2.55.1 (mu21p): 1. Reparationsfrage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 1 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

1. Reparationsfrage.

Nach einleitenden Bemerkungen von Ministerialdirektor Köpke berichtete Ministerialdirektor Ritter kurz über das Ergebnis des deutschen diplomatischen Schritts bei den an der Genfer Vereinbarung beteiligten Mächten über die Bildung eines Sachverständigen-Ausschusses1. Er trug sodann vor, daß der französische Ministerpräsident bei seiner Unterredung mit Botschafter von Hoesch am 31. Oktober 1928, die Absicht zu erkennen gegeben habe, der deutschen Regierung gegenüber den französischen Standpunkt schriftlich zu notifizieren. Botschafter von Hoesch habe Poincaré jedoch ersucht, ihm vorläufig keine Antwort zu geben, bevor er nicht seine Ausführungen an die Reichsregierung gemeldet und er nochmals Gelegenheit gehabt habe, neue Instruktionen der Reichsregierung einzuholen2. Zweck der heutigen Aussprache sei, diese von Herrn von Hoesch erbetenen neuen Instruktionen festzulegen.

1

Vgl. zu dieser Demarche Dok. Nr. 51. Einen ausführlichen Bericht über die Schritte der deutschen diplomatischen Vertreter enthält die Darstellung des Reichsarchivs über die „Entstehung des Young-Plans“ (BA Nachlaß Pantlen , Bd. 6).

2

Über den Inhalt dieser Unterredung hatte v. Hoesch im einzelnen mitgeteilt: Poincaré habe erwogen, daß die amerikanischen Sachverständigen entweder von der Regierung der USA entsandt oder von der Repko eingeladen würden. Nach der deutschen Demarche wolle Poincaré für Frankreich die Ernennung unabhängiger Sachverständiger in Betracht ziehen; aber das französische Mißtrauen gegenüber Bankiers sei groß. In der Ortswahl für die Verhandlungen wolle sich Poincaré einer gemeinsamen Entscheidung fügen. Als Forderung habe Poincaré vorgetragen, daß Frankreich von Deutschland den Ersatz für die Schulden gegenüber Amerika und England sowie eine Entschädigung für die Kriegsschäden erwarte. Dieser Standpunkt sei bereits von Belgien, England und Italien gebilligt worden. Wie die interalliierten Schulden müßten die deutschen Leistungen 60 Jahre laufen. Der deutsche Botschafter habe dem entgegengehalten, daß auch Deutschland Bedingungen stellen werde, wenn von alliierter Seite Forderungen erhoben würden, „wodurch die Verhandlungen wohl zur Aussichtslosigkeit verdammt würden“. Darauf habe Poincaré erwidert, Frankreich werde keiner Lösung zustimmen, die „seine bekannten Desiderata nicht erfülle“. Zu Poincares Absicht, die deutsche „Notiz“ mit einer französischen Demarche zu beantworten, habe v. Hoesch erklärt, daß dann die deutsche Beteiligung am Komitee nahezu unmöglich werde. Der Eindruck des Botschafters war, „daß P. auf der einen Seite in ehrlicher Weise danach strebt, das Sachverständigenkommitee ins Leben zu rufen, daß er aber auf der anderen Seite von einer Bekanntgabe der französischen Desiderata an uns in eigentlicher Form kaum ablassen wird“ (Telegramm Nr. 1123 vom 31. 10.; R 43 I /476 , Bl. 264-272, hier: Bl. 265).

[191] Auf Grund einer eingehenden Aussprache einigten sich die Herren Reichsminister auf den in der Anlage beiliegenden Wortlaut einer neuen Instruktion an die deutsche Botschaft in Paris3.

3

Der Inhalt der Instruktion war: Der Botschafter solle Poincaré erklären, daß wegen der Haltung Amerikas eine amtliche Mitteilung über Art und Höhe der deutschen Schuldenzahlung unterbleiben solle; außerdem verstoße eine solche Mitteilung gegen die in Genf getroffenen Vereinbarungen. Bei einer Veröffentlichung werde Deutschland seine gegenteiligen Ansichten bekanntgeben. Weiterhin wurde v. Hoesch mitgeteilt, daß aber an Poincarés Erklärung die Konferenz nicht scheitern solle; das sei erst der Fall, wenn er von der deutschen Regierung verlange, daß sie seine Forderungen anerkenne (R 43 I /276 , Bl. 326-329).

Reichsbankpräsident Dr. Schacht bemerkte noch, daß ihm die von Herrn von Hoesch mit Telegramm Nr. 1129 vom 1. November 1928 mitgeteilten persönlichen Auffassungen zu seiner Besprechung mit Briand und Poincaré in der Frage der Konstituierung des Sachverständigenkomitees bekannt geworden seien4. Er halte es für dringend erforderlich, daß Herrn von Hoesch gegenüber zum Ausdruck gebracht werde, daß seine persönliche Auffassung zur Sache von der Reichsregierung unter keinen Umständen geteilt werde.

4

Nach diesem Telegramm war v. Hoesch „zur Überzeugung gekommen, daß wir die Ingangsetzung des Sachverständigenausschusses auch unter den durch Frankreichs Haltung gegebenen Umständen weitertreiben sollen“. In Übereinstimmung mit MinDir. Ruppel hatte v. Hoesch empfohlen, „die französische Stellungnahme nicht mit einer Ablehnung zu beantworten, sondern lediglich zu versuchen, die Form der geplanten Mitteilung Frankreichs an uns möglichst erträglich zu gestalten“ (R 43 I /476 , Bl. 258-262).

Ministerialdirektor Dr. Köpke erwiderte, daß das Auswärtige Amt schon vor dieser Anregung sich darüber schlüssig geworden sei, Herrn von Hoesch in dem vom Herrn Reichsbankpräsidenten gewünschten Sinne aufzuklären5.

5

Über seinen erneuten Besuch bei Poincaré berichtete v. Hoesch, daß der französiche MinPräs. sich nachgiebiger gezeigt habe, als der Botschafter Zweifel daran geäußert habe, daß von den anderen Gläubigern ähnliche Erklärungen wie die französische abgegeben würden. Poincaré beabsichtige jetzt, die französischen Sachverständigen mit Anweisungen zu versehen und sie darauf zu verpflichten. Die amerikanischen Sachverständigen sollten von der Regierung der USA, die übrigen außer den deutschen von der Repko eingesetzt werden (Telegramm Nr. 1141 vom 3. 11.; R 43 I /476 , Bl. 237-244, hier: Bl. 239). Über diese Mitteilung fand am 5. 11. eine Chefbesprechung statt, in der weitere Instruktionen für den Botschafter beschlossen wurden (R 43 I /276 , Bl. 336). Er sollte erklären, daß die von Poincaré beabsichtigte Ernennung der Sachverständigen mit den Genfer Beschlüssen unvereinbar sei (Telegramm Nr. 896 v. 5. 11.; R 43 I /276 , Bl. 345-347. Eine ausführlichere Darstellung über diese Instruktion und die Chefbesprechung in der Arbeit des Reichsarchivs; BA: Nachlaß Pantlen , Bd. 6). – Wegen des Rücktritts des französischen Kabinetts unternahm v. Hoesch bis zum 13. 11. keine weiteren Schritte (Telegramm Nr. 1154 vom 7. 11., R 43 I /276 , Bl. 348-351; Telegramm Nr. 1178 vom 13. 11., R 43 I /476 , Bl. 201-204).

Extras (Fußzeile):