2.208.1 (mu21p): 1. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.

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1. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen1.

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Nach anfänglichen Schwierigkeiten war es MinDir. Ritter und dem Gesandten Rauscher gelungen, Fortschritte in den Verhandlungen mit Polen zu erzielen (Telegramm Rauschers Nr. 61 vom 24. 4.; R 43 I /1108 , Bl. 115 f.). Aber nachdem noch Anfang Mai der Eindruck bestanden hatte, Polen sei bereit, der Gründung eines Schweinesyndikats zuzustimmen, wurde vom Gesandten Knoll und dem polnischen Delegationsführer v. Twardowski erklärt, daß das Reich Vereinbarungen, die mit Rauscher und Ritter getroffen worden seien, nicht eingehalten habe und daß nur kontinuierliche Verhandlungen sinnvoll seien. Dazu wurde in der Rkei vermerkt: „Der materielle Grund für die Schwierigkeiten, die Polen im Augenblick einer Fortführung der Verhandlungen entgegensetzt, liegt nach der Auffassung des Sachbearbeiters im AA darin, daß Polen die Verhandlungsbasis, auf der die Verhandlungen im letzten ¾ Jahr geführt worden sind, nämlich das Streben nach dem Abschluß eines privaten Syndikatsvertrags, perhorresziert. Im AA ist man der Überzeugung, daß auf dieser Basis ein Handelsvertrag mit Polen niemals zustande kommen wird und daß man daher, wenn man in der Sache weiterkommen will, auf die Basis der Kabinettsbeschlüsse zurückkehren muß“ (23. 5.; R 43 I /1108 , Bl. 144 f.).

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete, Minister a. D. Hermes habe an Ministerialdirektor Ritter mitgeteilt, daß er die deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen am 27. Mai in Warschau wieder aufnehmen könne, aber schon nach einer Woche wieder eine Unterbrechung eintreten lassen müsse, wegen der ihn vordringlich in Anspruch nehmenden Teilnahme an der Internationalen Landwirtschaftstagung in Bukarest. Nach Abschluß der Bukarester Tagung werde er voraussichtlich auch nur in Berlin mit den Polen weiterverhandeln können und nicht mehr, wie bisher, in Warschau. Diese Mitteilung des Ministers Hermes erfülle ihn wegen des Schicksals der Handelsvertragsverhandlungen mit großer Besorgnis. Auf polnischer Seite seien Anzeichen vorhanden, daß man dort der bisherigen dilatorischen Verhandlungsform müde sei. Wenn man auch wohl annehmen könne, daß die polnische Regierung zu einem Vertragsabschluß positiv eingestellt sei, so sei doch nicht zu verkennen, daß in Polen auch starke Widerstände gegen die Verhandlungen bestünden, und es wachse die Gefahr, daß Polen in Bälde die Verhandlungen abbrechen und Deutschland die Schuld am Scheitern der Verhandlungen zuschieben werde, zumal, wenn Dr. Hermes an der Haltung festhalten sollte, die er angekündigt habe. Reichsminister Stresemann meinte, daß die Verhandlungen kontinuierlich, d. h. möglichst ohne Unterbrechung, fortgeführt werden müßten mit dem Ziele, sie zu einem Ende zu bringen. Die noch zu führenden Verhandlungen könnten nach seiner Auffassung nur Schlußverhandlungen sein.[680] Für derartige Schlußverhandlungen sei aber nicht Berlin, sondern nur Warschau der geeignete Ort, zumal, da bei den Verhandlungen in Warschau auch die wertvolle Mitwirkung des mit der Materie besonders vertrauten deutschen Gesandten Rauscher gesichert sei. Er bat das Kabinett, zu folgenden drei Fragen Stellung zu nehmen:

1.

Ist es notwendig, die Verhandlungen kontinuierlich, d. h. möglichst ohne Unterbrechung, vier bis sechs Wochen lang fortzuführen,

2.

soll an Herrn Minister a. D. Hermes die Frage gerichtet werden, ob er in der Lage ist, die weiteren Verhandlungen kontinuierlich zu führen, und zwar in Warschau,

3.

muß nicht für den Fall, daß Minister a. D. Hermes die vorstehende Frage verneinen sollte, eine Änderung in der Person des deutschen Verhandlungsleiters eintreten?

Ergänzend führte Reichsminister Dr. Stresemann hierzu noch aus, daß sich die Verhältnisse gegenüber der Zeit, in der Dr. Hermes zum Verhandlungsleiter bestellt worden sei, nicht unwesentlich verändert hätten. Dr. Hermes sei damals noch nicht Präsident der Bauern-Vereine gewesen, habe ferner noch kein Reichstagsmandat gehabt2, und schließlich habe man damals nur an einen kleinen Handelsvertrag gedacht. Jetzt seien die Ziele bei den Handelsvertragsverhandlungen nicht nur erheblich weiter gesteckt, sondern Minister Hermes sei auch durch seine zahlreichen Ämter mit Arbeit überlastet und habe für die Handelsvertragsverhandlungen mit Polen nicht mehr genügend Aktionsfreiheit. Andererseits sei aber einer alsbaldigen befriedigenden Erledigung der polnischen Handelsvertragsverhandlungen eine überaus große politische und auch wirtschaftspolitische Bedeutung beizumessen.

2

Hermes war im März 1928 zum Präsidenten der Bauernvereine gewählt worden und zog als Abgeordneter des Zentrums für den Wahlkreis Köln–Aachen nach den Mai-Wahlen 1928 in den RT ein.

Der Reichskanzler erklärte, daß er mit der Fragestellung des Reichsministers des Auswärtigen einverstanden sei. Auch er sei der Meinung, daß die Verhandlungen mit Polen irgendwie zu Ende geführt werden müßten. Wenn ein positives Ergebnis nicht zu erreichen sein sollte, müsse man sich schließlich auch mit einem negativen Ausgang abfinden. Ferner sei auch er der Meinung, daß die Schlußverhandlungen nur in Warschau geführt werden könnten. Dem Vorschlag wegen Befragung von Dr. Hermes stimmte er zu. So, wie Dr. Hermes sich die Weiterverhandlungen zur Zeit anscheinend denke, könne es nicht weitergehen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß nach seiner Meinung die Verhandlungen intensiver als bisher geführt werden könnten. Er selbst sei zum Vertragsabschluß durchaus positiv eingestellt, und er sei gleichfalls der Meinung, daß kontinuierlich verhandelt werden müsse. Er gab jedoch zu bedenken, daß man Dr. Hermes die Teilnahme an der Bukarester Tagung möglich lassen müsse, da eine derartige Vertretung Deutschlands bei der Tagung durchaus im Interesse der Reichsregierung liege und es übrigens[681] auch schon seit langem bekannt gewesen und als erwünscht empfunden worden sei, daß Minister a. D. Hermes die Bukarester Tagung mitmachen wolle. Wenn man daher Dr. Hermes in dem vom Reichsminister des Auswärtigen angeregten Sinne befrage, müsse man ihm jedenfalls die Möglichkeit zur Teilnahme an der Bukarester Tagung offenlassen.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete schloß sich diesen Ausführungen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft an. Auch er empfahl, die vom Reichsminister des Auswärtigen vorgeschlagene Frage an Dr. Hermes in der vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft befürworteten milderen Form zu tun, und er glaubte, davor warnen zu müssen, Dr. Hermes in eine Oppositionsstellung hineinzudrängen und ihn dadurch in agrarpolitischen Fragen in einer für die Reichsregierung unerwünschten Weise in das Fahrwasser der Rechten zu treiben. Die Teilnahme an der Bukarester Tagung müsse für Dr. Hermes möglich bleiben. Wenn aber Bukarest erledigt sei, dann müsse kontinuierlich verhandelt werden, und zwar in Warschau. Der Reichsminister für die besetzten Gebiete empfahl weiter dringend, der Reichsminister des Auswärtigen möge vor einer etwaigen Aussprache mit Dr. Hermes über seinen Rücktritt auch noch die Reichsminister von Guérard und Stegerwald sprechen und deren Meinung einholen.

Der Reichskanzler schloß sich der Auffassung an, daß man Dr. Hermes die Reise nach Bukarest konzedieren müsse. Dann aber müsse auch nach seiner Auffassung kontinuierlich verhandelt werden, und zwar in Warschau.

Auf Grund des Ergebnisses der Aussprache stellte der Reichskanzler fest, daß das Kabinett einmütig der Auffassung sei, daß die polnischen Handelsvertragsverhandlungen kontinuierlich, d. h. möglichst ohne Unterbrechung, vier bis sechs Wochen, fortgeführt werden müßten mit dem Ziele, zu einem Abschluß der Verhandlungen zu kommen. Irgendein Ende der Verhandlungen – wenn nicht in positivem, dann doch wenigstens in negativem Sinne – müsse herbeigeführt werden. Ferner stellte der Reichskanzler als Meinung des Kabinetts fest, daß diese als Schlußverhandlungen aufzufassenden Verhandlungen zweckmäßig nicht in Berlin, sondern in Warschau zu führen seien. An den deutschen Delegationsführer Minister a. D. Hermes soll die Frage gerichtet werden, ob er zur kontinuierlichen Führung solcher Verhandlungen in Warschau in der Lage ist. Dabei soll darauf Rücksicht genommen werden, daß ihm die Teilnahme an der Internationalen Landwirtschaftstagung in Bukarest möglich bleibt.

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