1.112.2 (ma32p): 2. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.

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2. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.

Der Reichsminister des Auswärtigen gab Ausführungen über den Stand der Verhandlungen (siehe Anlage). Er habe nunmehr vorgeschlagen, daß Deutschland das Recht eingeräumt werden solle, das Holzabkommen1 mit einer Frist von 8 Wochen zu kündigen, falls Polen die Verordnung vom 11. August 1927 über die Maximalzölle2 gegenüber Deutschland in Kraft setze. Er schlage vor, daß sich das Kabinett mit der polnischen Formel3 einverstanden erklärt und daß das Kündigungsrecht vorgesehen wird, wenn Polen zustimmt.

1

Siehe dazu Dok. Nr. 344, Anm. 5 und Dok. Nr. 347.

2

Siehe Dok. Nr. 288, Anm. 4.

3

Gemeint ist eine Erklärung der poln. Reg. über die Nichtanwendung der Maximalzoll-Verordnung; dt. und poln. Textvorschlag hierzu in R 43 I /1425 , Bl. 274–275.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies darauf hin, daß der Holzvertrag nicht nur für Deutschland günstig sei, sondern auch den Polen Vorteile biete. Das Kontingent von jährlich 1,2 Millionen cbm4 grenze an die polnische Lieferungsmöglichkeit. Er bedauerte zwar, daß die Vorverhandlungen nicht bereits unter der Voraussetzung geführt worden seien, daß Polen auf die Maximalzölle Deutschland gegenüber verzichte, wolle aber der Fortsetzung der Verhandlungen keine Schwierigkeiten bereiten. Er sei bestrebt, zu einer positiven Regelung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern durch einen modus vivendi beizutragen. Im übrigen trete er dafür ein, daß die Aufnahme der Kündigungsklausel mit Entschiedenheit angestrebt werde. Keinesfalls dürften die Maximalzölle der Polen auf die Kontingente der Industriewaren angewendet werden, die im Holzabkommen zugestanden worden seien.

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Einfuhrkontingent für Schnittholz aus Polen.

Der Reichswirtschaftsminister hielt den Vorbehalt einer Auflösung des Holzabkommens nicht für wünschenswert. Die deutschen Interessenten würden alsbald Verträge abschließen, durch welche die vereinbarten Kontingente erschöpft würden. Die Beseitigung des Abkommens würde dann den gewünschten Erfolg nicht mehr haben. Vorteilhafter sei der Erlaß einer Verordnung, durch die auch in Deutschland Maximalzölle gegen Länder eingeführt werden könnten, die mit Deutschland nicht im Vertragsverhältnis stehen.

[1115] Der Stellvertreter des Reichskanzlers sprach sich dagegen aus, daß Polen sich in dem Abkommen Kampfmaßnahmen vorbehält, während auf deutscher Seite ein ähnlicher Vorbehalt nicht gemacht werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte sodann Bedenken, ob Reichsminister a. D. Dr. Hermes neben der Leitung der Delegation für die deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen den Vorsitz in seiner Kommission des Enqueteausschusses5 würde weiterführen können. Keinesfalls dürften die Handelsvertragsverhandlungen wegen der Arbeiten des Enqueteausschusses verzögert werden6.

5

Hermes war Vorsitzender des Unterausschusses für Landwirtschaft im „Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft“ (sog. Enqueteausschuß).

6

Hermes hatte StS Pünder mitgeteilt, daß er bereit sei, den Posten des Delegationsleiters bei den dt.-poln. Handelsvertragsverhandlungen anzunehmen. Er habe „selbstverständlich die Absicht […], den ihm früher seitens der Reichsregierung gewordenen Auftrag, als Sachverständiger in der Enquetekommission zu arbeiten, beizubehalten. Persönlich habe er [Hermes] keinerlei Bedenken, daß er zeitlich nicht mehr in der Lage sein würde, beide Aufgaben miteinander zu vereinen.“ (Vermerk Pünders vom 25.11.27, R 43 I /1107 , Bl. 45–46).

Der Reichskanzler erklärte, daß auch nach seiner Auffassung Reichsminister a. D. Hermes zwar den Vorsitz in dem Ausschuß nicht niederzulegen brauche, das Amt aber nur so weit ausüben könne, als es die Leitung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen zuließe.

Im gleichen Sinne sprach sich der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft aus. Reichsminister a. D. Hermes vertrete die gleiche Auffassung. Nötigenfalls müsse der stellvertretende Vorsitzende der Enquetekommission vermehrt zur Arbeit herangezogen werden.

Das Kabinett war damit einverstanden, daß der deutsche Gesandte in Warschau7 das Holzabkommen unterzeichnet. Wenn die polnische Regierung dabei auf den Vorschlag der deutschen Regierung, ihr ein Kündigungsrecht mit achtwöchiger Frist einzuräumen, nicht eingeht, soll der Gesandte darauf hinweisen, daß Deutschland sich für den Fall der Anwendung der Maximalzoll-Verordnung auf die deutsche Einfuhr weitere Maßnahmen vorbehalte. Keinesfalls dürfen die polnischen Maximalzölle auf die Kontingente für industrielle Erzeugnisse Anwendung finden, die Polen im Holzabkommen Deutschland zugestanden hat8.

7

Rauscher.

8

Am 30.11.27 wurde das „Abkommen über die vorläufige Regelung des Holzverkehrs aus Polen nach Deutschland“ in Warschau unterzeichnet (Text: RGBl. 1928 II, S. 15  ff.; amtliche Denkschrift hierzu in RT-Bd. 421 , Drucks. Nr. 3868 ). Dieses Abkommen wurde ergänzt durch eine Vereinbarung über Eisenbahntarife, ferner durch eine Vereinbarung über die Ausfuhr bestimmter dt. Warenkontingente nach Polen. Außerdem erklärte sich die poln. Reg. in einer Note vom 30.11.27 bereit, die poln. Maximalzoll-Verordnung nicht auf dt. Waren anzuwenden, solange die Verhandlungen mit Dtld. über einen Modus vivendi andauerten. Der dt. Gesandte erklärte bei der Unterzeichnung des Holzabkommens, daß sich die RReg. „jede Freiheit der Handlung vorbehalten“ müsse, falls die Maximalzoll-Verordnung dennoch angewendet würde; siehe den Bericht Rauschers vom 1. 12. an das AA, in: ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 167.

Im übrigen ging die einmütige Auffassung des Reichskabinetts dahin, daß auf der Grundlage des über die Vorverhandlungen verfaßten Protokolls9 der Abschluß eines Provisoriums mit Polen ernstlich angestrebt wird und daß ferner[1116] von der gleichen Auffassung aus die Verhandlungen über den endgültigen Handelsvertrag dem Abschluß über den modus vivendi unverzüglich folgen müssen. Unter diesen Umständen war die Reichsregierung der Ansicht, daß Reichsminister a. D. Dr. Hermes unbeschadet der Aufrechterhaltung seiner Berufung in den Enqueteausschuß sich für die Dauer seiner Tätigkeit als Delegationsführer von anderen Geschäften derartig freimachen müsse, daß der Fortgang der gesamten Handelsvertragsverhandlungen keine Verzögerung erleidet10.

9

Gemeint ist das Protokoll über Verhandlungen mit dem poln. Sondergesandten Jackowski in Berlin vom 17. bis 23.11.27 über die Wiederaufnahme der dt.-poln. Handelsvertragsverhandlungen; siehe dazu Dok. Nr. 344, Anm. 4.

10

Der letzte Absatz dieses Kabinettsbeschlusses war bereits am 25.11.27 von Pünder vorformuliert worden (R 43 I /1425 , Bl. 276 und 280). Zu diesem Kabinettsbeschluß siehe auch den Entwurf eines Schreibens von Stresemann an Marx vom 24. 11., in: ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 136.

Dem Reichspräsidenten soll Minister a. D. Hermes nunmehr endgültig als Führer der Delegation für die deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen vorgeschlagen werden.

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