1.186.1 (ma32p): Arbeitsnotprogramm der Reichsregierung.

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Arbeitsnotprogramm der Reichsregierung.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers teilte einleitend mit, daß das Reichskabinett sich über ein Arbeitsnotprogramm geeinigt habe, und daß es ihm nunmehr darauf ankomme, die beschleunigte Durchberatung des Arbeitsnotprogramms bis zum 31. März d.J. sicherzustellen. Die Erreichung dieses Zieles sei nur bei loyaler Mitwirkung der Opposition möglich. Zweck der Aussprache sei es, Klarheit darüber zu erlangen, ob die Fraktionen der Sozialdemokraten und Demokraten zu der erforderlichen Mitarbeit bereit seien.

Der Reichsminister der Finanzen erläuterte sodann die beschlossenen Verbesserungen zum Entwurf des Kriegsschädenschlußgesetzes1.

1

Vgl. dazu Dok. Nr. 427, Anm. 2.

Der Reichsarbeitsminister trug die in Aussicht genommenen Maßnahmen der Reichsregierung auf dem Gebiete der Fürsorge für die Sozialrentner, Kleinrentner und Werkspensionäre vor2.

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 427, Anm. 6.

[1325] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft entwickelte das vom Reichskabinett beratene Agrarprogramm3.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 427, Anm. 3.

Die Vertreter der Sozialdemokratie erklärten, daß sie die Erledigung des Reichshaushalts für 1928 nicht hindern wollten, daß ihnen dessen Erledigung durch den gegenwärtigen Reichstag vielmehr erwünscht sei. Ihnen komme es ausschlaggebend nur darauf an, daß Sicherheit dafür geboten werde, daß Neuwahlen spätestens am 13. Mai stattfänden. Im übrigen aber könne von ihnen nicht verlangt werden, daß sie zu dem soeben entwickelten Arbeitsnotprogramm der Reichsregierung ihre Zustimmung gäben; sie hätten im Gegenteil gegen einzelne Teile desselben ernste Bedenken. Dies gelte insbesondere von den Punkten 5) und 6) des Agrarprogramms.

Die Vertreter der Demokraten äußerten sich in ähnlichem Sinne. Auch sie betonten, daß es ihnen in erster Linie darauf ankomme, die Wahlen im Mai stattfinden zu lassen. Zu irgendwelchen Bindungen wegen Unterlassung von Gegenanträgen erklärten die Demokraten sich nicht bereitfinden zu können. Sie meinten, daß es ja in der Macht der bisherigen Koalitionsparteien liege, unerwünschte Gegenanträge geschlossen abzulehnen.

Im Anschluß an die Besprechung mit den Führern der Sozialdemokraten und der Demokraten fand am gleichen Abend im Reichstage um 10½ Uhr nochmals eine Besprechung mit den Führern der die Reichsregierung stützenden Fraktionen statt. In dieser Besprechung sollten die Auffassungen der Fraktionen zum Arbeitsnotprogramm der Reichsregierung mitgeteilt werden. Die Fraktionsbesprechungen hatten unmittelbar vorher stattgefunden.

Anwesend waren von seiten der Reichsregierung: der Stellvertreter des Reichskanzlers Hergt sowie die Reichsminister Dr. von Keudell, Dr. Schiele, ferner Staatssekretär Dr. Pünder, Ministerialdirektor Dr. von Hagenow, Ministerialrat Vogels4. Von seiten der Parteien: die Fraktionsführer der vier Regierungsparteien5 und verschiedene andere Mitglieder dieser Parteien.

4

Vogels als Protokollführer.

5

Graf Westarp (DNVP), v, Guérard (Zentrum), Scholz (DVP), Leicht (BVP).

Der Abgeordnete v. Guérard erklärte für das Zentrum, daß die Fraktion dem Arbeitsnotprogramm der Reichsregierung in der mitgeteilten Form zustimme.

Der Abgeordnete Scholz erklärte für die Deutsche Volkspartei, daß seine Fraktion Bedenken gegen die allzu starke Berücksichtigung der Invalidenrentner geltend gemacht habe und einen Ausgleich zugunsten der Landwirtschaft angeregt habe.

Der Abgeordnete Dauch erklärte, daß er mit den Obmännern der Regierungsparteien im 22. Ausschuß des Reichstags6 wegen der neuen Vorschläge der Reichsregierung zum Kriegsschädenschlußgesetz Fühlung genommen habe.

6

Im 22. Ausschuß des RT (für Entschädigungsfragen) wurde der Entwurf des Kriegsschädenschlußgesetzes beraten.

Er trug als übereinstimmenden Wunsch dieses Kollegiums vor, daß die Grenze für die Vollentschädigung von 4000 auf 5000 RM heraufgesetzt werden[1326] möge, und daß ferner der Wiederaufbauzuschlag für die Großgeschädigten von 2% auf 3% erhöht werden möge. Er glaubte in sichere Aussicht stellen zu können, daß für den Fall der Annahme dieses Vorschlages auch eine Zustimmung der Interessenvertretungen zum Gesetzentwurf beigebracht werden könne.

Der Reichsminister der Finanzen äußerte Bedenken wegen des finanziellen Mehraufwandes und behielt sich das letzte Wort in der Sache vor.

Der Abgeordnete Leicht erklärte für die Bayerische Volkspartei, daß seine Fraktion mit dem Regierungsvorschlage grundsätzlich einverstanden sei. Im übrigen befürwortete er eine wohlwollende Prüfung des von dem Abgeordneten Dauch zum Liquidationsschädengesetz gemachten Vorschlages.

Der Abgeordnete Graf Westarp berichtete über die Stellungnahme seiner Fraktion, daß die Berücksichtigung der Landwirtschaft in dem Arbeitsprogramm angesichts der starken Bevorzugung der Invalidenrentner für ungenügend angesehen worden sei. Die Fraktion fordere über die gemachten Vorschläge hinaus für die Umschuldung der Landwirtschaft die Bereitstellung von 200 Millionen Mark, und zwar 100 Millionen Mark im Reichshaushalt 1927 und 100 Millionen im Reichshaushalt 1928.

Demgegenüber erklärte der Reichsminister der Finanzen, daß er zu derartig weittragenden Forderungen, die völlig überraschend kämen, ohne eingehende Prüfung nicht Stellung nehmen könne.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers gab sodann das Ergebnis der Fühlungnahme mit der Opposition in der vorausgegangenen Aussprache mit den Vertretern der Sozialdemokraten und der Demokraten bekannt.

Die Vertreter der Regierungsparteien waren der Auffassung, daß in den Erklärungen der Demokraten noch ein starker Unsicherheitsfaktor enthalten sei, weil diese sich offenbar noch nicht insoweit gebunden hätten, daß sie auf Agitationsanträge, die eine Durchberatung des Notprogramms unmöglich machen könnten, Verzicht leisten wollten. Insbesondere wurde in der Erklärung der Demokraten ein Verzicht auf die Weiterbetreibung ihrer bekannten Anträge zur Kleinrentnerversorgung7 vermißt.

7

Siehe dazu Dok. Nr. 402, P. 4.

Die allgemeine Auffassung ging dahin, daß eine Weiterberatung des Arbeitsnotprogramms solange zwecklos sei, als nicht unzweideutig feststehe, daß auch die Demokraten dessen Durchführung nicht durch agitatorische Anträge gefährden wollten. Daher wurde der Wunsch geäußert, daß die Reichsregierung zunächst noch einmal mit den Demokraten verhandeln möge.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers sagte zu, daß er am Vormittage des kommenden Tages nochmals mit den Demokraten in Verbindung treten werde, um sie zu einer möglichst präzisen Stellungnahme, namentlich auch zur Frage der Kleinrentnerversorgung zu bewegen.

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