2.86.1 (mu21p): Verwaltungsrat der Reichsbahn (Spruch des Staatsgerichtshofs).

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Verwaltungsrat der Reichsbahn (Spruch des Staatsgerichtshofs).

Das Reichskabinett beschäftigte sich in eingehender Aussprache mit dem Beschluß des Staatsgerichtshofs zur Besetzung der Verwaltungsratsstellen der Reichsbahn vom 15. Dezember1.

1

Die Meldung der Presse über den Beschluß lautete: „Leipzig, 15. 12. Der StGH des Deutschen Reiches hatte heute über den Antrag der badischen Regierung auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zu verhandeln, die die Ernennung neuer Mitglieder zum Verwaltungsrat der RB-Gesellschaft zurückstellt, bis der Streitfall zwischen Reich und Ländern mit früherer Eisenbahnhoheit wegen ihrer Vertretung im Verwaltungsrat vollends entschieden ist. Vor Eintritt in die Verhandlung zog sich der StGH zurück und verkündete folgenden Beschluß: Dadurch, daß die RReg. am Tage vor dem Termin zur Entscheidung über die beantragte einstweilige Verfügung die am 31. Dezember d. J. freiwerdenden Stellen im Verwaltungsrat der RB-Gesellschaft neu besetzt hat, ist die verfassungsmäßige Tätigkeit des StGH in der Streitsache unmöglich gemacht worden. Eine Erklärung über die Gründe des Vorgehens der RReg. hat ihr Vertreter abgelehnt. Der StGH vertagt daher die Streitsache auf unbestimmte Zeit. Er wird sich an den Herrn RPräs. wenden mit dem Antrage, dem StGH für das Deutsche Reich Gewähr für diejenige Achtung seiner Gerichtsbarkeit zu verschaffen, deren er zur Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben bedarf“ (R 43 I /1059 , Bl. 236).

Zunächst teilte der Reichsverkehrsminister mit, daß er von dem Entschluß der Reichsregierung zur Ernennung der neuen Verwaltungsratsmitglieder2 den Präsidenten des Staatsgerichtshofs3 sofort telephonisch und telegraphisch in Kenntnis gesetzt habe.

2

Siehe Anm. 1 zu Dok. Nr. 84.

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Simons.

Von sämtlichen Reichsministern wurde dem Bedauern Ausdruck gegeben, daß der Präsident des Staatsgerichtshofs sich unter Umgehung der für ihn zuständigen Instanz (des Reichsministeriums des Innern) beschwerdeführend an den Herrn Reichspräsidenten zu wenden beabsichtige und diese Absicht schon der Öffentlichkeit mitgeteilt habe. Es war die einmütige Auffassung des Reichskabinetts, daß der Herr Reichspräsident für diese Beschwerde nicht zuständige Stelle sei4. Dies wurde auch von Staatssekretär Dr. Meissner bestätigt, der mitteilte, daß der Herr Reichspräsident über die bisherigen Schritte des Reichskabinetts in dieser Angelegenheit und die am 14. Dezember vorgenommenen[305] Ernennungen von Verwaltungsratsmitgliedern unterrichtet gewesen sei und sie gebilligt habe. Nach Ansicht von Staatssekretär Dr. Meissner werde der Herr Reichspräsident voraussichtlich eine etwa eintreffende Beschwerde des Präsidenten des Staatsgerichtshofs entweder an diesen zurücksenden oder an den Reichstag, der für das politische Verhalten der Reichsregierung zuständig sei, abgegeben5.

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Im anschließend verfaßten Kommuniqué über die Ministerbesprechung heißt es dazu: „Der StGH hat einen Entschluß gefaßt, der über den Rahmen seiner prozessualen Tätigkeit hinausgeht und sich als Ankündigung einer in der Verfassung nicht begründeten Beschwerde über einen politischen Akt der RReg. darstellt. Der StGH hat sich nicht an die für ihn zuständige Stelle, das RIMin., gewandt. Er hat vielmehr seine Beschwerde der Öffentlichkeit bekanntgegeben und durch dieses tiefbedauerliche Verfahren die RReg. gezwungen, die Auseinandersetzung auch ihrerseits vor der Öffentlichkeit zu führen“ (R 43 I /1434 , Bl. 399).

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Planck vermerkte am 15. 12., StS Meissner habe mitgeteilt, daß der RPräs. mit dieser Erklärung Meissners einverstanden gewesen sei. Der RPräs. billige die Beschlußfassung der Minister. Er habe auch gegen das Kommuniqué der RReg. keine Bedenken geäußert (R 43 I /1059 , Bl. 235).

Der Reichsminister der Justiz wies darauf hin, daß es ohne Zweifel gutes Recht der Reichsregierung gewesen sei, noch vor einem Spruch des Staatsgerichtshofs, also vor jeglicher prozessualen Entscheidung, die Ernennung vorzunehmen und dadurch die beim Staatsgerichtshof eingegangenen Anträge auf einstweilige Verfügungen über Freihaltung verschiedener Verwaltungsratssitze gegenstandslos zu machen6.

6

Dazu heißt es im Kommuniqué der RReg. nach Darlegung des Sachverhalts bis zur Ernennung der Verwaltungsratsmitglieder: „Es ist selbstverständlich, daß die RReg. jede Entscheidung des StGH respektiert hätte, auch wenn sich daraus die schwerwiegendsten politischen und verwaltungstechnischen Hemmnisse ergeben hätten. Aber es ist ein in allen prozessualen Verfahren anerkannter Grundsatz, daß eine Partei ihre Handlungsfreiheit behält, solange keine Entscheidung ergangen ist. Die RReg. war daher rechtlich zu ihrem Vorgehen völlig befugt. Sie war bei der Lage der Sache zu einer alsbaldigen Entscheidung geradezu verpflichtet; denn sie sah bei einer Hinausschiebung der Entscheidung ernste politische Schädigungen des Reiches voraus und hätte pflichtwidrig gehandelt, wenn sie auch nur einen Tag verzögert hätte. Die RReg. hat in die verfassungsmäßige Tätigkeit des StGH in keiner Weise eingegriffen. Sie ist sich ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung gegenüber dem RT voll bewußt.“

Das Reichskabinett beschloß, in einer amtlichen Mitteilung die Gründe der Reichsregierung für ihre Maßnahmen zu veröffentlichen, soweit dies in Erwägung außenpolitischer Rücksichten möglich sei. Es solle anschließend auch dem Befremden Ausdruck gegeben werden, das der Beschluß des Staatsgerichtshofs bei der Reichsregierung ausgelöst habe. Mit der gemeinsamen Abfassung dieser Veröffentlichung wurden der Reichsminister der Finanzen, der Reichsminister der Justiz, der Reichsverkehrsminister und Staatssekretär Zweigert beauftragt. Es bestand Einvernehmen darüber, daß bei etwaigen Anfragen in einer der bevorstehenden Reichstagssitzungen von der Reichsregierung entsprechend dieser Veröffentlichung geantwortet werden solle. Endlich wurde vorgesehen, daß der Reichsverkehrsminister dem Präsidenten des Staatsgerichtshofs mitteilen solle, die Reichsregierung sei bereit, ihm alle etwa erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Im übrigen solle zunächst keine weitere Fühlungnahme mit dem Präsidenten des Staatsgerichtshofs stattfinden, vielmehr abgewartet werden, ob er von der Bereitwilligkeit der Reichsregierung zur Auskunftserteilung Gebrauch mache.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

[Das Pressecommuniqué wird verfaßt.]7

7

Es ist in R 43 I /1434 , Bl. 402 wiedergegeben im Ausschnitt aus einer nicht genannten Zeitung. – Der Präsident des StGH erklärte zum Kommuniqué, der StGH habe erst durch die Presse die Gründe der RReg. für eine Besetzung der Stellen erfahren. Der Beschluß des StGH sei in der Sitzung ergangen, in der das Publikum von der Behandlung des StGH erfahren habe. Der StGH habe sich an den Vertreter des RVM halten müssen. „Daß der Beschluß seinem ganzen Inhalt nach verkündet wurde, erklärte sich hinreichend aus dem tief bedauerlichen Mangel an Achtung und Vertrauen, dem der Schritt der RReg. dem StGH gegenüber Ausdruck gab“ (Voss. Zeitung, 18.12.1928). – Sachsen, Württemberg und Baden protestierten am 20. und 21.12.28 gegen die Ernennung der Verwaltungsratsmitglieder vor der Entscheidung durch den StGH. Die Antworten des RVM an Baden am 22.1.29, an Sachsen und Württemberg am 24.2.29 wiederholten den Standpunkt der RReg. (R 43 I /1059 , Bl. 277-283, 287-290, 296 f., 331-351).

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