1.230.1 (ma32p): 1. Tariferhöhung.

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1. Tariferhöhung.

Staatssekretär Gutbrod führte aus, daß nach Ansicht des Reichsverkehrsministeriums auch nach der Besprechung mit Vertretern des Verwaltungsrats und der Überreichung des neuen Materials der Reichsbahn-Gesellschaft noch nicht geklärt sei:

1.

die Veranschlagung der Mehreinnahmen,

2.

die Frage der Abschreibungen,

3.

die Frage, ob eine höhere Begebung von Vorzugsaktien gerechtfertigt und möglich sei,

4.

die Änderung des Klassensystems für den Personenverkehr mit ihren Rückwirkungen auf Beförderungssteuer und somit Reparationspolitik,

5.

die Frage, inwieweit die Tariferhöhung der Konjunktur gefährlich werden könne1.

1

Die vorstehenden Fragen zum Tariferhöhungsantrag der RB-Gesellschaft hatte der RVM mit Schreiben vom 21.5.28 an den GenDir. der RB-Gesellschaft gerichtet; diese Fragen waren daraufhin mit den Verwaltungsratsmitgliedern Luther und Fischer in einer Besprechung am 22. 5. in der Rkei erörtert und sodann von GenDir. Dorpmüller mit Schreiben vom 24. 5. an den RVM beantwortet worden; siehe dazu Dok. Nr. 470, Anm. 7.

Wichtig seien ferner neuerliche Mitteilungen des Generaldirektors der Reichsbahn über das Ergebnis der Besprechung des Herrn Leverve mit der Reparationskommission und über eine Meinungsäußerung von Herrn Parker Gilbert. Letzterer habe sich angeblich dahin geäußert, daß der Anleihebedarf der Reichsbahn nur im Inland aufzubringen sei und daß für die durch Änderung des Klassensystems in Frage gestellte Einnahme von 250 Millionen aus der Verkehrssteuer2 das Reich Bürgschaft übernehmen solle. Parker Gilbert und Leverve würden angeblich die Fassung ihres Halbjahresberichts von der heutigen Kabinettsentscheidung abhängig machen. Bei der Einstellung der beiden genannten Ausländer sei damit zu rechnen, daß nunmehr bei Ablehnung der Tariferhöhung nicht nur das deutsche, sondern auch das internationale Schiedsgericht angerufen werde3.

2

Im laufenden (4.) Dawes-Planjahr hatte die RB-Gesellschaft 290 Mio RM aus dem Ertrag der Beförderungssteuer an den Reparationsagenten abzuführen; vgl. Dok. Nr. 470, Anm. 6.

3

Zur Funktion des dt. Reichsbahngerichts und des internationalen Schiedsgerichts siehe die §§ 44 und 45 des Reichsbahngesetzes vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 272 ).

[1468] Der Reichsverkehrsminister äußerte sich zu der Anregung, eine gemischte Kommission von Vertretern der Reichsregierung und der Reichsbahn zur weiteren Klärung des Tatbestandes zu berufen4, in ablehnendem Sinne. Das Reichsverkehrsministerium sehe nunmehr klar genug für die Entscheidung. Wenn gleichwohl eine Kommission einberufen werden solle, so sei in erster Linie der Reichseisenbahnrat zur Beratung berufen. Er schlage dem Reichskabinett die sofortige Ablehnung der Tariferhöhung vor.

4

Eine solche Anregung war von RK a.D. Luther in einer Besprechung zwischen Vertretern der RReg. und des Verwaltungsrats der RB-Gesellschaft am 22.5.28 in der Rkei gegeben worden. Nach dem Protokoll Hagenows über diese Besprechung führte Luther dabei aus, „daß mit der Anrufung des Schiedsgerichts zu rechnen sei, wenn nicht noch am 31. Mai 1928 eine sachliche Erklärung der Reichsregierung dem Verwaltungsrat vorgelegt werden könne. Die ausländischen Verwaltungsratsmitglieder würden sich in der Frage der Tariferhöhung nicht mehr länger hinhalten lassen. Einen Ausweg sehe er [Luther] vielleicht darin, daß man dem Verwaltungsrat am 31. Mai 1928 die Einsetzung einer Gemischten Kommission (drei Vertreter der Reichsbahn, drei Vertreter der Reichsregierung unter einem Vorsitzenden) vorschlage, die den Auftrag erhalte, ein Votum, das für beide Teile unverbindlich sei, abzugeben. Allerdings müßten der Kommission bestimmte Fristen gesetzt werden, nämlich Zusammentritt binnen 5 Tagen und Abgabe des Votums binnen weiterer 10 Tage.“ (R 43 I /1069 , Bl. 119–126, hier Bl. 124).

Der Reichsminister der Finanzen erklärte eine Erhöhung der Personentarife in der vorgeschlagenen Form für nicht tragbar. Auch die Gütertariferhöhung sei nicht überzeugend begründet. Er sei daher zur Ablehnung bereit, müsse aber Gewicht darauf legen, daß auch der Reichswirtschaftsminister persönlich an der Entscheidung des Reichskabinetts teilnehme.

Staaatssekretär Weismann teilte mit, daß die Preußische Regierung gegen die Tariferhöhung eingestellt sei, allerdings die neuesten Mitteilungen über Äußerungen der Herren Parker Gilbert und Leverve noch nicht gekannt habe.

Staatsseekretär Dr. Trendelenburg erklärte, daß das Reichswirtschaftsministerium die wirtschaftlichen Gefahren der Tariferhöhung für groß ansehe, die Gründe der Reichsbahn-Gesellschaft nicht für stichhaltig halte und daher gegen die Tariferhöhung sei. Die neu vorgetragenen reparationspolitischen Gesichtspunkte seien dem Herrn Reichswirtschaftsminister allerdings noch nicht bekannt gewesen.

Staatssekretär Gutbrod regte an, durch Rückfrage bei Parker Gilbert und der Reparationskommission noch zu klären, ob nicht doch in irgend einer Form die Begebung einer weiteren Anzahl von Vorzugsaktien im Betrage von 250 Millionen RM möglich sei. Damit würde die Tariferhöhung sich erübrigen.

Das Reichskabinett beschloß die endgültige Entscheidung auf frühestens Montag, den 4. Juni zu vertagen, um die persönliche Teilnahme des Reichswirtschaftsministers an den Beratungen zu ermöglichen5.

5

Die nächste Kabinettssitzung über die Tariferhöhung fand am 5.6.28 statt; siehe Dok. Nr. 473, P. 1.

Die Herren Parker Gilbert und Leverve sollen durch die zuständigen Reichsministerien von diesem Grund der Verzögerung der Entscheidung unterrichtet werden.

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