2.23.2 (ma31p): 2. Deutsch-französische Handelsvertragsverhandlungen.

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2. Deutsch-französische Handelsvertragsverhandlungen.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete über die Lage2 und teilte[48] mit, daß ihn auch der französische Botschafter aufgesucht habe, um wegen des Abschlusses eines Provisoriums vorstellig zu werden3.

2

In einer Kabinettsvorlage vom 10.6.26 teilte das AA (Köpke) mit: Bei den Handelsvertragsverhandlungen in Paris habe sich ergeben, daß ein Handelsvertrag auf der bisher beabsichtigten umfassenden Grundlage vor der Vertagung der beiden Parlamente nicht mehr zustande kommen könne. Die frz. Delegation habe vorgeschlagen, „daß jetzt wenigstens die Fragen, über die eine Einigung zwischen den Delegationen bereits vorliegt, in Form eines sechsmonatigen provisorischen Handelsabkommens unter Dach gebracht werden und daß dieses Abkommen noch vor den Sommerferien durch die beiden Parlamente genehmigt werden soll“. Die dt. Handelsvertragsdelegation und die dt. Botschaft in Paris seien der Auffassung, daß Verhandlungen über ein solches provisorisches Abkommen nicht grundsätzlich verweigert werden könnten. Bei der Besprechung im Handelspolitischen Ausschuß der RReg. habe sich eine einheitliche Meinung darüber nicht ergeben. Ein Teil der Ausschußmitglieder habe sich der Auffassung der dt. Delegation und der dt. Botschaft angeschlossen, ein Teil habe dagegen Stellung genommen. „Der Grund für die ablehnende Stellung war dabei einmal die Besorgnis, daß ein solches vorläufiges Handelsabkommen parlamentarisch und innerpolitisch auf große Schwierigkeiten stoßen könnte, weil darin […] eine dritte Auflage des Frühgemüseabkommens [siehe Anm. 4] gesehen werden könnte; ferner die Besorgnis, daß ein auf 6 Monate beschränktes Abkommen von der deutschen Wirtschaft voraussichtlich nicht in der gleichen Weise ausgenutzt werden kann wie von der französischen Wirtschaft.“ Wegen der unterschiedlichen Auffassungen und „im Hinblick auf die politische Bedeutung und etwaige parlamentarische Rückwirkungen“ sei eine Stellungnahme des Kabinetts zu dieser Frage unumgänglich (R 43 I /1119 , Bl. 226–227). Siehe auch ADAP, Serie B, Bd. I,1, Dok. Nr. 243.

3

Vgl. die Aufzeichnung StS Schuberts über seine Besprechung mit dem frz. Botschafter de Margerie vom 11.6.26, in: ADAP, Serie B, Bd. I,1, Dok. Nr. 246.

Ministerialdirektor Posse gab einen Überblick über den Stand der Verhandlungen. Er legte insbesondere dar, daß der Französischen Regierung offenbar sehr viel daran gelegen sei, ein Provisorium zustande zu bringen. Die Gründe lägen auf innerpolitischem Gebiet. Das Kabinett Briand sei durchaus nicht gefestigt und werde es schwer ertragen können, wenn jetzt die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen zum Abbruch kämen. Er sei der Meinung, daß gegenüber den französischen Forderungen genügend deutsche Forderungen aufgestellt werden könnten und daß ein Provisorium zustande kommen könne, das deutschen Wünschen weitgehend entgegenkomme, auf der anderen Seite aber den Franzosen in keiner Weise die Erfüllung ihrer wesentlichsten Ansprüche bezüglich der Hauptausfuhrinteressen bringe. Der Umfang des Teilabkommens liege außerdem völlig in unserer Hand. Er erbat die Ermächtigung, mit den Franzosen in die Verhandlungen eintreten zu dürfen. Auf Einzelheiten könne jetzt noch nicht eingegangen werden.

Der Reichskanzler übernahm hier den Vorsitz der Kabinettssitzung.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte, daß er in keiner Weise ein derartiges Teilabkommen vom wirtschaftlichen Standpunkt aus für wünschenswert ansehe. Wesentlich für die Beurteilung erscheine ihm aber die Auffassung über die Stellung des Kabinetts Briand. Zu einer klaren Willensbildung habe er jedoch noch nicht kommen können.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies auf die großen Gefahren hin, die insbesondere der Landwirtschaft aus einem derartigen Teilabkommen erwüchsen; die beiden bisherigen Gemüseabkommen4 seien reine Geschenke an die französische Wirtschaft gewesen. Die Landwirtschaft habe die Kosten zu tragen gehabt. Die Industrie habe diese Teilabkommen nicht ausreichend ausnutzen können. Das neue geplante Provisorium werde als ein drittes Gemüseabkommen angesehen werden, das innerpolitisch wohl kaum zu tragen sei. Der Abschluß eines Gesamtvertrages werde außerdem durch ein solches Teilabkommen, das den französischen Wünschen weitgehend entgegenkomme, weit hinausgeschoben.

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Mit den beiden bisherigen „Gemüseabkommen“ sind gemeint: das dt.-frz. Handelsabkommen vom 12.2.26 (RGBl. II, S. 161 ) sowie das Zusatzabkommen vom 8.4.26 (RGBl. II, S. 292 ).

Staatssekretär Trendelenburg wies darauf hin, daß die ungünstige Wirkung der bisherigen Teilabkommen mit der Entwicklung der französischen Währung[49] zusammenhänge. Nun sei zwar wohl sicher, daß die französische Währung noch weiter abfalle, es sei aber nicht sicher, daß das weitere Abfallen schon in den nächsten Monaten eintrete. Es sprächen sogar Gründe dafür, daß dies nicht eintreten werde. Ein Überfluten des deutschen Marktes insbesondere mit Wein werde nicht zu befürchten sein, da für Wein lediglich die Einräumung eines Kontingents in Aussicht genommen sei. Entscheidend für die Beurteilung der Situation sei, daß ein Wirtschaftskrieg mit Frankreich unbedingt vermieden werden müsse. Ein solcher könne sich aber leicht dann entwickeln, wenn die Währung weiter absinke und Deutschland gezwungen werde, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Auf alle Fälle müßten die Verhandlungen aufgenommen werden. Den Abschluß der Verhandlungen könne man ja von dem Ergebnis abhängig machen.

Der Reichskanzler glaubte, daß man jetzt die Einzelheiten eines Provisoriums nicht zu erörtern brauche. Es komme nur darauf an, zu entscheiden, ob grundsätzlich in die Verhandlungen eingetreten werden solle. Endgültig über den Abschluß könne entschieden werden, wenn die Verhandlungen zu Ende geführt seien. Das Kabinett müßte dann nochmals mit der Frage befaßt werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft begründete nochmals seinen ablehnenden Standpunkt.

Reichsminister Dr. Stresemann: Die lediglich formelle Zustimmung zum Verhandlungsbeginn bedeute auch seines Erachtens schon eine gewisse materielle Bindung. Kämen aufgrund dieser formellen Zustimmung gewisse Formulierungen der beiderseitigen Kommissionen zustande, so sei es tatsächlich schwer, sie nachher völlig abzulehnen.

Die gleichen Bedenken äußerte Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und erklärte sich gegen die Aufnahme solcher Verhandlungen. Die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen dauerten jetzt bereits 1¾ Jahre, und es sei schwer verständlich, warum jetzt eine solche Zwischenlösung Hals über Kopf herbeigeführt werden müsse.

Auch der Herr Reichskanzler war der Meinung, daß eine Stellungnahme schwer möglich sei, ehe man einen gewissen positiven Vorschlag vor sich sehe und regte die Lösung an, es möchte vor Erklärung der Verhandlungsbereitschaft eine lose materielle Fühlungnahme Platz greifen.

Nach weiterer Aussprache über diesen Gedanken wurde einstimmig beschlossen:

Die sofortige Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Provisorium erfolgt noch nicht; infolgedessen soll insbesondere Ministerialdirektor Posse heute abend noch nicht nach Paris zurückfahren5. Statt dessen sollen die beiden bisherigen Referenten der Deutschen Delegation, Geheimer Regierungsrat Mathies (Reichswirtschaftsministerium) und Ministerialrat Ebner (Reichsernährungsministerium) sofort nach Paris zurückfahren, um vor offizieller Aufnahme der Verhandlungen über das Provisorium bezüglich der materiellen Möglichkeiten dieses Provisoriums zu sondieren. Der handelspolitische Ausschuß[50] der Reichsregierung soll morgen (12. Juni) zu einer Sitzung zusammentreten, um seinerseits über den von Deutschland zu beanspruchenden wesentlichen Inhalt eines Provisoriums zu beraten. Aufgrund dieser Vorschläge des handelspolitischen Ausschusses und der inzwischen zu erwartenden Pariser Berichte der beiden genannten Referenten wird das Reichskabinett voraussichtlich am Mittwoch oder Donnerstag nächster Woche erneut sich mit der Frage eines etwaigen Provisoriums in den deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen befassen. Je nach Ausgang dieser Kabinettssitzung soll dann eventuell Ministerialdirektor Posse zur offiziellen Aufnahme dieser Verhandlungen über ein Provisorium alsdann sofort nach Paris abfahren6.

5

Posse war Leiter der dt. Delegation bei den dt.-frz. Handelsvertragsverhandlungen in Paris.

6

Über diese Entscheidung des Kabinetts wurde die frz. Botschaft in Berlin am 12. 6. durch StS Schubert unterrichtet; siehe ADAP, Serie B, Bd. I,1, Dok. Nr. 249. – Die nächste Kabinettsberatung über ein provisorisches Handelsabkommen mit Frankreich fand am 16. 6. statt; siehe Dok. Nr. 26, P. 3.

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