2.51.1 (ma31p): [Zusammenarbeit zwischen Reichsregierung und Reichsbahn-Gesellschaft.]

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Text

RTF

[Zusammenarbeit zwischen Reichsregierung und Reichsbahn-Gesellschaft.]

[…]1

1

Zu Beginn der Besprechung wurde ein früherer Schriftwechsel zwischen dem RVM und der RB-Gesellschaft aus dem Jahr 1925 betr. Wahl des Generaldirektors erörtert.

Der Reichskanzler glaubt, daß in der Vergangenheit eine Reihe von Mißverständnissen vorlägen, die man jetzt nicht mehr beseitigen könne. Hauptzweck der heutigen Besprechung sei, eine Regelung für die Zukunft zu treffen und vor allem ein besseres Zusammenarbeiten zwischen Reichsregierung und Reichsbahn herbeizuführen.

Der Reichsverkehrsminister verlas darauf einen von ihm gefertigten Entwurf eines Schreibens des Herrn v. Siemens an die Reichsregierung2 (siehe Anlage)3.

2

Im Protokoll statt „Reichsregierung“ irrtümlich „Reichsbahn“; vgl. hierzu Dok. Nr. 49.

3

Der Entwurf dieses Schreibens hat folgenden Wortlaut: „Aus der letzthin bei Ihnen, Herr Reichskanzler, mit den beteiligten Herren Reichsministern stattgehabten Besprechung über das Verhältnis der Reichsregierung zur Reichsbahn [Dok. Nr. 33] habe ich entnommen, daß erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden bestehen, und daß in Sonderheit die Reichsregierung der Auffassung ist, daß die Reichsbahn-Gesellschaft über das erforderliche und gesetzlich gebundene Maß hinaus ihr Handeln ganz von dem Eisenbahngesetz beherrscht sein ließe und zu wenig Rücksicht nicht nur auf die Erfordernisse der deutschen Wirtschaft, sondern auch auf die politischen Notwendigkeiten der Reichsleitung nähme. Ich habe Gelegenheit genommen, auseinanderzusetzen, von welchen Voraussetzungen die Reichsbahn-Gesellschaft ausgeht, daß vor allem die deutschen Mitglieder des Verwaltungsrates es sich zum Ziel gesetzt hätten, durch vorsichtiges Handeln ein Vordringen ausländischen Einflusses zu verhindern, daß es ihnen aber durchaus fern läge, die Intentionen der Reichsleitung zu kreuzen und die berechtigten Wünsche der deutschen Wirtschaft zu kurz kommen zu lassen.

Ich habe davon Kenntnis genommen, daß die Reichsregierung zu der Bestätigung der Wahl des Direktors Dorpmüller als Generaldirektor erst Stellung nehmen will, wenn Beschlüsse des Verwaltungsrats vorliegen, daß der Reichsverkehrsminister und [„und“ hschr. geändert aus „oder“] seine Kommissare ohne Stimmrecht an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehmen können, daß anerkannt wird, daß auch die Bestellung eines stellvertretenden Generaldirektors der Bestätigung des Herrn Reichspräsidenten unterliegt und daß endlich zugesichert wird, bei künftig notwendig werdenden Wahlen eines Generaldirektors oder von Direktoren, welche der Bestätigung durch den Reichspräsidenten unterliegen, mit dem Reichsverkehrsminister so rechtzeitig und vor der Tätigung der Wahl in Verbindung zu treten, daß die Reichsregierung wegen Eignung der Personen ihre Wünsche und Bedenken geltend machen kann. Ich nehme weiter davon Kenntnis, daß die Reichsregierung bereit ist, in geeigneten Fällen den Verwaltungsrat in einer Kabinettssitzung anzuhören und mit ihm zu beraten.

Ich werde dies Verlangen der Reichsregierung dem Verwaltungsrat vortragen und mich dafür einsetzen, daß eine entsprechende Beschlußfassung im Sinne dieser Wünsche erfolgt.

Von dem gleichen Bestreben geleitet, das erforderliche Zusammenarbeiten von Reichsbahn und Reichsregierung, insbesondere mit dem Reichsverkehrsministerium, zu gewährleisten und den Wünschen der Reichsregierung genügenden Einfluß zu sichern, bin ich bereit, mich beim Verwaltungsrat dafür einzusetzen, daß

1. eine Weisung in diesem Sinne an die Hauptverwaltung ergeht. In Sonderheit soll das Reichsverkehrsministerium von allen Anordnungen, welche auf dem Gebiete des Personalwesens ergehen, sofern dies nicht schon gesetzlich geboten ist, vorher so rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden, daß es seine Bedenken und Wünsche geltend machen kann;

2. bei Entscheidungen über Fragen, welche in ihrer Auswirkung für die Reichsleitung von politischer Bedeutung sein können, rechtzeitig Fühlung mit dem Reichsverkehrsminister aufgenommen wird;

3. auf dem Gebiete des Tarifwesens den Wünschen des Reichsverkehrsministers in weiterem Umfange Rechnung getragen wird und dies insbesondere auf dem Gebiet des Binnenumschlagstarifs zum Ausdruck kommt. […];

4. das Reichsbahngericht nur im äußersten Notfall angerufen wird, und zwar erst nach Erschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten und nur in solchen Fällen, bei denen es sich um lebenswichtige Fragen für die Reichsbahn-Gesellschaft handelt;

5. in der Personalpolitik der Reichsbahn-Gesellschaft bei sozialer Einstellung mit größter Vorsicht und möglichster Schonung vorgegangen und ständig vor Augen gehalten wird, daß es sich trotz Umformung der Reichseisenbahn immerhin um ‚Beamte‘ handelt, die, wenn auch nicht den Reichsbeamten gleichstehend, doch auch mit staatlichen Funktionen betraut sind und an deren Erhaltung im Beamtengeist die Reichsregierung das größte Interesse hat. Es soll in Sonderheit die Frage der Kündbarkeit der Beamten der unteren Gruppen nochmals einer Prüfung mit dem Ziel unterzogen werden, [daß] die Karenzzeit erheblich herabgesetzt und möglichst den für Reichsbeamte geltenden Bestimmungen angeglichen wird;

6. die Reichsbahn-Gesellschaft Beteiligungen an anderen Verkehrsunternehmungen, mögen sie gestaltet sein wie sie wollen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Reichsverkehrsministers vornimmt;

7. auf dem Gebiet der gesetzlich vorgeschriebenen Nachprüfung des finanziellen Gebarens der Reichsbahn-Gesellschaft den Forderungen der Reichsregierung entsprochen wird.“ (R 43 I /1050 , Bl. 328–332). – Vgl. hiermit Dok. Nr. 28.

[115] Herr v. Siemens hält es für nicht richtig, die Frage der Bestätigung der Wahl des neuen Generaldirektors mit den im Schreiben des Reichsverkehrsministers4 aufgeführten Punkten in Zusammenhang zu bringen, dergestalt, daß Erfüllung von Bedingungen seitens des Verwaltungsrats gefordert würde.

4

Gemeint ist: in dem vom RVM gefertigten Entwurf eines Schreibens v. Siemens’ an die RReg. (Anm. 3).

Der Reichskanzler betonte, daß für die Reichsregierung die Auffassung maßgebend gewesen sei, daß sie eventuell bereit sei, ihre persönlichen und sachlichen Bedenken gegen die Wahl des neuen Generaldirektors5 zurückzustellen,[116] wenn gewisse Sicherheiten für ein besseres Zusammenarbeiten mit der Reichsbahn gegeben würden.

5

Dorpmüller.

 

Staatssekretär Stieler trat dem Standpunkt des Herrn v. Siemens bei und hielt eine Annahme der Forderungen der Reichsregierung für nicht möglich.

Staatssekretär Bergmann teilte mit, daß es bisher dem Verwaltungsrat gelungen sei, eine Abstimmung bezügl. des Antrags des Reichsverkehrsministers auf Zulassung zu den Sitzungen des Verwaltungsrats zu vermeiden. Sie seien auch bereit, in einer allgemeinen Erklärung dem Verlangen der Reichsregierung stattzugeben, sich auch mit aller gebotenen Energie dafür einzusetzen, daß dem Reichsverkehrsminister und seinen Kommissaren der Zutritt zum Verwaltungsrat ermöglicht werde. Einen Beschluß des Verwaltungsrats vor der Bestätigung des Generaldirektors halte er aber wie seine Herren Vorredner für unmöglich.

Herr v. Siemens erklärte, daß, was die Vorgänge bei der Wahl Dorpmüllers sowie die Ernennung von Direktoren anlange, sich eine Einigung wohl unschwer werde erzielen lassen. Bezüglich der Zulassung des Reichsverkehrsministers zu den Sitzungen des Verwaltungsrats müsse er den Ausführungen von Staatssekretär Bergmann beitreten. Er wolle kein Hehl daraus machen, daß er persönlich für die Zulassung sei. Vielleicht könne die Reichsregierung von sich aus mit der Reparationskommission Fühlung nehmen, um hier die Wege zu ebnen. An Einzelheiten wolle er nur bemerken, daß er persönlich das Reichsbahngericht für eine sehr angenehme Sache halte, da hier eine unparteiische Auslegung der Streitfragen gewährleistet sei und mancherlei Streitigkeiten dadurch auf einfache Weise bereinigt würden.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, er sei gern bereit, mit Delacroix in dem von Herrn v. Siemens gewünschten Sinne zu verhandeln. Er wolle nur noch die Frage stellen, weshalb der Zulassungsantrag des Reichsverkehrsministers früher abgelehnt worden sei6.

6

In der Ministerbesprechung vom 3.7.26 (Dok. Nr. 49) hatte der RVM mitgeteilt, daß „ein negativer Beschluß des Verwaltungsrats in der Frage der Zuziehung seiner Person zu den Verwaltungsratssitzungen vorläge, und zwar ein einstimmiger Beschluß aus dem März d. Js.“

Staatssekretär Bergmann erwiderte, es habe über den Antrag überhaupt keine Abstimmung stattgefunden.

Herr v. Siemens erklärte, daß sich bei der Diskussion der Frage ergeben habe, daß eine Mehrheit für den Antrag nicht zu haben gewesen sei. Er erklärte ferner, daß der Verwaltungsrat bereit sei, die gewünschte Erklärung bezügl. des formellen Vorgehens bei der Neuwahl eines Generaldirektors abzugeben. Er werde sich ferner für seine Person, und das könne er wohl auch für die beiden anderen Herren erklären, für die Zulassung des Reichsverkehrsministers in den Verwaltungsrat einsetzen. Ebenso seien sie bereit, das Bestätigungsrecht des Herrn Reichspräsidenten bei den Direktoren der Reichsbahn anzuerkennen und danach zu verfahren.

Staatssekretär Bergmann hat noch dringend, die Bestätigung für Herrn Dorpmüller nicht länger zu versagen. Die Regierung müsse zu ihnen Vertrauen haben; sie erklärten mündlich, wenn es gewünscht werde auch schriftlich, daß sie sich für die Zulassung des Reichsverkehrsministers zu den Verwaltungsratssitzungen[117] einsetzen würden. Vielleicht werde hier eine Form gewählt werden müssen, die besage, daß der Reichsverkehrsminister auf Wunsch Zutritt habe. Durch das Setzen einer Bedingung werde die Angelegenheit nur erschwert.

Herr v. Siemens schloß sich diesen Ausführungen an.

Der Reichskanzler dankte den Herren und teilte mit, daß das Kabinett heute nachmittag tage und sich dann auch mit dieser Frage beschäftigen werde7. Er schloß darauf die Sitzung.

7

Siehe Dok. Nr. 52, P. 1.

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