1.208.4 (ma32p): 4. Bericht über Steuerstreikvorhaben.

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[1378]4. Bericht über Steuerstreikvorhaben.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über ernste Vorkommnisse im Bereiche der ihm unterstellten Steuerverwaltung, die nach seiner Auffassung eine Auswirkung der Haltung der Führer des Reichslandbunds zur Frage der Notlage der Landwirtschaft seien.

Er führte aus, daß allenthalben im Reich von Landbundorganisationen bei den großen Notkundgebungen der letzten Tage übereinstimmende Entschließungen angenommen würden, die auf eine Verweigerung der Fortzahlung von Steuern hinausliefen. In den Entschließungen fänden sich nämlich die Sätze: „Wir können und werden keine weiteren Zahlungen an die öffentliche Hand leisten. Wir sind nicht gewillt, Zwangsmaßnahmen weiterhin zu ertragen.“ Der Hauptgeschäftsführer der Landbundorganisation für Oldenburg habe diese Erklärung offiziell überreicht mit dem Hinzufügen, daß sie ihm vom Präsidium des Landbundes zur Veröffentlichung zugegangen sei. Er habe sich ernstlich die Frage vorgelegt, ob der Inhalt dieser Entschließung nicht einer Aufforderung zur Steuersabotage gleichkomme und damit ein Verstoß gegen die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 15. September 1923 über die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung6 darstelle. Angesichts des Ernstes der Lage habe er sofort nach Erhalt der Entschließung versucht, eine Besprechung mit den Präsidenten des Reichslandbundes herbeizuführen. Die sei am Donnerstag, den 15. März 1928 gewesen. Die Präsidenten hätten ihm aber sagen lassen, daß sie am Erscheinen verhindert seien, weil sie noch am Abend des 15. abreisen müßten zur Abhaltung von Besprechungen im Lande. An ihrer Stelle seien Freitag, den 16. März 1928 die Direktoren des Landbundes Kriegsheim und v. Sybel erschienen. Diese hätten zugegeben, daß die in Frage kommenden Entschließungen, die übrigens auch durch den offiziellen Zeitungsdienst des Reichslandbunds verbreitet worden wären, vom Bundesvorstand des Reichslandbunds verfaßt und den örtlichen Organisationen zur Durchführung übersandt worden seien. Er habe die Direktoren dringend gebeten, die Aktion schleunigst abzublasen. Hierzu hätten sich die Direktoren außerstande erklärt, da dies über ihre Befugnisse hinausgehe. Sie hätten aber erklärt, daß für Mittwoch, den 21. März der Bundesvorstand zu einer außerordentlichen Tagung einberufen sei und daß sich der Bundesvorstand alsdann mit der Sache wieder befassen werde. Am Dienstag, den 20. III. würden auch die Präsidenten des Landbunds v. Kalckreuth und Hepp zu einer Besprechung zur Verfügung stehen können.

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§ 1 dieser VO bedrohte die öffentliche Aufforderung zur Verweigerung der Steuerzahlung mit Gefängnis und Geldstrafe; vgl. Dok. Nr. 439, Anm. 2.

Der Reichsminister der Finanzen schloß mit der Bemerkung, daß nach seiner Auffassung die Reichsregierung unmöglich bis Mittwoch, den 21. tatenlos den Dingen ihren Lauf lassen könne. Die Bewegung habe bereits zu dem Sturm auf das Finanzamt in Kyritz geführt7. Von den Präsidenten der Landesfinanzämter gingen täglich Berichte über die Bedrohung der Steuer- und Vollziehungsbeamten[1379] ein. Er habe als Reichsminister der Finanzen die Pflicht, für den Schutz seiner Beamten einzutreten.

7

Siehe die Darstellung dieses Vorgangs im „Zeitungsdienst des Reichs-Landbundes“ Nr. 12 vom 13.3.28 (Aktenexemplar in R 43 I /2539 , Bl. 292).

Der Stellvertreter des Reichskanzlers teilte mit, daß das Präsidium des Reichslandbunds dem Herrn Reichskanzler mit einem soeben (um 5.30 Uhr) eingegangenen Anschreiben den Wortlaut der von dem Reichsminister der Finanzen erwähnten Entschließung übersandt habe, unter Hinweis auf den Ernst der Lage8. Der Herr Reichskanzler werde auf dieses Schreiben selbstverständlich antworten.

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Mit Schreiben vom 15.3.28 übersandte das Präsidium des Reichs-Landbundes dem RK „eine Erklärung, die in allen Teilen des Reichsgebietes bei den großen Notkundgebungen der letzten Tage abgegeben worden ist. Die zunehmende Erregung in allen Teilen der deutschen Landwirtschaft veranlaßt das Präsidium des Reichs-Landbundes, die Reichsregierung auf den außerordentlichen Ernst der Lage hinzuweisen.“ In der beigefügten „Erklärung“ heißt es u. a.: „Die deutschen Bauern und Landarbeiter wollen nicht länger Ausbeutungsobjekt des gegenwärtigen Systems der organisierten Verantwortungslosigkeit sein. Weitere Verschleierung und Verschleppung des gegenwärtigen Notzustandes ist ein Verbrechen an der deutschen Zukunft. Aus vaterländischem Pflichtgefühl heraus erklären die in höchster Not befindlichen deutschen Landwirte in voller Einmütigkeit: Wir können und werden keine weiteren Zahlungen an die öffentliche Hand leisten. Wir können und werden keine weiteren Käufe tätigen. Wir sind nicht gewillt, Zwangsmaßnahmen weiterhin zu ertragen. Wir fordern Niederschlagung aller öffentlichen Lasten für die deutsche Landwirtschaft bis zur Sicherung gerechter Lebensgrundlagen für alle ihre Glieder.“ (R 43 I /2539 , Bl. 288–289).

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß die Reichsregierung nach seiner Auffassung an der Tatsache nicht vorbeigehen könne, daß das Vorgehen des Reichslandbundes mit der Notverordnung des Reichspräsidenten zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 15. September 1923 schwerlich zu vereinbaren sei. Sie müsse daher zu durchgreifenden Entschließungen kommen.

Der Reichsernährungsminister meinte, daß man vor irgendwelchen Maßnahmen unbedingt die Präsidenten des Reichslandbunds zur Sache hören müsse.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers führte aus, daß es wohl nicht Sache des Kabinetts sei zu entscheiden, ob in dem Verhalten der Führer des Reichslandbunds der Tatbestand einer strafbaren Handlung liege. Ein Offizial-Prinzip bestehe nur für die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden. Die Reichsministerien interessiere nur die politische Seite9. In jedem Fall müsse die Entscheidung zurückgestellt werden, bis die Präsidenten des Reichslandbunds Gelegenheit gehabt hätten, sich persönlich zur Sache zu äußern. Eine beschleunigte Fühlungnahme mit diesen Präsidenten sei allerdings auch nach seiner Meinung unerläßlich notwendig. Aus der Entwicklung der Dinge müsse die Reichsregierung jedenfalls die Überzeugung gewinnen, daß die Notlage der Landwirtschaft tatsächlich überaus groß sei und sie müsse daher auch ihrerseits darüber beraten, wie dieser Notlage wirksam gesteuert werden könne. Nach seiner Meinung sei in erster Linie ein Generalmoratorium ins Auge zu fassen.

9

Die beiden letzten Sätze wurden auf Wunsch des Stellvertreters des RK nachträglich in das Protokoll eingefügt (R 43 I /2539 , Bl. 357 f.).

Der Reichsarbeitsminister hielt eine solche Haltung des Reichskabinetts angesichts der ernsten Auswirkung der vom Bundesvorstand des Reichslandbundes ausgehenden öffentlichen Entschließungen für zu schwach und glaubte[1380] sofortige durchgreifende Maßnahmen gegen den Reichslandbund empfehlen zu sollen. Nach weiterer Aussprache einigte sich das Kabinett dahin, daß der Reichsminister der Finanzen und der Reichsernährungsminister für den Vormittag des 19. März eine Besprechung mit den Präsidenten des Reichslandbunds herbeiführen soll, und daß das Kabinett sich darauf noch am gleichen Tage auf Grund des Ergebnisses der Besprechung erneut mit der Angelegenheit befassen soll10.

10

Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 451, P. 2.

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