2.200.1 (ma31p): 1. Finanzlage des Reichs und Reichshaushalts 1927.

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1. Finanzlage des Reichs und Reichshaushalts 1927.

Vor Beginn der Erörterung dieses Punktes der Tagesordnung ließ der Reichsminister der Finanzen die anliegende Übersicht über voraussichtliche Mehrausgaben gegenüber dem Haushaltsentwurf für 1927 und ihre voraussichtliche Deckung zur Verteilung bringen1.

1

Die vom 14.3.27 datierte Übersicht über „Voraussichtliche Mehrausgaben gegenüber dem Haushaltsentwurf für 1927 und ihre voraussichtliche Deckung“ befindet sich in der Anlage zu diesem Kabinettsprotokoll: R 43 I /1419 , Bl. 187–188 (auch in R 43 I /878 , Bl. 46–47).

Der Reichskanzler bemerkte einleitend, daß der Haushaltsentwurf für 19272 nach seiner Verabschiedung durch das Reichskabinett in den Beratungen[627] des Reichstags3 eine Gestaltung erfahren habe, welche der Reichsregierung durchgreifende Schritte zur ernsten Pflicht mache. Der Entwurf weise mittlerweile ein recht erhebliches Defizit auf, das unbedingt beseitigt werden müsse, um den Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen4. Bezüglich der Ausgaben, für welche eine Deckung nicht vorhanden sei, müsse man zur Ablehnung kommen.

2

Siehe RT-Bd. 413 , Drucks. Nr. 2888 , Nr. 2892 und Nr. 2945.

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Im Plenum des RT fand zu diesem Zeitpunkt die 2. Lesung des Entwurfs des Reichshaushaltsplans für 1927 statt; gleichzeitig wurde im Haushaltsausschuß des RT über den Haushaltsplan beraten.

4

Die anliegende Übersicht (siehe Anm. 1) rechnet mit Mehrausgaben von insgesamt 852,3 Mio RM (Gesamtausgabe des ordentlichen Haushalts nach dem Haushaltsentwurf: 7 990 Mio RM). Als Deckung für diese Mehrausgaben sind vorgesehen: Mehreinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftssteuer in Höhe von 270 Mio RM sowie Überschüsse aus dem Jahre 1926 in Höhe von 200 Mio RM, insgesamt 470 Mio RM. Daraus ergibt sich ein ungedeckter Fehlbetrag von 382,3 Mio RM. Falls bestimmte Ausgabenpositionen fortfallen, verringert sich das Defizit auf 242,3 Mio RM.

Der Reichsminister der Finanzen erläuterte sodann eingehend die einzelnen Positionen der Anlage und kam zu der Schlußfeststellung, daß der Haushaltsentwurf selbst bei schärfster Erfassung aller Einnahmemöglichkeiten einen bedeutenden Fehlbetrag aufweise, für den eine Deckungsmöglichkeit bisher nicht gefunden sei5.

5

Die anliegende Übersicht (siehe Anm. 1) rechnet mit Mehrausgaben von insgesamt 852,3 Mio RM (Gesamtausgabe des ordentlichen Haushalts nach dem Haushaltsentwurf: 7 990 Mio RM). Als Deckung für diese Mehrausgaben sind vorgesehen: Mehreinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftssteuer in Höhe von 270 Mio RM sowie Überschüsse aus dem Jahre 1926 in Höhe von 200 Mio RM, insgesamt 470 Mio RM. Daraus ergibt sich ein ungedeckter Fehlbetrag von 382,3 Mio RM. Falls bestimmte Ausgabenpositionen fortfallen, verringert sich das Defizit auf 242,3 Mio RM.

Das Zahlenbild sei insofern noch nicht einmal ganz vollständig, als darin mit den Ausgaben für die unbedingt notwendige Beamtenbesoldungsreform noch nicht gerechnet sei. Das Defizit aber müsse unbedingt verschwinden, da er als Finanzminister unmöglich die Verantwortung für einen unausgeglichenen Haushaltsplan tragen könne.

Der Reichskanzler fügte ergänzend hinzu, daß auch die Mittel für die notwendige Verbesserung der Kriegsbeschädigtenfürsorge in der Aufstellung nicht enthalten seien.

Der Reichsarbeitsminister trug vor, daß der Reichsminister der Finanzen in der Übersicht bei der Berechnung des Ausgabepostens Ziffer 6 – Erwerbslosenfürsorge und Krisenfürsorge – von nicht ganz zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sei6, und daß der Posten neugeschätzt werden müsse. Ferner sei auch der Ausgabeposten 7 – Invalidenversicherung – jedenfalls erheblich zu niedrig angenommen7.

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In der anliegenden Übersicht sind die Mehrausgaben für Erwerbslosenfürsorge und Krisenfürsorge mit 250 Mio RM angegeben. Dazu ist vermerkt: „Beschleunigte Verabschiedung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vermindert die Aufwendungen.“

7

Nach der Übersicht betragen die Mehrausgaben für die Invalidenversicherung 12 Mio RM.

Staatssekretär Schmid erklärte, daß bei dem Ausgabeposten 13 – Grenzprogramm für den Westen – und bei dem Posten 14 – Ruhrhilfe – Ersparnisse von insgesamt rund 39 Millionen Reichsmark möglich sein würden8.

8

Nach der Übersicht betragen die Mehrausgaben für das Grenzprogramm 25 Mio RM und für die Ruhrhilfe 60 Mio RM.

Durch VizekanzlerHergt wurde die Frage zur Erörterung gestellt, ob man sich im Hinblick auf die angestrebte Revision des Dawesplans von einem mit einem Fehlbetrag abschließenden Haushalt eine günstige Beeinflussung der demnächst notwendig werdenden Verhandlungen mit der Gegenseite über die Daweslasten versprechen könne. Die Frage wurde allgemein verneint.

[628] Der Reichsminister der Finanzen führte unter allgemeiner Zustimmung aus, daß die volle Daweslast9 vom Reich zwar unmöglich getragen werden könne, daß aber der diesjährige Etat wenigstens bei der Vorlage unbedingt ausgeglichen sein müsse, daß sich aber im übrigen wohl mit Bestimmtheit ein Defizit im Laufe des Rechnungsjahres ergeben werde und wahrscheinlich bei einem Nachtragsetat auch offen aufgedeckt werden würde.

9

Gemeint ist die „Normalannuität“ von 2,5 Mrd. RM, die Dtld. im 5. Jahr der Laufzeit des Dawes-Plans (ab Sept. 1928) für Reparationen aufzubringen hat.

Der Reichskanzler zog aus den Darlegungen die Folgerung, daß den Parteien unverzüglich der Ernst der Lage mit größter Deutlichkeit klar gemacht werden müsse. Da es Aufgabe der Reichsregierung sei, auch in diesen Dingen die Führung in der Hand zu behalten, müsse das Kabinett sich auch eine Meinung darüber bilden, welche Ausgaben zurückgestellt werden könnten, um den Ausgleich herbeizuführen. Die Parteien würden sich mit den Streichungen abzufinden haben.

Dementsprechend beschloß das Kabinett, die Parteiführer auf Mittwoch, den 16. März 1927 zu einer Aussprache einzuladen10.

10

Siehe Dok. Nr. 202, P. 1.

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