2.68.1 (mu21p): 1. Auswärtige Politik.

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1. Auswärtige Politik.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete über den allgemeinen Inhalt der von ihm beabsichtigten Reichstagsrede1. Er werde zunächst nicht auf die Verhandlungen während der letzten Tagung in Genf eingehen, die ja im Auswärtigen Ausschuß schon hinreichend behandelt worden seien2. Die allgemeinen Ausführungen über die deutsche auswärtige Politik sollten in erster Linie die Feststellung enthalten, daß die bisherige Politik fortgesetzt werden solle. Das Hauptgewicht der Verhandlungen im Reichstag werde voraussichtlich bei der Reparationsfrage liegen3. Hierzu erbat der Reichsminister des Auswärtigen die Zustimmung des Reichskabinetts zu der von ihm beabsichtigten Art der Beantwortung der Mitteilungen Poincarés und Churchills4. Zwar sei[233] der deutsche Botschafter in Paris, Herr von Hoesch, der Meinung, der von ihm sogleich mündlich geäußerte Protest gegen die französische Auffassung werde hinreichen5. Das Auswärtige Amt könne sich dem aber nicht anschließen, sondern halte eine schriftliche Antwort der deutschen Regierung, die den deutschen Protest aktenmäßig festlege, für angezeigt.

1

Die Rede hielt Stresemann am 19. 11., siehe RT-Bd. 423, S. 414  ff.

2

Die Beratungen im Auswärtigen Ausschuß hatten am 3. und 4. 10. stattgefunden (die Ausführungen des RK in R 43 I /502 , Bl. 2-43; weitere Aufzeichnungen der Rkei in R 43 I /1018 ).

3

Der RFM sandte zu den Ausführungen über dieses Thema einen Vorschlag (Abschrift in R 43 I /276 , Bl. 361-365), der inhaltlich Stresemanns Erklärung vor dem RT entspricht (RT-Bd. 423, S. 416  f.).

4

Churchill hatte gegenüber Dieckhoff auf der Lösung des Reparationsproblems im Sinne der Balfour-Note bestanden und erklärt, daß man englischerseits mit dem Funktionieren des Dawes-Planes zufrieden sei. Er erwartete von der deutschen Regierung eine vertrauliche Zusicherung, daß sie den englischen Standpunkt respektiere. Das wurde von Dieckhoff abgelehnt (Telegr. Nr. 728 vom 5. 11. aus London; R 43 I /476 , Bl. 230 f.). Am 14. 11. hatte die englische Regierung Poincaré mitteilen lassen, daß sie den anderen Gläubigerstaaten ihre „Desiderata“ in einem Memorandum überreichen wolle. Deutschland solle das Memorandum aus „Gründen der Höflichkeit und Loyalität“ bekanntgemacht werden. Damit liege keine Bindung oder Direktive für die Experten vor, sondern England habe festgestellt, unter welchen Bedingungen es ihre Beschlüsse annehmen könne. Zugleich mit diesem Memorandum hatte Poincaré das französische Aide-Mémoire an die Alliierten, in dem Frankreich seine Mindestforderungen für die Reparationen und die Deckung seiner Kosten durch Kriegsschäden bekanntgab, dem Botschafter v. Hoesch am 15. 11. vorgetragen (Telegr. Nr. 1183 aus Paris vom 15. 11.; R 43 I /476 , Bl. 183 f.). Die französischen Forderungen waren gleichfalls in der Regierungserklärung Poincarés vom 15. 11. enthalten gewesen (Schultheß 1928, S. 306 f.). Botschafter Sthamer hatte die Annahme des englischen Memorandums gegenüber Churchill abgelehnt, nachdem er vom Inhalt Kenntnis genommen hatte. Der Botschafter hatte den Eindruck „eines fein ausgeklügelten Manövers zu dem Zwecke, aus der Entgegennahme der Erklärung unausgesprochene materielle Vorteile unter Abänderung des Genfer Abkommens zu ziehen“ (Telegramm Nr. 764 aus London vom 15. 11. R 43 I /476 , Bl. 163-168). Nachdem der Botschafter schließlich seine Einwilligung erklärte, das Memorandum anzunehmen, wurde es ihm am 19. 11. zugesandt (Telegramm vom gleichen Tage Nr. 777; R 43 I /476 , Bl. 148 f.). Belgien hatte schon früher bei den Alliierten die Regelung seiner Reparationsansprüche und eine Entschädigung in der Markfrage durch Parallelverhandlungen gefordert (Telegr. Nr. 103 aus Brüssel vom 10. 11.; R 43 I /476 , Bl. 211-214).

5

Von Hoesch hatte Poincaré gegenüber einen deutschen Vorbehalt angekündigt. Nach einem Gespräch mit dem deutschen Vertreter in der Kriegslastenkommission, Ruppel, war aber der Botschafter der Meinung gewesen: Das Memorandum sei „weit unbedenklicher, als man befürchten mußte“. Seine Erwiderung genüge, und „eine schriftliche Antwort“ würde „an der Sachlage wenig ändern“ (Telegr. Nr. 1184 vom 15. 11. aus Paris, R 43 I /476 , Bl. 175-182, hier: Bl. 177).

Der Reichsminister des Auswärtigen verlas den anliegenden Entwurf eines Memorandums, das den beteiligten Mächten überreicht werden solle, und dessen Wortlaut im Benehmen mit dem Reichsminister der Finanzen und dem Reichswirtschaftsminister nochmals durchgeprüft werden soll6.

6

In einem der Niederschrift beigefügten Memorandum erklärte die RReg., vom französischen Aide-Mémoire Kenntnis genommen zu haben. Nach der dem deutschen Botschafter gegebenen mündlichen Erklärung Poincarés gehe die RReg. davon aus, daß die französische Regierung die Sachverständigen in der Freiheit der Beurteilung nicht einengen werde. Die RReg. vertrete den Standpunkt, daß eine Erörterung der Endregelung der Reparationen erst nach Vorlage des Ergebnisses der Sachverständigen möglich sei. Sie behalte sich daher jede Freiheit vor und betone den allgemeinen Grundsatz, „daß eine endgültige Regelung der Reparationsfrage nur dann möglich ist, wenn diese Lösung die Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht übersteigt und Deutschland dauernd die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus eigener Wirtschaftskraft und ohne Gefährdung der Lebenshaltung des deutschen Volkes ermöglicht.“ Die Weisung zur Übergabe dieses Memorandums erging durch Stresemann am 22. 11. (R 43 I /476 , Bl. 134-141).

Der Reichskanzler und der Reichsminister der Finanzen erklärten sich mit den vom Reichsminister des Auswärtigen vorgeschlagenen politischen Richtlinien und mit dem Entwurf des Memorandums, vorbehaltlich einer abschließenden Fühlungnahme wegen der Formulierung, einverstanden.

Der Reichsminister der Finanzen regte hierbei an, ob nicht die Frage der „terms of reference“ im Memorandum berührt werden könne, indem darauf hingewiesen werde, daß die Genfer Beschlüsse als Grundlage ausreichend seien.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß nach Möglichkeit vermieden werden müsse, Parker Gilbert durch eine ablehnende Haltung Deutschlands in dieser Frage zu verstimmen7.

7

Botschafter v. Hoesch hatte im Telegr. Nr. 1184 mitgeteilt, Poincaré basiere seine Wünsche auf die letzte Fassung der „terms“, die ihm Parker Gilbert am 3. 11. übermittelt habe; durch Nichtannahme seiner „terms“, werde man – nach Poincarés Meinung – den Reparationsagenten schwer verstimmen (R 43 I /476 , Bl. 175-182, hier: Bl. 178).

[234] Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich bereit, zunächst durch eine Unterredung mit Parker Gilbert über dessen Auffassung Klarheit zu schaffen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Reichskabinett sich über die Frage der Formulierung der „terms of reference“ erst nach Vorlage eingehender Unterlagen entscheiden könne.

Auf Anfrage des Reichsverkehrsministers erklärte der Reichsminister des Auswärtigen daß er auch die Besatzungsfrage erwähnen werde, um sie weiter in Fluß zu halten.

Hierbei wies der Reichskanzler darauf hin, daß, wie bisher, die Räumungsfrage nicht zu sehr in den Vordergrund gedrängt werden dürfe, um nicht die französischen Aspirationen in der Sicherheitsfrage neu zu wecken.

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