1.68 (ma32p): Nr. 310 Der Reichsminister der Finanzen an Staatssekretär Pünder. 4. Oktober 1927

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Nr. 310
Der Reichsminister der Finanzen an Staatssekretär Pünder. 4. Oktober 1927

R 43 I /656 , Bl. 264–268 Umdruck

[Auslandsanleihen öffentlicher Körperschaften.]

Unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 22. September 1927 – I c 16451 –1, mit dem ich bat, die Erörterung des Schreibens des Reichsbankdirektoriums vom 15. August 19272 auf die Tagesordnung einer der nächsten Kabinettssitzungen zu setzen, und das Schreiben des Herrn Reichswirtschaftsministers vom 18. September 1927 – I B Nr. 9378 –3 beehre ich mich, die anliegende Abschrift eines Schreibens des Herrn Präsidenten des Reichsbankdirektoriums vom 22. September 1927 – I 15024 –4 mit der Bitte um Kenntnisnahme zu übersenden.

1

Dok. Nr. 301.

2

Dok. Nr. 286.

3

Dok. Nr. 300.

4

Als Anlage zum obigen Schreiben des RFM abgedruckt.

Im Anschluß an die Erörterungen auf dem Magdeburger Städtetag5 über die Auslandsverschuldung der deutschen Kommunen habe ich dem Herrn Präsidenten des Deutschen Städtetages6 und Vertretern mehrerer großer Städte Gelegenheit gegeben, sich unter meinem Vorsitz mit dem Herrn Reichsbankpräsidenten über die gegenseitigen Auffassungen zu dem gesamten Fragenkreise auszusprechen7. Der Herr Reichsbankpräsident hat bei dieser Gelegenheit die in seinen Schreiben vom 15. August und 22. September 1927 gemachten Ausführungen mündlich ergänzt und vor allem die Befürchtung betont, daß man Deutschland in künftigen Verhandlungen über den Dawes-Plan wegen der zu starken Auslandsverschuldung der öffentlichen Hand Vorwürfe machen werde und daß es den alliierten und assoziierten Mächten, vor allem Frankreich, gelingen könnte, Deutschland moralisch ins Unrecht zu setzen. Er hat[956] ferner auf die besonders gefährliche kurzfristige Auslandsverschuldung der Kommunen hingewiesen, die schätzungsweise einen Umfang von 2 Milliarden RM angenommen habe.

5

Hauptversammlung des Dt. Städtetages am 23.9.27 in Magdeburg.

6

Mulert.

7

Diese Besprechungen zwischen Vertretern des Dt. Städtetages und RbkPräs. Schacht unter Vorsitz von RFM Köhler hatten am 28. und 29.9.27 im RFMin. stattgefunden.

Die Oberbürgermeister waren übereinstimmend der Auffassung, eine Verschärfung der Richtlinien der Beratungsstelle8 sei für sie nicht erträglich; sie sei aber auch nicht nötig, da die Richtlinien in ihrer jetzigen Fassung zu Restriktionen geführt hätten, die kaum gesteigert werden könnten. Vor allem bestreiten sie, daß sie bei der Aufnahme von Auslandsanleihen nicht genügend Maß hielten. Daß das Ausland zu deutschen öffentlichen Anleihen nach wie vor größtes Vertrauen habe, könne nicht in Zweifel gezogen werden. Der beste Beweis hierfür sei, daß sich die amerikanischen Bankhäuser bei der Anleihe der Stadt Frankfurt, die demnächst aufgelegt werden soll, zum ersten Male einer Submission unterzogen hätten. Eine Verschärfung der Richtlinien hielten sie schließlich für schädlich, da sie geeignet sei, die bisherige Tätigkeit der Beratungsstelle zu diskreditieren, und dem Eingeständnis gleichkommen würde, daß alles, was auf diesem Gebiete während der letzten 2¾ Jahre geleistet worden sei, ungenügend gewesen sei. Zu beseitigen sind nach ihrer Auffassung die jetzt bestehenden Schwierigkeiten durch eine Aufklärung der in Betracht kommenden Stellen. Sie sind der Überzeugung, daß, wenn der Generalagent9 unterrichtet werde, welche Aufgaben die Kommunen zu erfüllen haben, er sich auch einer weiteren Inanspruchnahme des ausländischen Anleihemarktes durch sie nicht widersetzen werde10.

8

Siehe Dok. Nr. 301, Anm. 7.

9

Gilbert.

10

Im Anschluß an die Besprechungen am 28./29. 9. (siehe Anm. 7) hatte der Vorstand des Dt. Städtetages dem RFM am 1.10.27 ein Schreiben übermittelt, in dem die Wünsche der Städte hinsichtlich der Aufnahme kommunaler Auslandskredite zusammenfassend dargelegt werden. Es heißt darin u. a.: „Die Wirtschaft der Gemeinden ist ein großer und bedeutender Teil der deutschen Gesamtwirtschaft. Den Städten liegen zahlreiche Aufgaben ob, die die wesentliche Vorbedingung für ein erfolgreiches Weiterarbeiten großer Teile der Privatwirtschaft überhaupt bilden, deren Durchführung im Interesse von Leben und Gesundheit der Bevölkerung unaufschieblich ist, auch wesentlich dazu beiträgt, Arbeitslosigkeit zu verhüten oder zu verringern. […] Die Einsetzung der Beratungsstelle [für Auslandskredite] und insbesondere die Stellungnahme des Herrn Reichsbankpräsidenten in ihr hat aber im Erfolg zu einer schweren Benachteiligung gemeinwirtschaftlicher Tätigkeit und damit zu einer einseitigen Bevorzugung der Privatwirtschaft geführt. […] Diese Gesichtspunkte sprechen eindringlich für eine Wiederbeseitigung der Beratungsstelle, oder, wenn dieses aus außenpolitischen Gründen zur Zeit nicht möglich ist, für eine möglichst vorsichtige und den legalen Bedürfnissen entgegenkommende Handhabung ihrer Praxis. Hier aber wird die bisherige scharfe und formale Unterscheidung zwischen produktiven und nichtproduktiven Zwecken den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht.“ In Zukunft müßten Auslandsanleihen auch für die Befriedigung von Verkehrsbedürfnissen und für die Beseitigung der Wohnungsnot zugelassen werden. Es erscheine jedenfalls „ganz verfehlt, etwa den Anregungen der Reichsbank entsprechend, die Richtlinien der Beratungsstelle noch weiter verschärfen zu wollen. Die jetzige Fassung reicht nach unserer Auffassung vollkommen aus, um auch die allgemeinen Gesichtspunkte genügend zur Geltung zu bringen. […] Eine Änderung der Richtlinien würde gerade im jetzigen Augenblick dem Auslande gegenüber das Zugeständnis unzureichender bisheriger Arbeit der Beratungsstelle enthalten und damit lediglich den Anlaß zu weiter gestellten Forderungen geben. Wir müssen aber besonders hervorheben, daß, soweit wenigstens Anleihen der Gemeinden in Frage kommen, ein Anlaß zu einer solchen Auffassung über die Beratungsstelle in keiner Weise gegeben ist. Worauf die in dieser Hinsicht namentlich in der letzten Zeit in der Londoner und in der amerikanischen Presse aufgetauchten Angriffe zurückzuführen sind, ist uns nicht bekannt. […] Es erscheint uns deshalb dringend notwendig, daß die in Frage kommenden Stellen des Auslandes über die tatsächliche Praxis der Beratungsstelle nachdrücklich aufgeklärt werden und daß sich hieran auch diejenigen Berliner Stellen aktiv beteiligen, die wegen ihres Verhältnisses zur Beratungsstelle und ihrer Resonanz im Auslande hierzu besonders geeignet erscheinen. In tatsächlicher Hinsicht muß hervorgehoben werden, daß die Höhe der von der Beratungsstelle genehmigten kommunalen Auslandsanleihen nach der uns zu Gebote stehenden Statistik fortgesetzt abgenommen hat und daß insbesondere im laufenden Jahre bisher Kommunalanleihen in nennenswertem Maße überhaupt noch nicht genehmigt worden sind. Es ist weiter hervorzuheben, daß wenigstens hinsichtlich der Kommunalanleihen der Begriff der Wirtschaftlichkeit und Produktivität immer strenger von der Beratungsstelle gehandhabt worden ist, und daß, selbst wenn diese Voraussetzungen restlos bejaht worden sind, gleichwohl vielfach in der Höhe Abstriche von der Anleihe mit dem Ziele ihrer Verteilung auf einen längeren Zeitraum vorgenommen worden sind. […] Wir müssen schließlich auch vor allen Maßnahmen warnen, die nach der Anregung des Herrn Reichsbankpräsidenten zur Einrichtung einer Art Berufungsinstanz durch das Reichskabinett oder einen Ausschuß desselben führen können. […] Eine ganz unmögliche Situation hat sich durch die plötzliche und unvorhergesehene vorübergehende Unterbrechung der Arbeit der Beratungsstelle für die Gemeinden ergeben [siehe Dok. Nr. 301]. Die dadurch herbeigeführte Unsicherheit muß zu einer schweren finanziellen Schädigung der Gemeinden führen, wenn sie nicht in kürzester Zeit behoben wird. Wir bitten deshalb dringend, die Arbeit der Beratungsstelle alsbald wieder aufzunehmen.“ – Eine Abschrift dieses Schreibens übersandte Mulert am 1.10.27 an Pünder „zu Ihrer und des Herrn Kanzlers Unterrichtung […] mit der Bitte, den Ausführungen in der bevorstehenden Kabinettsberatung nach Möglichkeit zustimmen zu wollen“ (R 43 I /656 , Bl. 254–262).

[957] Das Kabinett wird sich mit folgenden Fragen zu befassen haben:

1.) Sollen zum Zwecke einer weiteren Eindämmung der Auslandskredite von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden die Richtlinien verschärft werden, und zwar besonders in der von dem Herrn Reichsbankpräsidenten angeregten Richtung, daß in erster Linie zu prüfen ist, ob eine einzelne Anleihe unter dem Gesichtspunkt der gesamten Erfordernisse unserer Währung, Wirtschaft und allgemeinen Politik genehmigt werden kann?

2.) Soll die Organisation der Beratungsstelle geändert und das Kabinett als Berufungsinstanz eingeschaltet werden?

Nähere Stellungnahme hierzu darf ich ergebenst mündlichem Vortrag vorbehalten.

Zur Vorbereitung für die Kabinettssitzung11 überreiche ich in der Anlage ein Stück der Denkschrift über das Arbeitsgebiet und die Tätigkeit der Beratungsstelle für Auslandskredite vom 1. Januar 1925 bis zum 30. September 192612. Ich verweise besonders auf die Anlagen auf Seite 14 ff., die das einschlägige Material und eine Zusammenstellung der von der Beratungsstelle bis zum 30. September begutachteten Anleihen enthält. Zur Ergänzung dieser Zusammenstellung bemerke ich ergebenst folgendes: Im 4. Vierteljahr 1926 hat die Beratungsstelle lediglich folgende beiden Anleihen gutgeheißen:

11

Das Kabinett befaßte sich mit der Frage der Auslandsanleihen in der Chefbesprechung vom 6. 10. (Dok. Nr. 312) und in der Ministerbesprechung vom 7.10.27 (Dok. Nr. 313).

12

„Denkschrift über das Arbeitsgebiet und die Tätigkeit der Beratungsstelle für Auslandskredite vom 1. Januar 1925 bis zum 30. September 1926“, Reichsdruckerei, Berlin 1926 (R 43 I /656 , Bl. 269–278); textgleich mit RT-Drucks. Nr. 2897  in RT-Bd. 413 .

Sächsische Landespfandbriefanstalt in Höhe von 4 Millionen Dollar,

Union Gießerei Königsberg (mit der Bürgschaft der Stadt Königsberg) in Höhe von 2.230.000 skr.

[958] In den ersten 4 Monaten dieses Jahres ist die Beratungsstelle nicht in Tätigkeit getreten. Welche Anleihen ihr seit dem 1. Mai 1927 vorgelegen haben, ergeben die Anlagen III und IV13.

13

Anlage III zum oben abgedruckten Schreiben des RFM: „Zusammenstellung der seit dem 1. Mai 1927 von der Beratungsstelle für Auslandskredite begutachteten Anleihen“; Anlage IV: „Zusammenstellung der Steuerbefreiungsanträge, zu denen die Beratungsstelle dem Reichsrat ein Gutachten erstattet hat“ (R 43 I /656 , Bl. 279–280).

Im übrigen darf zu den Richtlinien und der Einrichtung der Beratungsstelle ganz allgemein folgendes bemerkt werden:

Die Richtlinien sind ein Abkommen, das die Länder unter sich und mit der Reichsregierung getroffen haben und das zu jedem Vierteljahresersten mit vierwöchentlicher Frist von jedem (einzelnen) Lande gekündigt werden kann. Die Entschließung über die Aufnahme eines Auslandskredites und die Genehmigung eines von einer Gemeinde oder einem Gemeindeverbande geplanten Auslandskredites liegt bei den Ländern. Diese sind lediglich gehalten, vorher das Gutachten der Beratungsstelle und im Ablehnungsfalle die Stellungnahme des sogenannten Länderausschusses einzuholen. Darüber, ob und wieweit sie einer ablehnenden Stellungnahme entsprechen wollen, entscheiden sie selbständig. (Der Länderausschuß ist bisher in keinem Falle angerufen worden.) Zu jeder Abänderung der Richtlinien bedarf es daher der Zustimmung der Länderregierungen.

Die Beratungsstelle ist nach den Richtlinien zuständig für die Begutachtung

a)

von Auslandskrediten von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden,

b)

von an Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zu gebenden Auslandsanleihen der kommunalen Giroverbände einschließlich ihrer Bankinstitute sowie sonstiger Kreditinstitute, deren besondere Aufgabe die Befriedigung des kommunalen Kreditbedarfs oder die Pflege des Hypothekarkredits ist,

c)

von Bürgschaften und Sicherheiten, die zugunsten Dritter von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden für Auslandskredite gestellt werden (über die Tragweite dieser Bestimmung schweben zur Zeit Verhandlungen mit den Länderregierungen).

Alle übrigen Auslandsanleihen unterliegen nicht der Begutachtung durch die Beratungsstelle. Dies gilt auch für die Auslandsanleihen der öffentlich-rechtlichen Institute, wie Landschaften und Stadtschaften, sowie der privaten Hypothekenbanken. Mit den Auslandsanleihen dieser Institute befaßt sich die Beratungsstelle lediglich dann, wenn die Befreiung vom Steuerabzug vom Kapitalertrag nachgesucht wird; und zwar erstattet sie die Gutachten dem Reichsrat.

Abschrift haben sämtliche Reichsminister erhalten.

Köhler

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