2.103.1 (mu21p): Verhaftungen von Angehörigen der Reichsvermögensverwaltung im besetzten Gebiet.

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Verhaftungen von Angehörigen der Reichsvermögensverwaltung im besetzten Gebiet1.

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Das RMinbesGeb. hatte am 6. 12. und 28.12.28 berichtet, daß in Mainz und Koblenz 12 Beamte, Angestellte und Arbeiter der Reichsvermögensverwaltung von den Franzosen unter Spionageverdacht verhaftet worden seien. Sie hätten mit dem Agenten des Nachrichtendienstes Fritsch in Verbindung gestanden, der gleichfalls von den Franzosen gefangen gehalten werde. Mit einer Beschwerde der Franzosen sei zu rechnen, da der Spionageverdacht nicht bei allen abzustreiten sei. Da es ein Verbot des Präsidenten der Reichsvermögensstelle (auf Erlaß des RMbesGeb. vom 19.11.27) gegen Spionage gebe, liege auch ein disziplinarisches Vergehen vor (R 43 I /199 , Bl. 186 f., 196 f.). Am 7.1.29<in der Druckfassung: 4.1.29; Anm. der Online-Edition> hatte der RMbesGeb. mitgeteilt, daß die Untersuchung eines von ihm entsandten Kommissars ihm eine Kabinettssitzung über die Angelegenheit erforderlich erscheinen lasse (R 43 I /199 , Bl. 202).

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete trug den Sachverhalt an Hand der den Reichsministern mit Schreiben des Staatssekretärs in der Reichskanzlei vom 11. Januar 1929 […] mitgeteilten schriftlichen Aufzeichnung ausführlich vor2 und wiederholte den in der Aufzeichnung angekündigten Antrag an den Herrn Reichswehrminister, eine strenge Untersuchung einzuleiten, und aus den bei der Untersuchung festzustellenden Verantwortlichkeiten die gebotenen Folgerungen auch zwecks unbedingter Vermeidung von Wiederholungen zu ziehen.

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In dieser Aufzeichnung hatte der RMbesGeb. festgestellt, daß die frz. Beschuldigungen zuträfen. 7 Beamte und Angestellte befänden sich noch in Haft; weitere 8 Beamte und Angestellte hätten sich der Verhaftung durch Flucht entzogen. Außerdem hatte der RMbesGeb. berichtet, daß die Nachrichtenorganisation von Münster und Stuttgart aus arbeite. Das Vorgehen der Organisation sei leichtfertig und habe bei Behörden und Bevölkerung des besetzten Gebiets Kritik hervorgerufen (R 43 I /199 , Bl. 208-218).

Der Reichswehrminister erwiderte, daß der in Frage kommende Spionageagent Fritsch tatsächlich im Dienst der beim Wehrkreiskommando Münster eingerichteten Spionageabwehrstelle gestanden habe. Es sei auch unbestreitbar, daß Fritsch sich bei seiner Tätigkeit der Beamten der Reichsvermögensverwaltung bedient habe. Hierbei habe Fritsch jedoch auf eigene Verantwortung gehandelt. Dienststellen der Reichswehr hätten mit Behörden des besetzten Gebiets nicht zusammengearbeitet. Das Verhalten des Fritsch mißbillige er in jeder Weise. Allen Stellen der Reichswehr sei jede Zusammenarbeit mit Behördenvertretern des besetzten Gebiets verboten. Andererseits aber müsse die Reichswehr danach trachten, die skrupellose Spionagetätigkeit der Franzosen in aller Öffentlichkeit bloßzulegen. Eine Spionageabwehrtätigkeit sei angesichts der umfassenden und wohlorganisierten Spionage der Franzosen unbedingt geboten. Er glaubte auch versichern zu können, daß die vom Reichsminister[361] für die besetzten Gebiete zur Sprache gebrachten unliebsamen Ereignisse letzten Endes in den organisatorischen Verhältnissen früherer Zeiten begründet seien, die er alsbald nach seinem Amtsantritt geändert habe, so daß für die Zukunft ähnliche Ereignisse, wie sie jetzt zu Tage getreten seien, nicht mehr vorkommen könnten. Die Spionageabwehrabteilung habe einen neuen Chef3 erhalten. Dieser sei ihm persönlich unmittelbar unterstellt. Die örtlichen Kommandostellen seien mit der Spionageabwehrtätigkeit in keiner Weise befaßt und daher für deren Tätigkeit nicht verantwortlich. Im übrigen könne er gegen die Darstellung des Reichsministers für die besetzten Gebiete, daß die Spionageabwehrtätigkeit im besetzten Gebiet wenig praktischen Nutzen habe und zu der damit verbundenen Gefährdung der Bevölkerung des besetzten Gebiets nicht in einem absolut vertretbaren Verhältnis stehe, auch von seinem Standpunkt aus nicht besonders viel einwenden. Auch nach seiner Auffassung habe die sogenannte kleine Spionage im besetzten Gebiet nur wenig praktischen Wert; er sei daher bereit, wenn das Kabinett eine solche Maßnahme für richtig halten solle, jede Spionagetätigkeit im besetzten Gebiet zu unterbinden.

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Oberstleutnant Schwantes.

Das Reichswehrministerium werde auch dafür sorgen, daß für die Betreuung der zur Zeit in französischer Haft befindlichen deutschen Staatsangehörigen das Erforderliche geschehe.

Der Reichskanzler bemerkte, daß sich Beamte im bes. Gebiet unter keinen Umständen auf dem Gebiet der Spionage betätigen dürften. Die Zusammenhänge, die zu den jetzigen Verhaftungen im besetzten Gebiet geführt hätten, seien weitaus bekannt. Er befürchte parlamentarische Schwierigkeiten, und die Reichsregierung müsse daher jede Vorsorge treffen, damit ihr bei einer etwaigen parlamentarischen Aussprache nicht der Vorwurf gemacht werde, nicht ausreichend Wandel geschaffen zu haben.

Der Reichsminister des Auswärtigen regte an, das vom Reichsminister für die besetzten Gebiete am 15. November 1927 an die Beamten der Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete in Koblenz gerichtete Verbot von Spionagehandlungen durch einen Kabinettsbeschluß zu verstärken, und dieses Verbot auch auf alle anderen Reichsbeamten des besetzten Gebiets auszudehnen.

Diesem Vorschlag stimmte insbesondere der Reichsarbeitsminister zu, da er wegen der im besetzten Gebiet vorhandenen Reichsversorgungsbehörden besonders beteiligt sei.

Nach weiterer Aussprache beschloß das Kabinett:

1.

das Reichskabinett macht sich das vom Reichsminister für die besetzten Gebiete an die Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete gerichtete Verbot von Spionagehandlungen vom 15. November 1927 zu eigen und erstreckt es auf sämtliche Angehörige der im besetzten Gebiet gelegenen Reichsbehörden.

2.

Die Spionageabwehrstellen des Reichswehrministeriums werden ihre Tätigkeit im besetzten Gebiet einstellen.[362]

3.

Dieser Kabinettsbeschluß soll auch den Regierungen der an der Besetzung beteiligten Länder mitgeteilt werden, mit der Empfehlung, für die Angehörigen ihrer Verwaltungen ein gleichartiges Verbot zu erlassen, wie dies für die Angehörigen der Reichsbehörden geschehen ist.

4.

Wegen der Durchführung dieses Kabinettsbeschlusses zu Ziffer 1 und 3 wird der Reichsminister für die besetzten Gebiete das Erforderliche in die Wege leiten4.

4

Mit Schreiben vom 30.1.29 teilte der RMbesGeb. den Ressorts mit, daß auf Grund der Verhaftungen das Kabinett beschlossen habe, Angehörige von Reichsstellen im besetzten Gebiet hätten sich jeder Spionagetätigkeit zu enthalten. Zuwiderhandlungen würden disziplinarisch verfolgt. Erforderliches sei zu veranlassen. Er habe die Länder entsprechend unterrichtet (R 43 I /199 , Bl. 255). – Nach mehrmonatigen Verhandlungen des Auswärtigen Amts und der deutschen Botschaft in Paris erfolgte im August 1929 im Rahmen eines gegenseitigen Austauschs von Spionen und anderer durch frz. Militärgerichte Verurteilter die Freilassung der Angehörigen der Reichsvermögensstelle (R 43 I /199  u. 200).

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