nach § 33 des Gesetzes geht die Befugnis zur Änderung der Eisenbahntarife auf die Dt. RB-Gesellschaft über, die dazu allerdings die Genehmigung der RReg. einholen muß.

3

Die Übernahme des Betriebs der RB durch die neue Dt. RB-Gesellschaft erfolgt erst am 11.10.24, nachdem die Voraussetzungen des § 47 des „Gesetzes über die Dt. RB-Gesellschaft“ (s. Anm. 2) erfüllt sind.

Empfohlen werde vom ständigen Ausschuß des Reichseisenbahnrats eine alsbaldige wirksame Ermäßigung der Kohlentarife, und zwar denke der Ausschuß an eine Senkung von 20%. Eine derartige Ermäßigung würde rein rechnungsmäßig einen Einnahmeausfall von etwa 96 Millionen Goldmark jährlich zur Folge haben. Folgende Bedenken ständen dieser Ermäßigung entgegen. Ein Tarifabbau lediglich bei der Kohle würde allerstärkste Enttäuschung im deutschen Wirtschaftsleben hervorrufen. Von einem derartigen Abbau würde unmittelbar nur die Kohlenindustrie Vorteile haben, dagegen keinesfalls die Industrien, die weniger Kohle verbrauchten oder unmittelbar auf der Kohle ansässig seien, bei denen also Frachtermäßigungen der Kohle keine Rolle spielten; ebensowenig würde die Landwirtschaft hierdurch eine fühlbare Erleichterung erhalten. Ob die mittelbare Wirkung der Frachtsenkung für Kohle tatsächlich so groß sein werde, wie es offenbar der Ausschuß des Reichseisenbahnrats annehme, erscheine ihm immerhin ungewiß. Eine derartige weitgehende Ermäßigung der Kohlentarife würde ferner die Frachtsätze für Kohle bereits bei 561 km unter die Frachtsätze der Vorkriegszeit bringen. Die Öffentlichkeit würde schließlich der Reichsbahnverwaltung trotz der erheblichen Einbuße an Einnahmen dauernd den Vorwurf machen, daß sie die allgemeinen Tarife (einschl. 7% Verkehrssteuer) 65% über den Friedenssätzen halte.

Um diesem Vorwurf den Boden zu entziehen, komme in Frage, wie bei den letzten Malen sämtliche Klassen des Normaltarifs gleichmäßig um etwa 10% zu ermäßigen4. Eine derartige Tarifermäßigung koste leider wesentlich mehr, rein rechnungsmäßig etwa 240 Millionen Goldmark jährlich. Sie könne daher den Haushalt der Reichsbahn empfindlich stören, wenn man auch damit rechnen könne, daß wenigstens ein gewisser Teil dieses rechnungsmäßigen Ausfalls durch Mehrverkehr wieder einkomme. Der Ausschuß des Reichseisenbahnrats rechne mit einer Steigerung des Verkehrs. Einzelne Mitglieder hätten allerdings ihm (dem Reichsverkehrsminister) erklärt, daß sie sich über diesen Punkt doch zweifelhaft seien.

4

Eine allgemeine Ermäßigung der Gütertarife um 10% hatte gemäß Kabinettsbeschluß vom 25. 2. bereits am 1. 3. stattgefunden.

Es komme nun in Frage, ob man nicht mit den Wirtschaftskreisen Fühlung nehmen solle in der Richtung, daß sie auch die Warenpreise ermäßigten, wenn die Gütertarife herabgesetzt würden. Edmund Stinnes habe ihm geschrieben,[1014] daß die Ruhrkohlenindustrie bereit sei, in diesem Sinne in Verhandlungen einzutreten.

Der Reichsminister der Finanzen bat zu erwägen, ob man nicht folgende Rechnung aufstellen könne: Wenn die Zustände an Ruhr und Rhein wieder normal gestaltet seien, dann könne man auf einen bestimmten Betrag von Mehreinnahmen in der Eisenbahn aus diesen Gebieten rechnen. Die Tarife könne man ungefähr in der Weise ermäßigen, daß man diesen Betrag in der Reichsbahn weniger einnehme als früher.

Der Reichsverkehrsminister wies darauf hin, daß man bei Wiederherstellung normaler Beziehungen an Ruhr und Rhein ungefähr einen Betrag von 220 Millionen Goldmark auf der Ausgabenseite der Reichsbahn sparen würde.

Der Reichsernährungsminister Er sei vollkommen davon überzeugt, daß billigere Tarife das Wirtschaftsleben ankurbeln würden. Während die Preise für manche Produkte unter dem Vorkriegspreis lägen, sei der Tarif weit höher als in Vorkriegszeiten. Zum Beispiel betrage bei künstlichem Dünger der Gütertarif 145% des Vorkriegspreises, der Preis für den Dünger selber nur 75% im Vergleich zur Vorkriegszeit.

Er bitte dringend, eine allgemeine Herabsetzung der Normal- und Ausnahmetarife zu erwägen5.

5

Einen entsprechenden Antrag hatte der REM im Interesse der Landwirtschaft in einem Schreiben vom 21. 8. an die Rkei gestellt (R 43 I /1068 , Bl. 116-119).

Staatssekretär Trendelenburg: Eine allgemeine Frachttarifermäßigung halte er für sehr erwünscht. Damit müsse auch eine Herabsetzung der Umsatzsteuer verbunden werden.

Der Reichsminister der Finanzen Er warne davor, die Wirtschaft durch eine alleinstehende Maßnahme wie Herabsetzung der Gütertarife wieder in Gang bringen zu wollen. Mit diesem Vorgehen habe man schlechte Erfahrungen gemacht. Man müsse unbedingt mit den Wirtschaftskreisen Fühlung nehmen, daß sie bei Herabsetzung der Gütertarife auch ihrerseits die Warenpreise ermäßigten. Vor allem müsse auch auf eine Herabsetzung der Bankprovisionen hingewirkt werden. Die Frage einer Herabsetzung der Umsatzsteuer müsse er noch prüfen.

Staatssekretär Trendelenburg: Einer Herabsetzung der Bankprovisionen habe bisher der Umstand entgegengestanden, daß der Reichsbankpräsident die Banken in ihren Provisionssätzen geschützt habe.

Staatssekretär Geib: Er teile den von dem Herrn Reichsernährungsminister und von Staatssekretär Trendelenburg vertretenen Standpunkt.

Staatssekretär Joel: Was die Ermäßigung der Provisions- und Zinssätze anbelange, so sei es vielleicht interessant zu hören, daß Polen neuerdings den Kampf gegen übermäßige Zinsen und Provisionen durch ein Gesetz aufgenommen habe, dessen Bestimmungen durchaus beachtlich seien.

Die Befugnis der Reichsbahn zur Änderung von Tarifen könne nicht zweifelhaft sein, da das neue Eisenbahngesetz keine Übergangsbestimmungen treffe.

[1015] Das Kabinett faßte folgenden Beschluß:

Das Reichskabinett hat keine Bedenken gegen eine Ermäßigung der Gütertarife auf der Deutschen Reichsbahn, deren Einzelheiten dem Reichsverkehrsministerium überlassen bleiben sollen. Eine allgemeine Ermäßigung der Gütertarife wird als erwünscht bezeichnet.

Vor einer Herabsetzung soll jedoch noch mit dem Reichsbankpräsidenten Schacht Fühlung in der Richtung genommen werden, daß auf eine Herabsetzung der Provisionssätze der Banken und evtl. auch der Zinssätze hingewirkt wird. Es soll ferner mit Wirtschaftskreisen Fühlung genommen werden dahingehend, daß die Wirtschaft eine Ermäßigung der Warenpreise vornimmt, wenn die Gütertarife herabgesetzt werden.

Über diese Fragen soll noch eine Ressortbesprechung zwischen dem Reichsverkehrs-, Reichsfinanz- und Reichswirtschaftsministerium stattfinden6.

6

Mit Rundschreiben vom 19. 9. teilt der RVM mit: Er habe eine 10%ige Ermäßigung der normalen Gütertarife sowie einer Reihe von Ausnahmetarifen ab 18. 9. angeordnet (R 43 I /1068 , Bl. 145f).

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