1.20.1 (ma32p): 1. Behandlung des Sperrgesetzes (Fürstenauseinandersetzung).

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1. Behandlung des Sperrgesetzes (Fürstenauseinandersetzung).

Der Reichsminister der Justiz berichtete über den Sachverhalt. Er führte aus, daß das Zentrum in der heutigen (30. 6.) Endabstimmung im Reichstag über den Initiativantrag Müller-Franken, Koch-Weser u. Genossen wohl ebenso stimmen werde wie in der gestrigen (29. 6.) Sitzung des Rechtsausschusses1. Bleibe der Initiativantrag in seiner Fassung unverändert, so werde er kaum als angenommen gelten können, da auf eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag nicht zu rechnen sei.

1

In der Sitzung des Rechtsausschusses des RT vom 29.6.27 war über den von der SPD- und DDP-Fraktion eingebrachten GesEntw. zur Verlängerung des Sperrgesetzes (siehe Dok. Nr. 256, Anm. 2) beraten und abgestimmt worden. Für den GesEntw. wurden 15 Stimmen der SPD, KPD, DDP und des Zentrums abgegeben, gegen den GesEntw. 11 Stimmen der DNVP, DVP und BVP. Damit hatte der Rechtsausschuß den GesEntw. mit einfacher Mehrheit angenommen. Zur Annahme im RT war jedoch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, da die Präambel zum GesEntw. lautete: „Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, […], nachdem zur Vermeidung von Zweifeln festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind.“ – Zur Beratung des Rechtsausschusses über die Verlängerung des Sperrgesetzes siehe den Vermerk von ORegR Wienstein vom 29. 6. (R 43 I /2207 , Bl. 321) sowie den Bericht des Abg. Wegmann in der Sitzung des RT vom 30. 6. (RT-Bd. 393, S. 11111  f.).

Es sei jedoch stark mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Präambel, in der von der verfassungsändernden Mehrheit gesprochen werde, auf Antrag der Sozialdemokraten oder der Demokraten gestrichen werden solle2. Dann werde das Reichskabinett darüber Beschluß fassen müssen, ob es den Entwurf für verfassungsändernd halte. Für seine Person neige er mehr der Auffassung zu, daß der Initiativantrag nicht verfassungsändernd sei. Das Reichsjustizministerium habe bisher die Frage für sehr zweifelhaft gehalten, während das Reichsministerium des Innern, besonders auch der frühere Reichsminister Dr. Külz, stets den Standpunkt vertreten habe, daß die Sperrgesetze verfassungsändernden Charakter hätten3. Auf jeden Fall müsse wohl der Interfraktionelle Ausschuß nochmals mit der Angelegenheit befaßt werden.

2

Ein solcher Antrag wurde nicht gestellt.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 259, Anm. 10.

[827] Der Reichskanzler erklärte, daß er den Grafen Westarp sofort bitten werde, daß der Interfraktionelle Ausschuß noch heute (30. 6.) um 12.30 Uhr nachmittags sich mit der Angelegenheit befasse4.

4

Eine Aufzeichnung über diese Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses war nicht zu ermitteln. Der Vorstand der Zentrumsfraktion beschloß am 30. 6., im RT für die Verlängerung des Sperrgesetzes zu stimmen, die Streichung der Präambel über den verfassungsändernden Charakter des Gesetzes jedoch abzulehnen; siehe Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 170.

Staatssekretär Dr. Meissner wies darauf hin, daß der frühere Reichsminister Dr. Külz stets betont habe, die Sperrgesetze seien verfassungsändernd. Der Herr Reichspräsident habe diese Auffassung stets geteilt und stehe auch heute noch auf diesem Standpunkt. Der Herr Reichspräsident habe auch erklärt, daß er ein derartiges Gesetz nicht verkünden werde, wenn es nicht mit ⅔-Mehrheit zustande gekommen sei.

Die Besprechung über diesen Punkt wurde sodann geschlossen5.

5

Bei der namentlichen Schlußabstimmung über den GesEntw. zur Verlängerung des Sperrgesetzes in der Plenarsitzung des RT am 30.6.27 nachm. (RT-Bd. 393, S. 11131  ff.) stimmte das Zentrum mit SPD, KPD, DDP und WV für den GesEntw., während die übrigen Regierungsparteien (DNVP, DVP, BVP) sich gegen den GesEntw. aussprachen. Da sich für den GesEntw. nur eine einfache Mehrheit (231 gegen 167 Stimmen), nicht aber die nach der Präambel erforderliche Zweidrittelmehrheit ergab, war die Verlängerung des Sperrgesetzes abgelehnt. Vgl. Politisches Jahrbuch 1927/28, S. 106 f., 619 f.

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