2.40.1 (ma31p): 1. Wirtschaftliche Not infolge der Erwerbslosigkeit.

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1. Wirtschaftliche Not infolge der Erwerbslosigkeit.

Der Reichsarbeitsminister betonte einleitend, die Lage des Arbeitsmarktes sei so außerordentlich ungünstig1 und lasse eine so ungünstige Entwicklung erwarten, daß außerordentliche Maßnahmen notwendig seien. Er habe nicht die Absicht, diese Maßnahmen heute schon in allen Einzelheiten im Reichstage mitzuteilen, glaube aber doch ein grundsätzliches Programm entwickeln zu müssen und wünsche die Zustimmung des Kabinetts zu diesem Programm2. Für die Maßnahmen, die jetzt notwendig seien, würden die laufenden Etatsmittel nicht ausreichen. Sie müßten nach seiner Auffassung auf dem Wege umfangreicher Anleihen gedeckt werden. Diese Anleihen sollen insbesondere zu der Finanzierung des Wasserstraßenprogramms verwendet werden, das der Herr Reichsverkehrsminister aufgestellt hat3. Im übrigen komme es vor allem darauf an, die Schlüsselgewerbe anzuregen, die für die ganze Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Volkswirtschaft von Bedeutung seien. Es handle sich hier insbesondere um die Landwirtschaft, die Eisenindustrie, und zwar sowohl die Eisen schaffende wie die Eisen verarbeitende, und das Baugewerbe. Um der Eisenindustrie Arbeit zu geben, müsse die Reichsbahn von neuem in die Lage gesetzt werden, Aufträge zu vergeben, vor allem zur Wiederherstellung des Oberbaues. Das Reich müsse für die Verbindlichkeiten, die die Reichsbahn dazu übernehme, die[95] Garantie geben und u. U. auch eine Zinsverbilligung. Auch die Reichspost müsse das Mögliche an Aufträgen herausbringen und dazu u. U. in gleicher Art finanziell vom Reiche gestützt werden. Um das Baugewerbe in Gang zu bringen, müsse das Reich einen kurzfristigen Zwischenkredit auf die Hauszinssteuer geben, die ja in Preußen erst jetzt zu fließen anfange. Außerdem sollten aus den Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge Wohnungen für landwirtschaftliche Arbeiter in noch beträchtlich größerem Ausmaß als bisher gefördert werden. Damit sollte zugleich die Möglichkeit geschaffen werden, ausländische, besonders polnische Arbeiter, die sich in landwirtschaftlichen Dauerstellungen befinden, durch deutsche Kräfte zu ersetzen. Ob auch die industrielle Umsiedlung stärker als bisher aus Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge zu fördern sei, werde nachgeprüft werden müssen, ebenso, ob die produktive Erwerbslosenfürsorge, wie früher schon einmal, für Hausreparaturen einzutreten habe. Das Wichtigste sei, daß schon in diesem Herbst Vorsorge getroffen werde, damit ein einheitliches Bauprogramm für die nächsten drei Jahre aufgestellt werden könne.

1

Auf dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit, Mitte Februar 1926, wurden 2 058 000 Vollerwerbslose gezählt, die nach den Bestimmungen der Erwerbslosenfürsorge Hauptunterstützung erhielten. Am 1.6.26 waren es noch 1 744 000 Hauptunterstützungsempfänger. Hinzu kam eine etwa gleich große Zahl von Kurzarbeitern (vgl. Statistisches Jahrbuch 1927, S. 338 f.).

2

Am 25.6.26 hatte der Volkswirtschaftliche Ausschuß des RT einen umfangreichen Bericht seines Unterausschusses über Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der produktiven Erwerbslosenfürsorge vorgelegt (RT-Bd. 409 , Drucks. Nr. 2455 ).

Bei der Beratung dieses Berichts in der Vollsitzung des RT am 28. 6. nachm. trug der RArbM das von der RReg. in Aussicht genommene Arbeitsbeschaffungsprogramm vor. Es handelte sich dabei u. a. um konjunkturbelebende Aufträge der RB und der RP, die Förderung des Wasserstraßen- und Straßenbaus, der Ödlandkultivierung, der landwirtschaftlichen Siedlung und des Wohnungsbaus sowie um die verstärkte Fortführung von Notstandsarbeiten im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge (RT-Bd. 390, S. 7633  ff., bes. S. 7639 ff.). Siehe auch die „Denkschrift über die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Reichsregierung“, die der RArbM am 19.1.27 dem RT vorlegte (RT-Bd. 413 , Drucks. Nr. 2921 ).

3

Siehe P. 2 dieses Protokolls.

Große Möglichkeiten der Arbeitsbeschaffung lägen auch auf dem Gebiete des Straßenbaues. Es handle sich hier um die Anpassung der vorhandenen Straßen an die neuen Verkehrsbedürfnisse. Das müßte nach einem einheitlichen Plan gemacht und u. U. auch im Wege einer Anleihe gefördert werden.

Um die nötige Beschleunigung und Einheitlichkeit in dem Vorgehen der Ressorts und der Länder zu sichern, schlägt der Herr Reichsarbeitsminister die Bildung einer besonderen Ministerialkommission vor, die unter dem Vorsitz des Reichsarbeitsministeriums ihre Tätigkeit aufnehmen soll.

Die Verhandlungen wurden daraufhin abgebrochen, um den Herren Ministern Gelegenheit zu geben, ihrerseits ihre Stellungnahme vorzubereiten.

Fortsetzung der Beratungen soll heute nachmittag um 2 Uhr im Reichstage stattfinden4.

4

Siehe Dok. Nr. 41.

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