2.150.1 (mu21p): 1. Sondermaßnahmen zur Behebung der Not in Ostpreußen.

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1. Sondermaßnahmen zur Behebung der Not in Ostpreußen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trug das Ergebnis der Besprechungen mit den zuständigen preußischen Ministern vor1. Preußen wünscht die Überweisung der 25 Millionen, die für Ostpreußen in dem Leertitel des Etats eingesetzt sind, als Teilentschädigung für Kriegsverluste. Davon[477] sollen 8 Millionen für Siedlungen, 10 Millionen für den Aufkauf von Gütern, die sich weder zur Siedlung noch für den Erwerb als Domänen oder zur Aufforstung durch den Fiskus eignen, und 7 Millionen für das ostpreußische Gewerbe dienen. Eine Vereinbarung sei nicht zustande gekommen; die Verhandlungen würden fortgesetzt.

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Diese Fühlungnahme war vom PrStMin. am 8. 3. gefordert worden, s. Dok. Nr. 149.

Die öffentlichen Lasten, die Ostpreußen zu tragen habe, würden auf insgesamt etwa 40 Millionen RM geschätzt. Über die Senkung dieser Lasten sei zwischen dem Reich und Preußen eine Verständigung erzielt worden. Preußen werde den Dotationsfonds der Provinz um 2 Millionen erhöhen. Die gleiche Summe werde ihr an Kraftfahrsteuern über die bisherigen Eingänge hinaus überwiesen. Auch die Hauszinssteuerzuwendungen sollten entsprechend der Steigerung der Siedlungstätigkeit erhöht werden. Für jede Siedlung würden 6000 M überwiesen. Die Zuschüsse zu den Schullasten würden gesteigert. Das vierte Viertel der Grundsteuer würde auf ein Jahr gestundet und später niedergeschlagen. Dadurch würden der Provinz weitere 2 Millionen zugeführt. Wenn das Reich, wie vorgeschlagen, 6,4 Millionen beisteuere2, so würden die Lasten um 12,4 Millionen, also etwa 30% gesenkt.

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In seiner Ostpreußen-Denkschrift hatte der REM erklärt: Einfach und schnell wirksam sei ein Zuschuß in Höhe der Rentenbankzinsen, die jährlich 6,4 Mio RM betragen würden. Dieser Betrag entspreche der Summe von 6 Mio RM, die die ostpreußische Wirtschaft fordere. Der Zuschuß „würde zwar die durch die verschiedene Zinshöhe bedingten Differenzen der Belastung nicht berücksichtigen können, stellt aber den relativ besten Maßstab für die Grundstückswerte und damit für den Wert der erststelligen Hypotheken dar, soweit der Grundbesitz über 6000 RM wert ist“ (R 43 I /1855 , Bl. 418-437, hier: Bl. 423).

Den Gütermarkt wolle Preußen dadurch stützen, daß es für 4 Millionen Land für Domänen und für 2 Millionen Land zur Aufforstung aufkaufen werde. Die Mittel zum Aufkauf für Domänen würden durch entsprechende Verkäufe im Westen beschafft. Das Reich solle von den 50 Millionen, die es für Siedlungen bereitstellen müsse, 20 Millionen nach Ostpreußen legen. Dazu kämen die 8 Millionen aus dem aufgefüllten Leertitel. Die weiteren 10 Millionen aus diesem Titel wolle das Reich der Landhilfsstelle überweisen, damit diese anderweit nicht zu veräußernde Güter in geeigneter Weise durch Parzellierung und Verkauf an Anlieger und ähnliche Maßnahmen verwerten könne.

15 Millionen müßten zur Stützung mittlerer und kleinerer Betriebe durch Hingabe von Darlehen zur Konsolidierung laufender Schulden gegen Schuldschein bereitgestellt werden. Der Betrag würde allerdings nicht ausreichen, um dieses Ziel bei den auf mehrere 10 000 zu schätzenden in Frage kommenden Betriebe zu erreichen.

Über die Organisation sei mit Preußen noch keine Einigung erzielt. Der Preußische Landwirtschaftsminister wolle einen Staatskommissar einsetzen mit weitgehenden Vollmachten zur Zusammenfassung der Aufkauftätigkeit. Die Aufgaben, die das Reich darüber hinaus der Landhilfsstelle zuweisen wolle, sollten nach Ansicht Preußens die Kulturamtsvorsteher durchführen. Dies werde ihnen nicht möglich sein, weil insbesondere die Parzellierungen wegen der hypothekarischen Belastung des gesamten Grundbesitzes Entschuldungsmaßnahmen erforderlich machten, die einheitlich geleitet werden müßten.

[478] Bei den weiteren Verhandlungen werde es geboten sein, den Wünschen Preußens entgegenzukommen Der Staatskommissar könne von Preußen im Benehmen mit dem Reich oder vom Reich im Benehmen mit Preußen ernannt werden. Wenn gegen die Eingliederung der bestehenden Treuhandstellen in das System Bedenken beständen, so könne dem Staatskommissar ein Beirat von 3–5 Personen zur Beratung beigegeben werden. Die Einzelheiten würden in einer Referentenbesprechung vorgeprüft3.

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Eine Unterredung zwischen dem REM, dem PrFM und dem PrLandwM ergab weitgehende Übereinstimmung. Der REM ließ den Plan der Landhilfsstelle fallen, deren Aufgaben der preußische Staatskommissar übernehmen sollte (Vermerk Feßlers vom 13. 3.; R 43 I /1856 , Bl. 22). Über die Hilfsmaßnahmen wurde weitgehend Einigung erzielt. Meinungsverschiedenheiten bestanden nur noch über die Einflußnahme des Reichs auf den Staatskommissar und über die Mittel zur Siedlungshilfe (Vermerk Feßlers vom 14. 3.; R 43 I /1856 , Bl. 24).

Der Reichsminister der Finanzen trat dafür ein, daß die Hilfsmaßnahmen für Ostpreußen in einem einheitlichen Gesetzentwurf zusammengefaßt würden, in dem auch die im Etat zerstreuten Aufwendungen für die Provinz aufzunehmen seien. Auch Preußen müsse sich durch Gesetz auf die beabsichtigten Hilfsmaßnahmen festlegen. Es möge seine Aufwendungen, besonders für die Lastensenkung, wesentlich erhöhen. Bisher seien sie ziemlich gering.

Die im Etat für Ostpreußen eingesetzten 25 Millionen würden voraussichtlich nicht ausreichen. Die Aufwendungen müßten aus dem Etatstitel „Besatzungskosten“ (33 Millionen) gedeckt werden.

Über die Tätigkeit der Treuhandstellen lägen teilweise ungünstige Berichte vor. Die Durchführung der Maßnahmen müsse Preußen überlassen werden.

Es sei nicht zweckmäßig, die Maßnahmen zur Unterstützung der Industrie und des Gewerbes in das Ostpreußengesetz hineinzunehmen; andere Landesteile würden dann unter Berufung hierauf ähnliche Ansprüche für ihre industriellen und gewerblichen Unternehmungen stellen4.

4

Das RFMin. erklärte sich dann aber doch in einer Sitzung im REMin. am 15. 3. bereit, 42,6 Mio RM zur Verfügung zu stellen (Vermerk Feßlers vom 16. 3.; R 43 I /1856 , Bl. 37).

Auch der Reichskanzler sprach sich in diesem Sinne aus, während der Reichsminister des Innern in den Gesetzentwurf Aufwendungen in Höhe von etwa 15 Millionen für die ostpreußischen gewerblichen Unternehmungen, für Niederschlesien und Oberschlesien aufgenommen haben wollte.

Auch der Reichswirtschaftsminister hielt es für geboten, die Unterstützungen für die ostpreußische Industrie in das Gesetz hineinzuarbeiten, da sonst für jede Subvention der in Frage kommenden Werke ein besonderes Gesetz erforderlich sei. Nur Schichau solle weiter für sich behandelt werden5. Die Maßnahmen für die schlesischen Grenzgebiete müßten einem besonderen Gesetz vorbehalten bleiben. Da die Etatsberatungen alsbald begännen, sei es erforderlich, das Sondergesetz umgehend einzubringen.

5

Siehe Dok. Nr. 134, P. 3.

Auf Grund der Aussprache wurde beschlossen, daß der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft alsbald einen Gesetzentwurf über Maßnahmen für Ostpreußen vorlegt, der sich auf die Aktion für die Landwirtschaft beschränkt. Der Reichsminister des Innern wird eine Vorlage wegen der Maßnahmen für die ostpreußischen gewerblichen Unternehmungen vorbereiten6.[479] Mit den Parteien des Reichstags soll Fühlung genommen werden, um festzustellen, ob eine Verschmelzung der beiden Entwürfe zweckmäßig ist. Darüber und über die Vorlagen soll in der Kabinettssitzung am Montag, dem 18. März 1929, entschieden werden7.

6

Die Vorlage des REM erfolgte am 16. 3., die des RIM am 18. 3. (R 43 I /1856 , Bl. 48-82, 113-116).

7

Siehe hierzu die Chefbesprechung vom 16. 3. Dok. Nr. 153; statt der Kabinettssitzung am 18. 3. fand am 20. 3. ein Ministerrat statt (Dok. Nr. 157).

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