1.195.1 (ma32p): Mitteilungen über die bevorstehende Ratstagung in Genf.

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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Mitteilungen über die bevorstehende Ratstagung in Genf.

Für den abwesenden Reichskanzler führte der Stellvertreter des Reichskanzlers Reichsminister Hergt den Vorsitz.

Staatssekretär von Schubert berichtete zunächst über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen des Sicherheitskomitees in Genf1. Frankreich betreibe, um seine verschiedenen Bündnisverträge auch vom Völkerbund legalisieren zu lassen, die Einführung von Modellverträgen für Regionalpakte, die nach Art der französischen Bündnisverträge gewisse Wendungen gegen dritte Mächte enthalten könnten. Die deutsche Haltung demgegenüber dürfe nicht nur negativ sein. Es gehe daher die deutsche positive Anregung dahin, den Versuch einer Beseitigung von Kriegsursachen zu machen. Man denke hierbei an Waffenstillstandsempfehlungen des Völkerbundes für den Fall dringendster Kriegsgefahr oder schon begonnener Kriegshandlungen. Die Vorschläge des Auswärtigen Amts in dieser Hinsicht würden im engsten Einvernehmen mit dem Reichswehrministerium gemacht, das ja auch bei den Sicherheitsverhandlungen durch zwei Offiziere vertreten sei. Selbstverständlich werde sich die deutsche Vertretung auch mit besonderer Vorsicht allen Anordnungen für Schaffung neutraler Zonen oder ähnlicher Schutzmaßnahmen widersetzen, aus denen sich unerwünschte Rückwirkungen für das Rheinland ergeben könnten. Es sei sehr wohl möglich, daß die Sicherheitsverhandlungen uns in nächster Zeit in einen gewissen Gegensatz zur französischen Politik bringen könnten; das dürfe uns aber nicht abhalten, den deutschen Standpunkt zu wahren.

1

Tagung des Sicherheitskomitees des Völkerbundes vom 20. 2. bis 7.3.28; siehe dazu: Schultheß 1928, S. 467 f.; ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 127 und 164.

[1342] Über die bevorstehende Ratstagung2 berichtete Staatssekretär von Schubert folgendes:

2

49. Tagung des Völkerbundsrats vom 5. bis 10.3.28.

Der Antrag einer Völkerbundsinvestigation in Ungarn3 werde im Vordergrund des Interesse stehen. Deutschland müsse natürlich bestrebt sein, eine Investigation in Ungarn, die ein unerwünschtes Präzedens darstellen könne, zu vereiteln; andererseits dürfe nicht die Gefahr entstehen, daß nach einem solchen Mißerfolg die Gegner Ungarns eine Erweiterung der Investigationsbestimmungen erreichten. Die Lage sei durch ungeschicktes taktisches Verhalten der Ungarn erschwert. Italien sei gegen jede Investigation. England sei über das Vorgehen des chinesischen Ratspräsidenten Tcheng Loh verstimmt. Briand werde von der französischen öffentlichen Meinung zum Vorgehen gegen Ungarn getrieben. Ungarn scheine mit Italien in dieser Frage sehr eng zusammenzuarbeiten, während es eine rechtzeitige Orientierung der deutschen Stellen bisher bedauerlicherweise unterlassen und erst vor wenigen Tagen die deutsche Unterstützung erbeten habe.

3

Wegen der Waffenschmuggelaffäre von Szent Gotthard; siehe dazu: Schultheß 1928, S. 230 ff.; ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 77, 100, 103, 119, 126.

Der ungarisch-rumänische Optantenstreit werde erneut zur Beratung kommen. Er sei der Bereinigung noch nicht näher gebracht worden.

Die Ersetzung des Belgiers Lambert in der Saarkommission4 sei für Deutschland von großer Wichtigkeit. Dem Kandidaten der Saarbevölkerung, einem Dänen, habe Frankreich mehrere profranzösische Persönlichkeiten entgegengestellt. Das Auswärtige Amt lege großes Gewicht auf eine Regelung dieser Frage im deutschen Sinne.

4

Siehe ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 33.

In der Beratung über den Antrag auf Verminderung der Zahl der Ratstagungen werde sich der Reichsminister Dr. Stresemann für eine Herabsetzung von 4 auf 3 Tagungen im Jahre aussprechen.

Eine Beratung des litauisch-polnischen Konflikts5 im Völkerbundsrat sei unwahrscheinlich geworden, weil infolge deutscher Einwirkung Woldemaras sich endlich bereit gefunden habe, an Polen eine Antwortnote in gemäßigtem Tone zu richten, so daß die Verhandlungen zwischen Polen und Litauen nunmehr beginnen könnten.

5

Siehe ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 37, 43, 92, 98, 101, 102, 112, 120.

Außerhalb der Tagesordnung werde sich wohl Gelegenheit bieten, mit Herrn Briand über den Sinn seiner letzten Rede bezüglich der Rheinlandräumung6 zu sprechen.

6

Rede Briands vom 2.2.28 vor dem frz. Senat; siehe Schultheß 1928, S. 278 ff.; ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 61, 63, 64, 97; Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 328 ff.

Staatssekretär von Schubert bezeichnete es als sehr fraglich, ob der Gedanke von Thoiry einer teilweisen Mobilisierung der Dawesbonds überhaupt noch durchführbar sei. Er habe soeben mit Parker Gilbert über diese Frage gesprochen7. Parker Gilbert sei der Ansicht, daß nunmehr die Möglichkeit einer endgültigen Bereinigung des Kriegsschuldenproblems so nahe gerückt sei, daß es vielleicht Schwierigkeiten machen werde, im amerikanischen Publikum Bonds,[1343] die für irgendeine vorläufige Regelung, nicht für die Endlösung ausgegeben würden, unterzubringen. Das Sicherheitsproblem scheine in Frankreich nicht mehr so nachdrücklich mit der Rheinlandräumung verbunden zu werden. Jedenfalls seien Anzeichen dafür [vorhanden], daß sowohl Poincaré wie Briand und auch Berthelot dieser Frage eine etwas geringere Bedeutung beimäßen. Das Auswärtige Amt werde gleichwohl gerade dieses Problem besonders sorgfältig beobachten.

7

Siehe ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 123.

Staatssekretär von Schubert hielt es für seine Person für ganz ausgeschlossen, daß irgendeine Kontrolle des Rheinlandes über 1935 hinaus konzediert werden könne. Es könne andererseits an gewisse Garantien unter Zugrundelegung des § 213 des Friedensvertrages von Versailles gedacht werden8.

8

Vgl. ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 5, 22, 97.

Den Plan einer Verlegung des Völkerbundssitzes von Genf nach Wien9 bezeichnete Staatssekretär von Schubert als erfreulicherweise zunächst gescheitert.

9

Siehe ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 70 und 84; Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 331 f.

Im Zusammenhang mit den italienisch-französischen Verhandlungen zwecks allgemeiner Bereinigung des italienisch-französischen Verhältnisses werde, gewissen Nachrichten zufolge, auch die deutsch-österreichische Anschlußfrage erörtert10. Vielleicht werde sich Gelegenheit bieten, die italienische Delegation hierüber zu befragen.

10

Siehe ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 82 und 99.

Der neu entstandene österreichisch-italienische Streit wegen Südtirol11 könne noch eine sehr unerwünschte Entwicklung nehmen. Gehe Mussolini scharf vor, so sei es nicht ausgeschlossen, daß Bundeskanzler Seipel den Völkerbund auf Grund des § 11 der Völkerbundssatzung anrufe. Die deutsche Presse habe sich erfreulicherweise bisher sehr zurückgehalten, was sowohl von Italien wie von Österreich dankbar anerkannt worden sei.

11

Siehe Schultheß 1928, S. 221 ff.; ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 118.

Der Reichsarbeitsminister fragte bezüglich des Rheinlandproblems, ob der Gedanke einer zweiseitigen Kontrolle, die Frankreich genau wie Deutschland erfasse, fallen gelassen sei. Er könne sich derartige Vorschläge als nützliches Gegengewicht gegen die These von Herrn Paul-Boncour12 vorstellen.

12

Siehe ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 240; Bd. VIII, Dok. Nr. 22 und 35.

Staatssekretär von Schubert erwiderte hierauf, daß Frankreich sich auf eine wirklich zweiseitige Kontrolle schwerlich einlassen werde. Dies würde ja z. B. einschließen, daß, ähnlich wie die neutrale Zone in Deutschland, auch in Frankreich und Belgien, etwa in Elsaß-Lohringen und in dem Streifen Namur-Lüttich, eine völlig festungsfreie Zone geschaffen würde.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

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