2.120.2 (mu21p): 2. Stellungnahme zu der Frage des Aufenthalts russischer Politiker in Deutschland.

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2. Stellungnahme zu der Frage des Aufenthalts russischer Politiker in Deutschland.

Staatssekretär Dr. v. Schubert machte Mitteilungen über die Unterhaltung Litwinows mit dem Botschafter von Dirksen in Moskau wegen der Ausweisung Trotzkis aus Rußland und des eventuell zu erwartenden Antrags auf Erteilung des deutschen Einreisevisums für Trotzki3. Er betonte, daß es schwer sein werde, einen derartigen Antrag abzulehnen. Andererseits werde ein Aufenthalt Trotzkis in Deutschland aus den verschiedensten Gründen für Deutschland unangenehm werden. Vor allem könne es der Reichsregierung auch nicht erwünscht sein, wenn Trotzki, was sicher zu erwarten sein werde, eine Agitation[406] gegen die Sowjet-Regierung von Deutschland aus entfalten werde. Vielleicht könne man den Botschafter von Dirksen beauftragen, Litwinow nochmals die Schwierigkeiten darzulegen, die der Reichsregierung aus einem Aufenthalt Trotzkis in Deutschland erwachsen müßten. Sollte der deutsche Botschafter mit seinen Vorstellungen bei Litwinow keinen Erfolg haben, dann werde sich die Reichsregierung unter gewissen Kautelen bereit erklären müssen, Trotzki aufzunehmen. Vor allem werde Rußland sich bereit erklären müssen, Trotzki jederzeit wieder zurückzuübernehmen.

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Litwinow hatte erklärt, daß auf Grund der Schwierigkeiten der Sowjetregierung mit Trotzki seine Ausweisung beschlossen worden sei. Die Türkei habe seine Einreise genehmigt, doch habe Trotzki gebeten, in ein Land gebracht zu werden, das ihm kulturell näher stehe und ihm gesundheitlich bekömmlicher sei. Daher werde die RReg. als die nächstbefreundete gebeten, Trotzkis Einreise zuzulassen. Zu den Bedenken des deutschen Botschafters wegen der Betätigung Trotzkis hatte Litwinow bemerkt, daß Trotzki nicht mehr als Kommunist angesehen werde. Im Rußland sei er noch gefährlicher als in Deutschland (Telegramm Nr. 97 vom 29.1.29; R 43 I /138 , Bl. 18-22).

Der Reichskanzler führte aus, daß er bei einem Aufenthalt Trotzkis in Deutschland vor allen Dingen auch Gefahren für Trotzkis persönliche Sicherheit befürchte. In außenpolitischer Beziehung müsse der Umstand bedenklich stimmen, daß Trotzki sicherlich versuchen werde, der russischen Sowjet-Regierung von Deutschland aus Schwierigkeiten zu bereiten. Deutschland müsse aber auf gute Beziehungen zu Rußland Wert legen4.

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Der RK hatte diese Bedenken bereits am 1. 2. dem RPräs. vorgetragen (Schreiben Pünders an v. Schubert vom 1. 2.; R 43 I /128 , gefunden in R 43 I /138 , Bl. 16 f.).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft warf die Frage auf, weshalb man nicht Litwinow die Ausweisung Trotzkis in ein kleineres Land nahelegen könne.

Der Reichsminister des Innern machte den Vorschlag, die Reichsregierung solle sich zunächst gegen die Gewährung eines Asylrechts für Trotzki aussprechen, bei diesem Standpunkt aber nicht bestehen bleiben, wenn Rußland seinen Wunsch auf Ausweisung Trotzkis nach Deutschland aufrecht erhalte. Für diesen Fall könne man Trotzki z. B. die Bedingungen auferlegen, nicht in öffentlichen Versammlungen zu sprechen und nicht politische Artikel zu schreiben.

Der preußische Minister des Innern spreche sich gleichfalls für Gewährung des Asylrechts an Trotzki aus, aber gleichfalls unter der Bedingung, daß Trotzki sich jeglicher politischer Agitation in Deutschland enthalte.

Vielleicht sei es aber noch möglich, die Sowjet-Regierung in Rußland auf eine Ausweisung Trotzkis nach der Schweiz oder nach England aufmerksam zu machen. Diese beiden Staaten seien stets besonders entgegenkommend in der Frage der Gewährung des Asylrechts an politische Flüchtlinge.

Staatssekretär Dr. Weismann betonte, daß der preußischen Staatsregierung ein Aufenthalt Trotzkis im preußischen Staatsgebiet sehr unangenehm sein werde. Eine Garantie für die persönliche Sicherheit Trotzkis werde nicht übernommen werden können.

Staatssekretär Dr. von Schubert führte aus, daß die Schweiz Trotzki sicherlich nicht aufnehmen werde, ebensowenig wie andere kleinere Länder. Auch England werde ihm kaum das Asylrecht gewähren5. Zur Innehaltung der erwähnten Bedingungen werde sich Trotzki deshalb verpflichten, weil er zur Zeit geistig und körperlich in verzweifeltem Zustande sei.

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Am 11.7.29 protestierten Angehörige der Labour-Party und der Liberalen gegen die Ablehnung von Trotzkis Einreisegesuch durch die britische Regierung (Schultheß 1929, S. 295).

Der Reichsminister der Finanzen betonte, daß Trotzki ein derartiges Versprechen nicht innehalten werde.

[407] Der Reichsminister des Innern führte ergänzend aus, daß einige Freunde Trotzkis wegen Erteilung des Einreisevisums für ihn mit der preußischen Staatsregierung Fühlung genommen hätten.

Staatssekretär Dr. Meissner führte im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten aus, daß dieser die schwersten Bedenken gegen einen Aufenthalt Trotzkis in Deutschland habe. Nach Auffassung des Herrn Reichspräsidenten sei sehr damit zu rechnen, daß Trotzki eine Neugründung der Kommunistischen Partei in Deutschland versuchen werde unter Benutzung einiger Splitter der Kommunisten. Wenn schon die russische Regierung erklärt habe, sie könne Trotzki nicht im Zaume halten, dann werde es der deutschen Reichsregierung noch viel schwerer möglich sein.

Der Reichskanzler stellte nach eingehender Aussprache als grundsätzlichen Wunsch des Reichskabinetts fest, daß Trotzki möglichst nicht nach Deutschland hereinkomme.

Der Botschafter von Dirksen solle beauftragt werden, die Angelegenheit dilatorisch zu behandeln, ohne irgendwie Konzessionen zu machen. Er solle nochmals besonders die Bedenken betonen, die einem Aufenthalt Trotzkis in Deutschland entgegenstehen, ohne jedoch diese Frage von vornherein zu verneinen. Bei der Unterhaltung mit Litwinow wäre auch darauf hinzuweisen, daß das Ansinnen der russischen Regierung ein völliges politisches Novum darstelle6.

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Stresemann unterrichtete v. Dirksen über die Einstellung des Kabinetts zur Bitte Litwinows. Das Reich habe bei der Aufnahme Trotzkis die Rolle eines Gefangenenwärters zu spielen. Trotzki werde ihm auferlegte Bedingungen brechen und in Gefahr von Attentaten leben. Seine Einreise werde zu einer Gefährdung der deutsch-russischen Beziehungen führen. Auch eine russische Verpflichtung zur Wiederaufnahme Trotzkis werde die Situation nicht entlasten, da ein solches Abschieben den Charakter einer Auslieferung haben könne (Telegramm vom 6. 2.; R 43 I /138 , Bl. 41-46). In der Antwort teilte v. Dirksen mit, daß Litwinow wohl eine innerpolitische Gefahr für Deutschland, nicht aber eine Gefährdung der zwischenstaatlichen Beziehungen anerkannt habe, weil ja auch Weißrussen in Deutschland gegen die Sowjetunion tätig seien. Auf Litwinows Frage habe v. Dirksen erklärt, die Antwort der RReg. sei noch kein hundertprozentiges Nein, aber es fehle nicht viel daran (Telegramm Nr. 127 vom 7. 2.; R 43 I /138 , Bl. 47-50). Unter falschem Namen traf Trotzki am 14. 2. in der Türkei ein (Telegramm Nr. 22 von Nadolny aus Pera vom gleichen Tag; R 43 I /138 , Bl. 51).

Staatssekretär Dr. Weismann betonte, daß die preußische Staatsregierung in der Angelegenheit nichts ohne die Reichsregierung unternehmen werde.

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