2.235.1 (mu21p): Belgische Markfrage.

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Belgische Markfrage.

Ministerialdirektor Dr. Ritter berichtet an Hand der vorliegenden Niederschriften über die ersten fünf Sitzungen mit der belgischen Seite kurz über das bisherige Ergebnis der Verhandlungen1. Er verwies darauf, daß er angeboten habe: 37 mal 10 Millionen Mark, Gegenwartswert gleich 160 Millionen Mark, daß Herr Gutt gefordert habe: 37 mal 25 Millionen Mark, Gegenwartswert rund 390 Millionen2. Wenn man die Differenz zwischen beiden Summen in Höhe von 230 Millionen Mark halbiere und zum deutschen Angebot hinzuschlage, so komme man auf eine Summe von 160 Millionen Mark plus 115 Millionen Mark gleich 275 Millionen Mark. Sein Vorschlag gehe davon aus, ihn zu ermächtigen, bei den weiteren Verhandlungen äußerstenfalls bis auf diese Summe als Gegenwartswert hinaufzugehen.

1

Diese Niederschriften befinden sich ebenso wie die der weiteren Verhandlungen bis zum 12.7.29 in R 43 I /54 , Bl. 80-153.

2

In Erwiderung auf einen Hinweis Gutts hatte Ritter in der ersten Sitzung das deutsche Angebot begründet: „Deutschland erkenne keine rechtlichen Verpflichtungen an; es sei trotzdem bereit, im Vergleichswege die Frage zu lösen; diese Bereitschaft habe es bisher stets von belgischen Gegenleistungen abhängig gemacht. Da die früher ins Auge gefaßte Gegenleistung [Rückgabe Eupen-Malmedys] jetzt nicht in Betracht komme, könnten wir jetzt nur einen ganz erheblich niedrigeren Betrag bezahlen“, [als früher angeboten worden war] (Niederschrift über die Verhandlung am 14. 6.; R 43 I /54 , Bl. 80-86).

[773] Das belgische Interesse gehe dahin, für die ersten Jahre möglichst hohe Annuitäten zu erlangen, um die Annuitäten in den späteren Jahren abfallen zu lassen. Zur Begründung dieser Forderung verwiesen die Belgier auf die den belgischen Etat belastenden Summen aus der Markfrage3.

3

Gutt hatte diese Summe mit 380 Mio Francs angegeben (Niederschrift über die dritte Sitzung am 20.6.29; R 43 I /54 , Bl. 94-104).

[…]

Das deutsche Interesse ist dem belgischen Wunsch entgegengesetzt. Deutschland wünscht, mit niedrigen Annuitäten anzufangen und diese erst in den folgenden Jahren steigen zu lassen. Ministerialdirektor Ritter betreibt eine Annäherung der beiderseitigen Standpunkte unter Heranziehung der zwischen Deutschland und Belgien schwebenden Liquidationsfrage. Aus den von Belgien vorgenommenen Liquidationen hat Belgien bis jetzt einen Reinerlös von 40 bis 45 Millionen RM erzielt. Weitere Liquidationen stehen noch aus4.

4

Hierzu hatte Ritter am 20. 6. über die deutsche Haltung in dieser Frage gegenüber Gutt erklärt: „Man sei sich hier darüber einig, daß das belgische Angebot auf Freigabe des noch nicht liquidierten Eigentums, zumal da dieses ohnehin im Young-Plan vorgesehen sei, wenig wert sei; der einzige Vorteil für uns liege in der Vorverlegung des Datums.“ Von Ritter war weiter mitgeteilt worden, ihm werde möglich sein, ein höheres Markangebot zu unterbreiten, wenn Belgien seinem Vorschlag zustimme, wonach die Liquidationen vom 7. 6. an beendet seien. Der Liquidationsüberschuß solle in einem Pauschalvertrag festgesetzt und der RReg. zur Verfügung gestellt werden. Private Vorkriegsforderungen sollten als abgeschlossen gelten, und das deutsch-belgische Schiedsgericht sei aufzuheben. Der Wert des noch nicht liquidierten deutschen Eigentums in Belgien war mit 175 Mio Francs angenommen worden (R 43 I /54 , Bl. 94-104, hier: Bl. 94).

Im Young-Plan ist in Teil 9 Absatz 3 bestimmt, daß die beiderseitigen Ansprüche aus der Vergangenheit erledigt sein sollen5. Deutscherseits wird dieser Absatz dahin interpretiert, daß der Liquidationserlös aus den bisherigen Liquidationen an Deutschland herauszugeben ist, während die Belgier diesen Absatz dahin interpretieren, daß der Liquidationserlös ihnen endgültig zu verbleiben habe. Teil 9 Absatz 4 des Young-Plans besagt, daß die noch nicht durchgeführten Liquidationen zu unterbleiben haben6. Insofern bestehen keine Auslegungsschwierigkeiten.

5

Siehe Ziffer 143 des Young-Plans (RGBl. 1930 II, S. 454  f.).

6

Siehe Ziffer 144 des Young-Plans (RGBl. 1930 II, S. 456 ).

Ministerialdirektor Ritter hat den Belgiern vorgeschlagen, Deutschland den Liquidationserlös von 40 bis 45 Millionen RM unter gewissen Modalitäten herauszugeben. […] Als Gegenleistung hierfür hat Ministerialdirektor Ritter eine Erhöhung des Angebots von 37 mal 10 Millionen um „ein mehrfaches des Liquidationssaldos“ in Aussicht gestellt7. Die Belgier sind grundsätzlich auf diese Verhandlungsbasis getreten. Die Herausgabe des Liquidationserlöses (man denkt an eine Auskehrung an Deutschland in drei Jahresraten) macht den Belgiern insofern keine besonderen Schwierigkeiten, als dieser Liquidationserlös in Belgien nicht etatisiert ist.

7

Nachdem Gutt gefragt hatte, was Ritter unter dem Mehrfachen des Saldos der Liquidationserlöse verstehe, hatte dieser schließlich erklärt, „daß die deutsche Gesamtleistung auf keinen Fall an die belgischen Forderungen von 37 x 25 Mio heranreichen würden, daß aber eine wesentliche Annäherung erzielt werden könne“ (Niederschrift über die Verhandlungen am 20. 6.; R 43 I /54 , Bl. 94-104, hier: Bl. 98).

[774] Ministerialdirektor Ritter schlug für die weitere Verhandlungstaktik vor, den Belgiern hinsichtlich ihrer Wünsche nach höheren Annuitäten für die ersten fünf Jahre entgegenzukommen, dann aber im sechsten Jahr einen starken Abfall eintreten zu lassen und vom sechsten Jahr an die deutsche Skala, d. h. anfangend mit kleinen Annuitäten und progressivem Anstieg für die Zukunft fortzufahren. Er meinte, die ersten Annuitäten könnten 30 Millionen plus je ein Drittel des Liquidationssaldos betragen, so daß den Belgiern als deutsche Zahlung für die ersten Jahre Annuitäten von 40 bis 45 Millionen genannt werden könnten, wobei man sich darüber einig sei, daß die letzten 10 bzw. 15 Millionen nur Verrechnungsposten seien. Die Höhe der späteren Annuitäten hatte Ministerialdirektor Ritter noch nicht berechnet, da er hierzu der Mithilfe eines Rechnungssachverständigen vom Statistischen Amt bedurfte8.

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Ritter legte die Berechnungen des Statistischen Reichsamts in den Nachmittagsverhandlungen am 6. 7. vor. Danach wurde eine Zahlungsstaffelung in Angleichung an den Young-Plan über 37 Jahre vorgeschlagen (R 43 I /54 , Bl. 145 f.).

Gegen diese Verhandlungstaktik hatten die anwesenden Reparationsminister nur insofern Bedenken, als sie dringend widerrieten, für die ersten Jahre deutsche Zahlungen vorzusehen, die über 25 Millionen hinausgingen. Sie meinten, es sei besser, in den ersten Jahren von Annuitäten von je 20 Millionen plus ein Drittel des Liquidationserlöses auszugehen.

Im übrigen wurde die nähere Ausarbeitung eines derartigen Vorschlages zunächst den drei Ministerialdirektoren Ritter, Dorn und Schäffer überlassen.

Ministerialdirektor Ritter bemerkte noch, daß er darauf ausgehe, die Regelung der Markfrage und die Regelung der Liquidationsfrage formell in zwei getrennten Abkommen zum Abschluß zu bringen. Wenn es gelingt, die Liquidationsfrage in dem gewünschten Sinne zu erledigen, so gewinne Deutschland damit einen günstigen Vorgang für die Bereinigung der zwischen Deutschland einerseits, England und Polen andererseits noch ungelösten Liquidationsfragen; ferner werde die bevorstehende politische Konferenz nicht mehr mit der Liquidationsfrage belastet9.

9

Zum weiteren Fortgang siehe Dok. Nr. 248, P. 2.

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