1.223.1 (ma32p): Bergbaufragen.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

Extras:

 

Text

RTF

Bergbaufragen.

Den Vorsitz führte wegen Abwesenheit des Reichskanzlers1 der Stellvertreter des Reichskanzlers.

1

RK Marx hielt sich zur Erholung in der Schweiz auf; er war erst wieder in der Kabinettssitzung vom 16. 5. anwesend.

Der Reichsarbeitsminister berichtete ausführlich über den bisherigen Verlauf und den Stand der Nachverhandlungen zum Schiedsspruch im Ruhrbergbau-Lohnkonflikt2. Er führte aus, daß er sich bemüht habe, im Sinne der letzten Kabinettsberatung3 eine Einigung auf der Basis herbeizuführen, die Parteien zu bewegen, sich mit einem Verzicht von 2% der im Schiedsspruch festgesetzten Lohnerhöhung von 8% abzufinden, wobei er in Aussicht gestellt habe, diesen Verzicht durch einen entsprechenden Ausgleich in den sozialen Lasten tragbar zu gestalten. Bisher sei er auf dieser Grundlage mit den Parteien nicht zum Abschluß gekommen. Die Verhandlungen müßten daher fortgesetzt werden. Dabei glaube er ohne weiteres annehmen zu dürfen, daß das Kabinett es nicht für vertretbar halte, das Zugeständnis des Lastenausgleichs auf sozialem Gebiet über den Schiedsspruch hinaus in Aussicht zu stellen.

2

Zum Schiedsspruch vom 14.4.28 siehe Dok. Nr. 458, Anm. 2.

3

Siehe Dok. Nr. 458.

Staatssekretär Trendelenburg erklärte, daß er in den letzten Tagen Gelegenheit gehabt habe, die ganze Angelegenheit mit dem zur Kur abwesenden Reichswirtschaftsminister persönlich zu besprechen, so daß er über seine Auffassung zur Sache unterrichtet sei. Der Reichswirtschaftsminister könne seine Zustimmung zu einer etwaigen Anwendung des Artikel 48 der Reichsverfassung zwecks Herbeiführung eines Ausgleichs in den Soziallasten nur dann erteilen, wenn gleichzeitig in derselben Notverordnung des Reichspräsidenten eine größere Bewegungsfreiheit für die Kohlenpreisfestsetzung geschaffen werde. Die diesbezüglich zur Zeit in Kraft befindlichen Bestimmungen des Kohlenwirtschaftsgesetzes4 seien zu starr. Zwar komme eine allgemeine Kohlenpreiserhöhung nicht in Frage, schon allein deshalb nicht, weil der allgemeine Kohlenpreis durch mancherlei wirtschaftliche Zusammenhänge – Stromabnahmepreis, Ertrag von Kohlenobligationen u. dergl. – an seine jetzige Höhe fest gebunden sei. Es müsse aber eine Möglichkeit geschaffen werden, in Einzelfällen Spitzenpreiserhöhungen[1442] zuzulassen, um bei geeigneten Geschäften das wirtschaftlich Mögliche herauszuholen. Andernfalls werde der allzu starre gesetzliche Preisdruck die Rentabilität des Bergbaus nach der Lohnerhöhung derart einengen, daß die Unternehmer unverzüglich zu umfangreichen Stillegungen unrentabler Betriebe schreiten müßten, ein Ergebnis, das die Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung sehr wohl rechtfertigen werde.

4

„Gesetz über die Regelung der Kohlenwirtschaft“ vom 23.3.19 mit den Ausführungsbestimmungen vom 21.8.19 (RGBl.  S. 342  und 1449).

Das Kabinett machte diese Darlegungen zum Gegenstand eingehender Erörterungen. Beschlüsse wurden nicht gefaßt.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers faßte die Meinung des Kabinetts dahin zusammen, daß der Reichsarbeitsminister die Verhandlungen mit den Parteien fortsetzen solle mit dem Ziele, eine Lösung zu finden, die eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vermeidet5. – Vorsorglich sollen die beteiligten Ressorts die Formulierung einer etwa in Aussicht zu nehmenden Verordnung des Reichspräsidenten vorberaten.

5

Über den weiteren Verlauf der Nachverhandlungen zum Schiedsspruch für den Ruhrbergbau (Dok. Nr. 458, Anm. 2) berichtete MinR Vogels in einem Vermerk vom 24.4.28: Unmittelbar nach der (obigen) Kabinettssitzung vom 20. 4. habe der RArbM die Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufgenommen. „Er schlug vor, sich mit einer Ermäßigung des Schiedsspruchs auf 6% Lohnerhöhung abzufinden gegen Inaussichtstellung des Lastenausgleichs auf sozialem Gebiet, der den Verzicht voll ausgeglichen haben würde. Die christlichen Gewerkschaften waren bereit, auf diesen Vorschlag einzugehen; die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften verhielten sich neutral, während die freien Gewerkschaften sich schroff ablehnend äußerten. Dieses Verhalten der freien Gewerkschaften hat den Reichsarbeitsminister einigermaßen überrascht. […] Der soziale Lastenausgleich wäre zwangsläufig auch den übrigen deutschen Kohlenbergarbeitern zugute gekommen, und er hatte gehofft, daß die Gewerkschaften nicht die Verantwortung auf sich nehmen würden, daß den außerhalb des Ruhrgebiets tätigen Kohlenbergarbeitern die im Lastenausgleich liegende Lohnverbesserung von 2% entginge.“ Am 23. 4. sei dann aus Bochum die endgültige Absage der freien Gewerkschaften gekommen. Ihr Verhalten lasse „sich nur mit taktischen Rücksichten erklären. Sie behaupteten, sich ihren Gefolgsleuten gegenüber allzu fest darauf versteift zu haben, daß sie sich über die 8%ige Lohnerhöhung […] überhaupt nicht in irgendwelche Verhandlungen einlassen wollten.“ Bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern habe der RArbM erklärt, daß für ihn nur drei Wege möglich seien: „a) den Dingen ihren freien Lauf zu lassen. Der Erfolg würde der sein, daß am 1. Mai keine Bindungen in der Lohn- und Arbeitszeitfrage bestehen würden. Dies wäre gleichbedeutend mit dem Ausbruch des offenen Kampfes gewesen, den auch die Arbeitgeber zu vermeiden wünschten; b) Einleitung eines neuen Verfahrens mit dem Ziele, einen Schiedsspruch zu erreichen, der hinter dem ersten Schiedsspruch zurückblieb. Auch dieser Weg erschien ungangbar, […] nachdem die Arbeiter unzweideutig erklärt hatten, daß schon der erste, höherliegende Schiedsspruch unzulänglich sei; c) die Verbindlichkeitserklärung. Hierdurch würde Arbeitszeit und Lohn am 1. Mai geregelt sein. Die Bedenken gegen die Verbindlichkeitserklärung bestanden in dem Umstand, daß hierdurch eine starke Einschränkung des verlustbringenden Auslandsabsatzes – ⅓ der Gesamtförderung gehe ins Ausland – und mithin eine entsprechende Drosselung der Förderung verbunden sein würde.“ Auf die vertrauliche Anfrage des RArbM an die Arbeitgeber, in welcher Richtung sie sich die Lösung dächten, hätten „die Arbeitgeber sich gänzlich negativ verhalten“ und erklärt, daß alle vom RArbM vorgeschlagenen Lösungen „für sie gleich bedenklich seien und daß sie es dem Arbeitsminister allein überlassen müßten, die Entscheidung zu finden“. Daraufhin habe sich der RArbM am 23. 4. entschlossen, den Schiedsspruch für verbindlich zu erklären. Nach dieser Entscheidung habe der RArbM den RWiM gebeten, die Frage zu prüfen, „ob sich nicht durch organisatorische Verbesserungen in den Kohlenabsatzorganisationen noch nennenswerte Ersparnisse, die dem Kohlenpreis zugute kommen könnten, erzielen ließen“. Mit der Frage der Kohlenpreiserhöhung habe sich der RArbM nicht befaßt, da sie zur Zuständigkeit des RWiM gehöre (R 43 I /2176 , Bl. 118–120). – Siehe dazu Dok. Nr. 467, P. 1.

Extras (Fußzeile):