1.145.1 (ma32p): Vorbereitung der Länderbesprechung am 16. und 17. Januar 1928.

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Vorbereitung der Länderbesprechung am 16. und 17. Januar 19282.

2

Eine Chefbesprechung zur Vorbereitung der Länderkonferenz hatte bereits am 20. 12. stattgefunden; siehe Dok. Nr. 380.

Staatssekretär Dr. Popitz legte seinen Ausführungen die beiliegenden Richtlinien3 zugrunde. Er erklärte, daß es zur Aufstellung eines Programms wohl nötig sein werde, die Richtlinien in einer Sitzung des Reichsministeriums zu besprechen. Eine nähere schriftliche Begründung der Richtlinien halte er jedoch nicht für richtig. Er halte es ferner nicht für zweckmäßig, die Richtlinien, wie es sonst bei Vorlagen üblich sei, als Kabinettsvorlage einzubringen. Zweckmäßiger erscheine es ihm vielmehr, in der Kabinettssitzung selber die Richtlinien zu verteilen und sodann mündlich zu erläutern.

3

Die von Popitz vorgelegten „Richtlinien für die Länderkonferenz“ (Abschrift, ohne Datum und Verfasserangabe; R 43 I /1874 , Bl. 27–29) enthalten nur einen stichwortartigen Katalog prüfungsbedürftiger Fragen. Die durchnumerierten Hauptstichworte und die mit Kleinbuchstaben bezeichneten Unterstichworte der „Richtlinien“ erscheinen im oben abgedruckten Protokoll als Zwischenüberschriften.

Hiergegen erhoben sich keine Bedenken.

Es wurden sodann die beiliegenden Richtlinien einzeln durchgesprochen.

I.

Die staatsrechtlich und finanziell mögliche Ausgestaltung von Reichsländern (Sonderfrage: Preußen als Reichsland).

Staatssekretär Dr. Popitz wies darauf hin, daß das Reichsministerium des Innern inzwischen eine kleine Denkschrift zu dieser Frage verfaßt habe4. Sicherlich werde die Frage der Reichsländer am ersten Tage der Länderbesprechung[1202] eine Rolle spielen. Mit dieser Frage hänge eng zusammen die zweite Frage:

4

Die erwähnte Denkschrift konnte in den Akten der Rkei nicht ermittelt werden. Im Nachlaß Pünder  (Nr. 101, Bl. 214–217) befindet sich – zwischen Aktenstücken und Zeitungsartikeln von Ende 1927/Anfang 1928 zur Reichsreform und zur Vorbereitung der Länderkonferenz – eine Aufzeichnung „Material zum Thema ‚Bildung von Reichsländern‘“ ohne Datum und Verfasserangabe mit dem Aktenzeichen I 5400/30. 12. und dem hschr. Kopfvermerk „Vom RMdInnern“. Diese Aufzeichnung sucht im einzelnen nachzuweisen, daß die Schaffung von Reichsländern in organisatorischer Hinsicht nicht zu einer Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung führen würde. In staatsrechtlicher Beziehung würden die Reichsländer einen Fremdkörper im Aufbau des Reiches bilden. Solche Bedenken fielen teilweise fort, wenn Preußen zusammen mit anderen kleinen Ländern Reichsland würde, doch sei diese Frage gegenwärtig nicht aktuell. Zur Behebung der Schwierigkeiten der finanziell notleidenden Länder schlägt die Aufzeichnung eine Änderung des Finanzausgleichs bzw. die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften mit benachbarten größeren Ländern vor. Dauernd lebensunfähigen Ländern bleibe die Möglichkeit des Anschlusses an ein größeres Land gemäß Art. 18 Abs. 2 der RV.

II.

Übernahme von Länderaufgaben auf das Reich.

a)

Justizverwaltung,

b)

Wasserstraßenverwaltung,

c)

oberste Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Zu a) Justizverwaltung.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß hier zunächst die Frage der generellen Übernahme sämtlicher Justizverwaltungen durch das Reich auftauche. Er wolle in diesem Zusammenhange auf die letzte Debatte im Reichstag über den Etat des Reichsjustizministeriums hinweisen, bei der der Abgeordnete Geheimrat Kahl stark diese Forderung vertreten habe5. Hinter dieser Frage trete die zweite Frage in ihrer Bedeutung zurück, ob nur die Justizverwaltung einzelner Länder, welche die Übernahme wünschten, vom Reich übernommen werden solle.

5

In der Sitzung des RT vom 23.2.27; siehe RT-Bd. 392, S. 9192  f.

Die Frage einer notwendigen Verfassungsänderung infolge der Übernahme der Länderjustizverwaltungen auf das Reich werde zu prüfen und wohl sicher zu bejahen sein. Zu untersuchen seien ferner der Vollzug der Übernahme und etwa notwendige Änderungen der formellen Justizgesetzgebung. Es werde sehr zu begrüßen sein, wenn die im Reichsjustizministerium in Ausarbeitung befindliche Denkschrift auf alle diese Fragen Antwort gebe.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Justiz führte aus, daß hinsichtlich der Denkschrift die Vorarbeiten beendet seien. Er sei daher in der Lage, in der Länderkonferenz einen eingehenden Vortrag über die Frage der Übernahme der Landesjustizverwaltung auf das Reich zu halten. Er bezweifle aber, ob die Vorlage einer Denkschrift des Reichsjustizministeriums im Reichskabinett zweckmäßig sei. Eine schriftliche Denkschrift käme wohl erst in Betracht, wenn die Frage ernst gestellt werde. Gegen die Behandlung der Frage einer Übernahme sämtlicher Länderjustizverwaltungen durch das Reich habe er gewisse Bedenken; es sei wohl abzuwarten, ob einzelne Länder, wie z. B. Hessen, überhaupt noch den Wunsch auf Übernahme ihrer Justizverwaltung durch das Reich hätten.

Staatssekretär Dr. Popitz erwiderte, daß erst gestern (30. 12.) ein Brief des Hessischen Finanzministers an den Reichsminister der Finanzen im Reichsfinanzministerium eingegangen sei, worin dieser im wesentlichen erkläre, er sehe keine Möglichkeit einer Behebung der finanziellen Schwierigkeiten Hessens aus eigener Kraft. Im übrigen seien zwei Fragen zu unterscheiden:

a)

Übernahme der gesamten Landesjustizverwaltungen auf das Reich,

b)

Übernahme einzelner Landesjustizverwaltungen, vor allem der Länder, die notleidend seien.

Ganz allgemein wolle er nur darauf hinweisen, daß durch die Übernahme sämtlicher Justizverwaltungen der Länder auf das Reich nicht unwesentliche Ersparnisse erzielt werden könnten. Der Zuschußbedarf für die Justizverwaltungen[1203] sämtlicher Länder im Reich habe im Jahre 1925 245 Millionen Mark betragen. Zur Zeit könne der Zuschußbedarf auf ungefähr 294 Millionen Mark geschätzt werden. Er sei natürlich zwangsläufig höher, u. a. durch das neue Besoldungsgesetz.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Justiz wies darauf hin, daß nach seiner Auffassung die Übernahme der Justizverwaltung sämtlicher Länder durch das Reich zur Zeit politisch nicht zu erreichen sein werde. Schon durch die Behandlung einer derartigen Frage werde eine große Aufregung unter den Ländern entstehen, besondere praktische Vorteile verspreche er sich hiervon nicht. Falls die Minister der Deutschen Volkspartei im Kabinett das Verlangen stellen sollten, das Reich solle sämtliche Justizverwaltungen der Länder übernehmen, so würden sie sicherlich hiermit allein stehen. Anders läge die Frage der Übernahme in den Ländern, die notleidend seien. Hier verspreche er sich einen gewissen Erfolg von der Übernahme. Was die Frage der finanziellen Ersparnis anlange, so würden in Hessen 7½ Millionen Mark, in Braunschweig 1,9 Millionen nach dem Stand von 1925 erspart werden können, falls das Reich die Justizverwaltung dieser Länder übernehme. Natürlich müsse dann auch die Rechtsprechung im Namen des Reichs erfolgen, das Begnadigungsrecht müsse auf das Reich übergehen. Unzweifelhaft sei eine derartige Lösung verfassungsändernd. Ob Bayern, Württemberg und Baden auch gegen eine Übernahme der Justizverwaltungen der Länder auf das Reich sich wenden würden, deren Regierungen selber den Wunsch äußerten, könne er nicht beurteilen.

Er wolle seine Denkschrift auf den Fall abstellen, daß einzelne Länder selber den Wunsch äußerten, das Reich möge ihre Justizverwaltungen übernehmen und, falls die schriftliche Ausarbeitung einer derartigen Denkschrift gewünscht werde, wogegen er gewisse Bedenken habe, die fertige Denkschrift zu der nächsten Sitzung des Reichsministeriums mitbringen und in der Sitzung verteilen lassen. Falls er generell die Frage der Abgabe sämtlicher Justizverwaltungen der Länder an das Reich behandele, könne der Verdacht entstehen, daß das Reich dieses Ziel erstrebe6.

6

Am 5.1.28 übersandte StS Joël an StS Pünder eine im RJMin. angefertigte Aufzeichnung „Die Verreichlichung der Justiz in finanzieller Beleuchtung“ (undatierte Aufzeichnung ohne Unterschrift mit formlosem Anschreiben vom 5. 1. sowie Dankschreiben Pünders an Joël vom 6.1.28 im Nachl. Pünder , Nr. 101, Bl. 179–198; die Aufzeichnung auch in R 43 I /1875 , Bl. 51–92). In der Aufzeichnung wird dargelegt, daß die Einsparungen, die durch eine Verreichlichung der Justiz eintreten könnten, nicht überschätzt werden dürften, denn die Aufwendungen für die gesamte Rechtspflege machten nur einen verschwindenden Bruchteil der Gesamtausgaben für die öffentliche Verwaltung aus, nämlich nur 249 von 11 871 Mio RM oder 2,08%. Ersparnisse seien denkbar durch eine Zusammenlegung von Gerichten und Zentralbehörden sowie durch Personalabbau. Die finanziellen Auswirkungen solcher Maßnahmen seien schwer abzuschätzen. Man könne jedoch davon ausgehen, daß Einsparungen über das bei der preußischen Justizverwaltung erreichte Maß kaum gemacht werden könnten. Bei einer Herabdrückung des Zuschußbedarfs der übrigen Justizverwaltungen auf den preußischen Stand werde man aber nur mit 5 Mio RM Ersparnis rechnen können. Diese Einsparungen könnten zum überwiegenden Teil durch die Länder selbst vorgenommen werden. Weitere Ersparnisse durch eine Verreichlichung fielen kaum ins Gewicht. Sie würden umso geringer, je kleiner das Gebiet sei, dessen Justizverwaltung vom Reich übernommen würde. In einem zweiten Teil untersucht die Aufzeichnung die organisatorischen und verfassungsrechtlichen Aspekte einer Übertragung der Justizverwaltung, Gerichtsbarkeit und Justizgesetzgebung der Länder auf das Reich. In verfassungsrechtlicher Hinsicht kommt die Aufzeichnung zu dem Ergebnis, daß die Übernahme der Justizverwaltung eine Änderung des Art. 103 der RV voraussetze.

[1204] Hiergegen erhoben sich keine Bedenken.

Der Reichskanzler hielt die Übernahme der gesamten Landesjustizverwaltungen auf das Reich noch nicht für durchführbar.

Staatssekretär Dr. Popitz wies auf die Möglichkeit hin, daß einzelne Länder einem evtl. Beispiele Hessens folgen könnten, ohne daß die Abgabe der Justizverwaltung an das Reich für diese eine finanzielle Notwendigkeit sei. Infolgedessen müsse man auch die große Frage – Schaffung einer Reichsjustizverwaltung – im Auge behalten. Für den Fall von Konsequenzen müsse eigentlich die ganze Frage geklärt werden.

Im übrigen bestehe eine große Schwierigkeit darin, daß die Justizverwaltungen in den einzelnen Ländern verschieden aufgebaut seien, z. B. in Bezug auf die Gerichtskasse, das Notariatswesen usw. Bayern habe überhaupt keine Gerichtskassen.

Zu b) Wasserstraßenverwaltung.

Staatssekretär Dr. Popitz erklärte, er schlage am liebsten vor, diese Frage möglichst auszuschalten, da sie das Kabinett zu stark belasten werde. Es würde zweckmäßig sein, die Frage der Reichswasserstraßenverwaltung mit den Ländern separat zu erörtern7. Recht beachtlich sei es übrigens, daß in einer kürzlich abgehaltenen Tagung des Reichslandbundes der Landbundführer Hepp sich sehr stark für eine Verreichlichung der Wasserstraßenverwaltung ausgesprochen habe.

7

Siehe dazu Dok. Nr. 393, P. 5.

Der Reichskanzler stimmte dieser Auffassung ausdrücklich zu.

Zu c) Oberste Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß wegen des Gesetzentwurfs über das Reichsverwaltungsgericht zwischen dem Reichsfinanzministerium und dem Reichsministerium des Innern im wesentlichen über folgende zwei Punkte noch Meinungsverschiedenheiten beständen. Das Reichsfinanzministerium wünsche für die Zuständigkeit des Reichsverwaltungsgerichts eine Generalklausel, während das Reichsinnenministerium die Zuständigkeiten einzeln aufzähle; ferner halte das Reichsfinanzministerium für das Verfahren vor dem Reichsverwaltungsgericht besondere reichsgesetzliche Vorschriften für nötig, während das Reichsministerium des Innern die Verfahren der Länder in der unteren und mittleren Instanz als maßgebend für das Verfahren des Reichsverwaltungsgerichts betrachten wolle.

Staatssekretär Zweigert betonte, daß die Differenzen möglichst bald geklärt werden müßten8.

8

Siehe dazu Dok. Nr. 392.

[…]

III.

Zusammenlegung von Reichsaufgaben bei den Landesfinanzämtern und Finanzämtern.

a)

Versorgungsverwaltung,

b)

Wasserstraßenverwaltung.

[1205] Zu a) Versorgungsverwaltung.

Staatssekretär Dr. Popitz wies darauf hin, daß der Reichstag sich nicht geschlossen für die Übernahme der Versorgungsverwaltung9 durch die Landesfinanzämter ausgesprochen habe. In einer Resolution sei dieser Satz ursprünglich enthalten gewesen, später aber, offenbar auf Einwirkung des Herrn Reichsarbeitsministers, wieder fortgefallen10.

9

Die Versorgungsverwaltung (Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen) unterstand dem RArbMin. Siehe dazu: Syrup, Hundert Jahre staatliche Sozialpolitik 1839–1939, S. 378 ff.

10

Zur 2. Beratung des Besoldungsgesetzes hatten die Fraktionen des Zentrums, der DVP und der DNVP am 13.12.27 dem RT eine Entschließung vorgelegt, in der die RReg. ersucht wurde, „baldmöglichst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, der eine Beseitigung der im Reich entbehrlichen Behörden und eine entsprechende Zusammenlegung von Behörden mit bisher getrennter Zuständigkeit und mit bisher verschiedenartigen Verwaltungsbezirken vorsieht. In erster Linie sind die kleinen Landesfinanz- und Finanzämter, Oberpostdirektionen, Hauptversorgungs- und Versorgungsämter usw. aufzuheben. Eine Vereinigung des Versorgungswesens mit der Reichsfinanzverwaltung ist anzustreben“ (RT-Bd. 420 , Drucks. Nr. 3798 , Ziffer 1). Diese Entschließung wurde vom RT am 15.12.27 angenommen, mit Ausnahme des letzten Satzes, der bei der Abstimmung keine Mehrheit fand (RT-Bd. 394, S. 12165  f.).

Man könne vielleicht in Abschnitten vorgehen und damit beginnen, zunächst die Hauptversorgungsämter mit den Landesfinanzämtern zu verbinden. Die Versorgungsämter würden dann noch selbständig bestehen bleiben.

Der Reichssparkommissar erklärte, daß er hier große Schwierigkeiten sehe. Der Widerstand des Herrn Reichsarbeitsministers werde groß sein. Andererseits bestehe gerade hier sicherlich eine Notwendigkeit der Vereinfachung der Versorgungsverwaltung. Vielleicht könne man die Hauptversorgungsämter doch allmählich an die Landesfinanzämter angliedern und ihre unmittelbaren Befugnisse an die Versorgungsämter übertragen. Eine spätere Angliederung der Versorgungsämter an die Finanzämter sei noch schwieriger, weil ihre materiellen Aufgaben zur Zeit noch groß seien.

Dieses Ziel könne vielleicht in der Länderbesprechung ganz allgemein vorgeschlagen werden, ohne daß ein genau ausgearbeiteter Vorschlag oder gar eine Vorlage der Reichsregierung vorher vom Reichskabinett beschlossen werde. Jedenfalls müsse dies Ziel aufgestellt werden.

Staatssekretär Dr. Popitz hielt die Aufstellung dieses Zieles für besonders wichtig, weil es sich hier um die wichtigste Frage der Verwaltungsreform handele. Das Tempo der Durchführung des Zieles sei nicht ausschlaggebend.

Hiergegen erhob sich kein Widerspruch.

Der Reichskanzler erklärte sich ausdrücklich mit diesem Vorgehen einverstanden.

Zu b) Wasserstraßenverwaltung.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß bei einer Verreichlichung der Wasserstraßenverwaltung die Frage akut werde, ob nicht die Präsidenten der Landesfinanzämter gleichzeitig auch die Präsidenten der Wasserstraßenverwaltung werden sollten.

Der Reichssparkommissar ging auf die allgemeine Frage der Prüfung der Rationalisierung und Zusammenlegung sonstiger Reichsbehörden, insbesondere von Reichsmittelbehörden, ein und regte an, ihm im Reichskabinett einen besonderen[1206] Auftrag zur Durchprüfung der Reichsbehörden ohne Beschränkung auf Mittel- und Unterbehörden zu erteilen. Für die Länderkonferenz sei es wesentlich, in dieser Beziehung gewisse Grundsätze aufzustellen.

Der Reichskanzler hielt es für erwünscht, wenn der Reichssparkommissar für das Kabinett einen Entwurf der Grundsätze ausarbeite.

I

V.

Auftragsweise Übernahme von Landesaufgaben auf die Reichsbehörden.

a)

Steuervereinheitlichungsgesetz,

b)

Übernahme der Grenzpolizei,

c)

Übernahme der statistischen Aufgaben auf das Statistische Reichsamt.

Zu a) Steuervereinheitlichungsgesetz.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß das Reichsfinanzministerium über die grundsätzlichen Fragen mit Preußen einig sei. Bayern werde wohl das Gesetz schließlich hinnehmen, wolle aber nach außen hin zur Annahme gezwungen werden11. Vielleicht könne man in der Länderbesprechung am 17. Januar eine ausdrückliche Feststellung erreichen, daß die Ziele des Gesetzentwurfs, der ja von grundlegender Bedeutung sei, gebilligt würden.

11

Zum Stand der Beratungen über den Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes siehe Dok. Nr. 325, dort bes. Anm. 10.

Der Reichskanzler hielt eine ausführliche Debatte zum Steuervereinheitlichungsgesetz in der Länderkonferenz für sehr gefährlich.

Der Staatssekretär Dr. Pünder glaubte, daß man zwar die Frage in der Konferenz nicht totschweigen könne, aber es genüge eine kurze Feststellung im Sinne der Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Popitz, ohne die Angelegenheit weiter zu vertiefen.

Zu b) Übernahme der Grenzpolizei, insbesondere der Paßkontrolle an der Grenze durch die Zollbehörden.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß auch auf diesem Gebiete zahlreiche Möglichkeiten der Vereinfachung beständen. Es sei nicht einzusehen, weshalb nicht die Zollbeamten gleichzeitig die Paßkontrolle an der Grenze vornehmen könnten. Teilweise sei dieser Grundsatz schon durchgeführt, jedoch noch längst nicht überall.

Zu c) Übernahme der statistischen Aufgaben auf das Statistische Reichsamt.

Staatssekretär Dr. Popitz vertrat die Auffassung, daß in der Länderbesprechung vielleicht eine Erklärung des Inhalts abgegeben werden könne, das Statistische Reichsamt sei bereit, die statistischen Aufgaben kleinerer Länder zu übernehmen.

Der Reichssparkommissar regte an, eine gleichartige Bereitwilligkeit für die Übernahme der Rechnungskontrolle in kleinen Ländern auszusprechen.

Bedenken hiergegen wurden nicht geäußert.

Des weiteren wies Staatssekretär Dr. Popitz auf die Reichsfinanzstatistik hin. Er teilte mit, daß die Durchführung der Reichsfinanzstatistik auf äußerste Schwierigkeiten in den Ländern stoße. Wenn die Länder sich nicht mit dem Reich über die Einzelheiten der Durchführung einigen könnten, dann müsse[1207] unter Umständen Zwang einsetzen, und zwar notfalls eine gesetzliche Regelung Platz greifen. Der Reichstag verlange die Durchführung der Reichsfinanzstatistik, es sei außerdem aber auch zu bedenken, daß aus reparationspolitischen Gründen die Durchführung unerläßlich sei. Der Reichsminister der Finanzen habe die Absicht, die Länder zu einer Sonderkonferenz über dieses Problem einzuladen. In der Länderbesprechung am 17. Januar könne man jedenfalls nochmals auf die Notwendigkeit einer allgemeinen Durchführung der Reichsfinanzstatistik hinweisen und u. a. anführen, daß gesetzliche Maßnahmen erwogen werden müssen, wenn nach Fühlungnahme mit den Ländern keine vernünftige Verordnung zustande käme.

Bedenken hiergegen wurden nicht geäußert.

V.

Rationalisierung der Bezirkseinteilung der Reichsbehörden, insbesondere der Landesfinanzämter und Finanzämter.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß die Frage auftauche, ob vom 1. April 1928 ab die Grenzen der Landesfinanzämter gesetzlich festgelegt werden sollten. Diese Frage sei natürlich außerordentlich schwierig, und eine gesetzliche Neufestlegung der Bezirke werde sicherlich zu schweren Differenzen mit den Ländern führen. In Betracht komme insbesondere die Verbindung des Landesfinanzamts Schwerin mit dem Landesfinanzamt Stettin, die Aufhebung des Landesfinanzamts Darmstadt unter eventueller Bildung eines größeren Landesfinanzamts mit dem Sitze in Frankfurt am Main, die Neuabgrenzung des Landesfinanzamts Thüringen zum Landesfinanzamt Magdeburg und die Bildung eines großen Landesfinanzamtsbezirks für den Nordwesten mit dem Sitze in Bremen unter Aufhebung der kleinen Landesfinanzämter in Bremen und Oldenburg. Daneben bestehe die gleichfalls sehr wichtige Frage der Beseitigung kleiner Finanzämter. Hierzu sei das Reich ohne weiteres gesetzlich berechtigt. In Bayern sei jetzt die Situation dadurch erleichtert worden, daß Staatsminister Dr. Schmelzle sich kürzlich ausdrücklich mit der Aufhebung von 40 Finanzämtern einverstanden erklärt habe. Die Ämter für weniger als 10 000 Steuerpflichtige sollten grundsätzlich verschwinden. Die Aufhebung von 40 Finanzämtern in Bayern bedeute im übrigen noch sehr wenig, weil es in Bayern 200 Finanzämter gebe. Die Frage der Aufhebung der Finanzämter stehe im übrigen in engem Zusammenhange mit der Verwaltungsreform in Bayern12. Die Bayerische Staatsregierung habe den begreiflichen Wunsch, daß den einzelnen Orten nicht gleichzeitig sämtliche Behörden, also z. B. das Finanzamt, das Bezirksamt und das Amtsgericht genommen würden. Was die Bezirkseinteilung der Landesfinanzämter angehe, so halte er zum mindesten die Ankündigung einer gesetzlichen Regelung durch die Reichsregierung für notwendig.

12

Zur Verwaltungsreform („Staatsvereinfachung“) in Bayern siehe die Berichte der Reichsvertretung in München vom 25.10.27, 25.11.27, 14.1.28 und 21.1.28 (in R 43  I /2248  und 2249 ).

Der Reichskanzler schloß sich diesen Ausführungen an und bezeichnete es für dringend geboten, auch nach dieser Richtung hin sichtbare Zeichen aufzustecken.

[1208] Der Reichssparkommissar führte aus, daß in der Konferenz die Dringlichkeit der Bezirksänderung dargelegt werden müsse; zudem müßten die Länder den Primat des Reichs für die Abgrenzung der Landesfinanzämter anerkennen. Im übrigen solle man noch keine allzu bestimmten Vorschläge über die Abgrenzung machen.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers vertrat die Auffassung, man solle nur die Einbringung eines Gesetzes ankündigen. Wahrscheinlich werde es der Regierung doch nicht mehr möglich sein, einen Gesetzentwurf in den gesetzgebenden Körperschaften durchzubringen.

Der Reichsminister des Innern sprach sich auch gegen die Ankündigung eines Gesetzentwurfs aus. Er warf im übrigen die Frage auf, wie weit man in der Aufhebung kleinerer Finanzämter gehen wolle. Man müsse besonders auf die Verkehrsverhältnisse Rücksicht nehmen und es zu vermeiden suchen, daß es, wie z. B. in seiner Gegend, der Landbevölkerung teilweise nicht möglich sei, bei Besuch eines Finanzamts am selben Tage wieder in ihren Heimatort zurückzukommen.

Staatssekretär Dr. Popitz erwiderte, daß die Verkehrsverhältnisse sicherlich maßgebend berücksichigt werden sollten. In Preußen sei man mit der Einteilung der Finanzämter auch im wesentlichen zufrieden. Größere Schwierigkeiten beständen in dieser Hinsicht teilweise in Bayern und Württemberg.

Der Reichskanzler führte aus, daß die Reichsregierung die feste Absicht äußern müsse, einen Gesetzentwurf wegen Abgrenzung der Landesfinanzämter einzubringen. Diese Ankündigung würde auch dem Wunsch der Reichsregierung entsprechen, die Neuwahlen zum Reichstag erst spät stattfinden zu lassen.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers legte nahe, allmählich die notwendigen Verbesserungen einzuführen. In der Länderkonferenz würden sich zunächst mal die Ministerpräsidenten zu der Frage zu äußern haben. Weiterhin werde auch eine Prüfung der Bezirke der Oberpostdirektionen und der Reichsbahndirektionen anzukündigen sein.

Staatssekretär Dr. Pünder hielt eine positive Einstellung der Reichsregierung für geboten.

VI.

Mitwirkung des Reichs, insbesondere des Reichssparkommissars bei der Verwaltungsreform der Länder, insbesondere bei den Fragen der Behördenzusammenlegung und der rationellen Bezirkseinteilung.

Staatssekretär Dr. Popitz erklärte, daß hier eventuell eine gesetzliche Regelung notwendig sei, um die Mitwirkung des Reichs bei der Verwaltungsreform der Länder zu sichern.

Der Reichssparkommissar erklärte, daß die Verwaltungsreform in den Ländern unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung erfolge. Die Rationalisierung in den Ländern sei nur nach einheitlichen Gesichtspunkten möglich, die auch für das Reich Geltung hätten. Hier seien einheitliche Ziele für das Reich und für die Länder nötig, um eine gewisse Gemeinsamkeit zu erreichen. Notwendig sei auch die Verpflichtung der Länder zur Auskunftserteilung.

Der Reichskanzler der Stellvertreter des Reichskanzlers und der Reichsminister des Innern sprachen sich gegen die Absicht aus, gleich mit einem Gesetz zu drohen. Möglich sei eine Anerkennung des Grundsatzes durch die Ministerpräsidenten[1209] der Länder, daß hier durch Reich und Länder gemeinsame Arbeit geleistet werde.

Bedenken wurden gegen diese Auffassung nicht geäußert.

VII.

Maßnahmen zur Verhinderung von Ausgabensteigerungen in Reich, Ländern und Gemeinden.

Staatssekretär Dr. Popitz bat, wenn die Ausgabeninitiative des Reichstags einsetze, die gesetzliche Einführung eines Vetos der Reichsregierung mit der Folge zu erwägen, daß die Ausgabe nur mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossen werden könne. Die Einführung einer derartigen gesetzlichen Vorschrift sei auch in den Ländern und Kommunen erwägenswert.

Eine Abhilfe im Wege einer Abänderung der Geschäftsordnung des Reichstags sei kaum möglich und verspreche wenig Erfolg, da der Reichstag nach der vom Reichstagspräsidenten13 vertretenen Auffassung die Geschäftsordnung sogar ad hoc abändern könne.

13

Löbe.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen14.

14

Das Kabinett befaßte sich mit der Vorbereitung der Länderkonferenz in der Ministerbesprechung vom 11.1.28; siehe Dok. Nr. 390, P. 2.

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