2.79.1 (mu21p): 1. Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen in Köln über die Fürsorge für die Ausgesperrten.

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1. Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen in Köln über die Fürsorge für die Ausgesperrten.

Der Reichskanzler teilte mit, daß Reichsminister Severing das ihm angetragene Amt eines Schiedsrichters zur Beilegung des Arbeitskonfliktes im Ruhrgebiet angenommen und bereits in den Bezirk Nord-West abgereist sei, um mit den Parteien an Ort und Stelle Fühlung zu nehmen. Nach seinen Informationen werde mit der Wiederaufnahme der Arbeit im Kampfgebiet sofort begonnen.

Der Reichswirtschaftsminister sagte, daß nach der Beendigung der Aussperrung die Richtlinien vom 19.11.1928 über die Fürsorge für die Ausgesperrten gegenstandslos geworden seien und daher sofort aufgehoben werden müßten. Von jetzt ab regele sich die Fürsorge für den – übrigens aller Wahrscheinlichkeit nach nur sehr geringen – Prozentsatz der nicht sofort wieder eingestellten Arbeitslosen zwangsläufig nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 19271. Dies sei auch die Auffassung des von ihm befragten Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung.

1

Siehe §§ 87 ff. des Gesetzes (RGBl. 1927 I, S. 187  ff.).

Der in der Sitzung anwesende Präsident Syrup bestätigte die Richtigkeit dieser Auffassung.

Der Reichsarbeitsminister war demgegenüber der Ansicht, daß die Abwicklung der Fürsorge auf Grund der Verordnung vom 19. 11. nur kurze Zeit in Anspruch nehmen werde. Die Verhältnisse würden über Gebühr kompliziert und verursachten eine unnötig umfangreiche Verwaltungsarbeit, wenn jetzt für die wenigen Tage eine Umstellung der zu betreuenden Personen von der Fürsorge auf die Arbeitslosenunterstützung stattfinde. Er hielt es für richtig, die Verhältnisse dahin zu regeln, daß die Fürsorgerichtlinien vom 19. 11. noch bis zum Ende der laufenden Woche für alle diejenigen in Kraft bleiben sollten, die nicht auf die Arbeitslosenunterstützung übernommen würden.

Der Preußische Minister für Volkswohlfahrt bemerkte zunächst, daß er gegenüber den in der Presse gegen ihn erschienenen Angriffen wegen der von[282] ihm erlassenen Richtlinien vom 19. 11. nachdrücklich betonen müsse, daß diese Richtlinien am 19. 11. in Essen vor ihrem Erlaß die Zustimmung aller beteiligten Ressorts gefunden hätten. Er müßte die Angriffe daher als unberechtigt zurückweisen. Was den durch den Reichswirtschaftsminister vorgelegten Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen in Köln für die Fürsorge der Ausgesperrten anlange, so gebe dieser Bericht in keiner Weise ein zutreffendes Bild von der wahren Lage im Aussperrungsgebiet2. In den Richtlinien selbst sei mit Zustimmung aller beteiligten Ressorts seinerzeit vorgesehen worden, daß sie bis zum ersten Lohnzahlungstage in Kraft bleiben sollten. An dieser Bestimmung müsse festgehalten werden. Wenn vorher durch die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung Arbeitslosenunterstützung gezahlt werden sollte, so sei es nach seiner Auffassung sehr wohl möglich, Doppelzahlungen durch ein geeignetes Zusammenarbeiten der Wohlfahrtsämter und der Landesarbeitsämter zu verhüten. Im übrigen werde das Preußische Staatsministerium am Dienstag, den 4. Dezember, Veranlassung nehmen, zum Sachverhalt Stellung zu nehmen3.

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In R 43 I /2055 , Bl. 321 wurde nur das Anschreiben des RWiM hierzu ermittelt, in dem er am 1. 12. wegen der „sehr bemerkenswerten Feststellungen“ des nach Köln entsandten Referenten beantragt hatte, „die Frage der Auswirkungen des Hirtsieferschen Erlasses zum Gegenstand einer Aussprache im RKab. zu machen“. – Über die Sitzung der Wohlfahrtsdezernenten befinden sich in R 43 I /2055 , Bl. 325-330 ein Bericht des ORegR Lauterwald vom Landesfinanzamt Köln, der als Vertreter des RFM teilgenommen hatte, ein gemeinsamer Vermerk der Sachbearbeiter des RIMin. und des PrWohlfMin., sowie ein Bericht des Vertreters des RArbMin. Aus diesen Unterlagen ergibt sich, daß von den Vertretern der Reichsressorts und der preußischen Ministerien für Volkswohlfahrt und für Finanzen mit Vertretern der Regierungspräsidenten von Köln, Düsseldorf, Münster, Arnsberg und Minden und danach mit den städtischen Dezernenten verhandelt worden war. „Die Mitteilungen der Dezernenten ergaben kein klares Bild darüber, ob die Fälle, in denen die Fürsorgeunterstützungen und die sonstigen Bezüge, namentlich die Gewerkschaftsunterstützungen, die Lohngrenze erreichen oder überschreiten, sehr zahlreich sind, oder ob es sich um Ausnahmefälle handelt. Es blieb jedoch der Eindruck bestehen, daß die Fälle doch häufiger vorgekommen sein sollen, andernfalls wäre die Dringlichkeit, mit der von den Dezernenten auf die Mißstände hingewiesen wurde, kaum verständlich.“ (Gemeinsamer Bericht des PrWohlfMin. und des RIMin.; R 43 I /2055 , Bl. 355 f.). Der Anspruch auf Fürsorgeleistungen sei seit der Unterstützungsaktion des Reiches stärker geworden, wäre aber auch sonst in geringem Umfang aufgetreten. Von der Gewerkschaften könne keine Angabe über die Höhe ihrer Unterstützungsleistungen erlangt werden. Eine Kürzung der Unterstützungsmaßnahmen werde allgemeinen Mißmut auslösen (a.a.O.). Im gleichen Sinne berichtete auch Lauterwald, der außerdem auf die Folgeerscheinungen hinwies: „Verschiedene Wohlfahrtsdezernenten wiesen darauf hin, daß sie damals in Essen vor der beabsichtigten Regelung gewarnt hätten. Sie waren durchweg der Ansicht, daß der Erlaß schwere politische Folgen haben werde, da sich in anderen Arbeitskämpfen die Ausgesperrten auf die jetzige Regelung berufen werden und daß vielleicht auch damit gerechnet werden müsse, daß unter Umständen Arbeitgeber vom Reiche bzw. den Ländern entsprechende Unterstützungen verlangen werden“ (R 43 I /2055 , Bl. 326-330, hier: Bl. 329).

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In R 43 I nicht ermittelt.

Nach einer längeren Aussprache machte der Reichswirtschaftsminister den Vorschlag, die Beratung abzubrechen und sie am 5. Dezember in einer Chefbesprechung fortzusetzen. Bis dahin müsse eine Klärung der Rechtslage sowohl durch den Präsidenten der Reichsanstalt für Erwerbslosenversicherung wie auch eine Stellungnahme des Preußischen Staatsministeriums zur Sache erfolgen. Er erklärte, daß auch nach seiner Meinung der durch seine Referenten erstattete Bericht über die Kölner Tagung kein vollständiges Bild über die wirklichen Verhältnisse in der Ausgesperrten-Fürsorge gebe. Es sei nötig, daß auch die[283] von den in der Sitzung anwesend gewesenen Vertretern der übrigen Ressorts gefertigten Berichte herangezogen und ausgetauscht würden. Ferner müsse auch das von dem Vorsitzenden der Kölner Tagung selbst veranlaßte Protokoll herbeigeschafft werden. Die Federführung für die Fortführung der Angelegenheit stehe nach seiner Meinung dem Reichsminister der Finanzen zu.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Kabinett mit diesem Vorschlag einverstanden war, und vertagte die Weiterberatung des Gegenstandes bis zu einer zunächst für Mittwoch, den 5. Dezember in Aussicht genommenen Chefbesprechung. Er gab dabei der Erwartung Ausdruck, daß bis dahin vor allen Dingen auch die Stellungnahme des Preußischen Staatsministeriums zur Sache vorliegen werde4.

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Am 5.12.28 fand unter Vorsitz des RFM eine Chefbesprechung statt, in der sich die beteiligten Reichs- und preußischen Ressorts auf Überleitungsbestimmungen einigten (RFM an StS Rkei, 7.12.28; R 43 I /2055 , Bl. 369-371). Im ersten Absatz dieser Bestimmungen wurden die Angaben über Rückerstattung an die Fürsorgeverbände und die Bedürftigkeitsbestimmungen des Erlasses vom 19. 11. näher erläutert. Der zweite Absatz stellte fest, daß Lohnkürzungen nach dem 1. 12. nicht mehr als durch die Aussperrung bedingt anzusehen seien. Die Fürsorgeverbände sollten ihre Unterstützungen noch bis zum 15. 12. leisten ohne Rücksicht darauf, daß der Arbeitnehmer wieder beschäftigt sei. Die eigentliche Arbeitslosenunterstützung werde vom 17. 12. an wieder gezahlt. Der dritte Absatz bestimmt, daß die Richtlinien vom 19. 11. am 15.12.28 außer Kraft treten sollten. Der letzte Absatz enthielt Bestimmungen über die Abrechnung der Leistungen durch die Fürsorgeverbände (Anlage zum Schreiben des RFM an den StSRkei; a.a.O.).

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