1.15 (ma32p): Nr. 257 Aufzeichnung Stresemanns zu den Kabinettsberatungen am 21. und 22. Juni. 22. Juni 1927

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Nr. 257
Aufzeichnung Stresemanns zu den Kabinettsberatungen am 21. und 22. Juni. 22. Juni 1927

Pol. Arch. des AA, Nachl. Stresemann, Allgemeine Akten, Bd. 55, 7344/H 164467–701

1

Die Aufzeichnung ist nicht unterzeichnet, stammt aber offensichtlich von Stresemann. Der Abdruck der Aufzeichnung in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 257–259 weist gegenüber der Vorlage verschiedene Änderungen auf, die als solche nicht kenntlich gemacht sind. – Zum Inhalt der Aufzeichnung vgl. Köhler, Lebenserinnerungen, S. 243 f.

[Verhalten des Reichsbankpräsidenten Schacht anläßlich der Kabinettsberatung über den Bericht des Reparationsagenten.]

Auf Einladung des Reichskanzlers erschien gestern Reichsbankpräsident Dr. Schacht in der Sitzung des Reichskabinetts, die sich mit der Frage des Berichts[811] von Parker Gilbert befaßte2. Der Reichskanzler bat Dr. Schacht, doch zu dem Passus des Berichts Stellung zu nehmen, der sich auf die Reichsbank bezöge, indem er darauf hinwies, daß Parker Gilbert an der ganzen Finanzpolitik des Reichs und der Reichsbank Kritik geübt habe3 und daß die Regierung die Absicht habe, durch einen Gelehrten diese falsche Auffassung des Reparationsagenten behandeln zu lassen.

2

Vgl. Dok. Nr. 254.

3

Siehe den Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen vom 10.6.27, Berlin 1927; hier insbes. die Ausführungen über die Finanz- und Haushaltspolitik des Reichs auf S. 51 ff. und S. 81 ff., die Ausführungen über die Kreditlage und die Politik der Rbk auf S. 67 ff. und S. 76 ff.

Dr. Schacht erklärte, an der Reichsbank sei keine Kritik geübt worden, das habe ihm Parker Gilbert selbst erklärt, worauf der Vertreter des Reichsfinanzministers dem Reichsbankpräsidenten erklärte, daß in den Ausführungen des Reparationsagenten an der Diskontpolitik der Reichsbank und an manchen anderen Maßnahmen der Reichsbank Kritik geübt worden sei und verlas die diesbezüglichen Sätze aus dem Bericht von Parker Gilbert. Der Reichskanzler bat dann Dr. Schacht, sich zu äußern, ob er sonst zu dem Bericht des Reparationsagenten etwas zu bemerken habe, worauf Schacht eine äußerst scharfe Kritik an der Reichsfinanzpolitik übte. Er (Schacht) habe seit zwei Jahren dasselbe gesagt, was der Reparationsagent sage. So gehe es eben nicht mit der Erhöhung der Gehälter der Beamten und der Finanzgebarung. Er glaube nicht, daß Parker Gilbert einen anderen Zweck verfolge, als den, darauf hinweisen zu können, daß die deutsche Finanzpolitik in Ordnung sei. Dann werde man auch mit ihm zur Verständigung kommen. Er identifizierte sich dabei derart mit Parker Gilbert, daß er zum Schluß sagte, er bäte, nicht aus seiner Stellungnahme zu entnehmen, daß er etwa den Bericht von Parker Gilbert beeinflußt habe.

Der Finanzminister sagte einige Worte, während die anderen Minister es ablehnten, zu den Äußerungen von Schacht etwas zu bemerken. Der Reichskanzler dankte dann Herrn Dr. Schacht, der die Sitzung verließ.

Nach der Sitzung wandte sich Dr. Köhler an mich in Gegenwart von Brauns und sagte zu mir: Haben Sie nun erkannt, wo der Gegenspieler Deutschlands sitzt, der die Interessen der deutschen Gläubiger gegen die deutschen Volksinteressen vertritt? Ich sagte ihm, daß die Rede Schachts an die Grenze des Möglichen gegangen wäre und daß ich absichtlich auf meinem Papier allerhand römische Ziffern gemalt habe, um mich davon abzuhalten, zu sprechen. Brauns äußerte sich ebenfalls sehr abfällig über das Auftreten Dr. Schachts, der anscheinend glaube, der Lehrmeister des Kabinetts zu sein.

In der heutigen Kabinettssitzung4 kam der Reichskanzler auf diese Vorgänge zurück und sagte, Dr. Schacht sei sehr erregt gewesen, weil er nicht von Anfang an der Sitzung beigewohnt habe. Es sei ja immer sehr interessant, seine Ansichten zu hören. Darauf nahm der Reichsfinanzminister Dr. Köhler das Wort und sagte, daß das Verhalten von Dr. Schacht einfach unerträglich sei. Man wisse ja jetzt, woher Parker Gilbert seine Angriffe gegen die Reichsregierung[812] hernähme. Es sei gut, daß Schacht gestern die Maske abgeworfen habe und daß man wisse, gegen wen man bei Parker Gilbert zu kämpfen habe. Er habe nicht die Absicht, sich ein derartiges Betragen noch einmal bieten zu lassen, um so weniger, als Dr. Schacht in einer Gesellschaft sich seines Betragens gerühmt und gesagt habe, die Minister hätten dagesessen wie begossene Pudel, er habe ihnen gründlich die Meinung gesagt. Ich schloß mich diesen Ausführungen an, indem ich das wiedergab, was ich Köhler selbst gesagt habe und sagte, daß die weiteren Mitteilungen Schachts bei Ministerbesprechungen auf meinen Widerspruch stoßen würden.

4

Vgl. Dok. Nr. 256, P. 5.

Der Postminister erklärte, man solle Dr. Schacht einmal an die Kandare nehmen und ihm klarmachen, daß er die Reichsinteressen zu fördern und nicht zu konterkarieren habe.

Der Reichskanzler, dem diese Erörterung sichtlich unangenehm war, sagte, daß Dr. Schacht wohl selbst das Gefühl gehabt hätte, daß er vor seiner Abreise nach Amerika die Sache in Ordnung bringen müsse, denn er habe sich für morgen 11 Uhr noch einmal bei ihm – dem Reichskanzler – angesagt5.

5

In den stenographischen Tagesnotizen von RK Marx heißt es unter dem 23.6.27: „Morgens kommt gegen 11 Uhr noch einmal Schacht zu mir wegen des Vorschlags von Gilbert. Ich halte ihm offen vor, daß man im Kabinett über ihn aufgebracht sei, weil er über das Kabinett geschimpft habe. Er sagt, das müsse man gewöhnt sein! Er schlägt dann noch vor, eine Kommission zu bilden aus den Parteien wegen der Frage der Ausführung des Dawes-Plans. Er reist heute noch ab und kommt erst Ende Juli wieder.“ (Nachl. Marx , Nr. 1, Übertragung der stenographischen Tagesnotizen).

Von Dr. Köhler, Brauns und Schätzel wurde insbesondere gesagt, daß es unmöglich sei, daß aus einer vertraulichen Ministerratssitzung einseitige Darstellungen von Dr. Schacht verbreitet würden. Dr. Köhler führte besonders aus, er wisse jetzt, woher diese Erhöhung des Reichsbankdiskonts käme6. Schacht habe noch vor kurzem erklärt, er denke gar nicht an eine Herabsetzung7 des Diskonts. Dann aber habe er den Bericht von Parker Gilbert gelesen, in dem diese Diskontpolitik kritisiert wird, und um wieder mit Parker Gilbert konform zu gehen, habe er den Diskontsatz herabgesetzt8. Es sei bezeichnend, daß Schacht den Bericht vorher gelesen, während die Reichsregierung erst später davon Kenntnis erhalten hätte, daß Schacht es aber nicht für nötig befunden habe, der Reichsregierung davon Kenntnis zu geben.

6

Am 10.6.27 hatte die Rbk ihren Diskontsatz von 5 auf 6% erhöht. Siehe dazu das Protokoll über die Sitzung des Zentralausschusses der Rbk vom 10.6.27 (R 43 I /641 , Bl. 45–52); die Ausführungen des RbkPräs. in der Zentralausschußsitzung vom 10. 6. sind abgedr. in: Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen vom 10.6.27, Anlage: Bericht des Bankkommissars, S. 182 ff.

7

Statt „Herabsetzung“ richtig „Heraufsetzung“.

8

Statt „herabgesetzt“ richtig „heraufgesetzt“.

Der Reichskanzler versprach dann, das Seinige zu tun, um Dr. Schacht auf seine Handlungsweise hinzuweisen.

Als ich die Sitzung verließ, bat ich StS Pünder, der anscheinend informiert war, mir zu sagen, wo Schacht seine Äußerungen über die gestrige Kabinettssitzung getan habe. Pünder erwiderte mir, bei einem Diner, das Geheimrat Quaatz gestern gegeben hätte, und bei dem fast ausschließlich Deutschnationale anwesend waren. Schacht habe dabei gesagt, Köhler sei unfähig und müsse[813] durch Luther ersetzt werden. Pünder lachte, als er das sagte und meinte, der Sinn sei ganz klar, denn Luther sei ja der Gegenkandidat von Schacht bei der Neuwahl des Reichsbankpräsidenten. Im übrigen bemerkte er, daß Schacht sich jetzt vollkommen auf die Deutschnationalen stütze, die daher sehr betreten gewesen sind während der Kritik, die an Dr. Schacht geübt wurde.

Dr. Pünder hatte bemerkt, Schacht habe ja mehrere Minister genannt, die ersetzt werden müßten und Namen der Nachfolger genannt. Ich fragte Pünder, „da ich annehme, daß ich der andere Minister sei, der ersetzt werden müßte“, ob er wüßte, wer als mein Nachfolger genannt worden sei. Pünder verneinte dies, meinte aber, selbstverständlich stieße Schacht auch gegen mich vor.

Berlin, den 22. Juni 1927.

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