2.117 (mu21p): Nr. 117 Vermerk Staatssekretär Pünders über Koalitionsverhandlungen. 30. Januar 1929

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Nr. 117
Vermerk Staatssekretär Pünders über Koalitionsverhandlungen. 30. Januar 1929

Nachlaß Pünder 36 Abschrift in Durchschrift

Im Einverständnis mit dem Herrn Reichskanzler habe ich gestern nachmittag eine Aussprache mit Herrn Reichsverkehrsminister v. Guérard über die politische Lage gehabt. Ich stellte hierbei fest, daß die Darstellung der tatsächlichen Vorgänge und auch die Beurteilung der Gesamtlage bei ihm die gleiche ist wie beim Herrn Reichskanzler. Herr Minister von Guérard stellte zunächst mit Befriedigung fest, daß ich im vollen Einverständnis mit dem Herrn Reichskanzler ihn aufsuchte. Er führte aus, daß nicht zuletzt durch die demokratischen Presseäußerungen und die demokratischen Ministerreden in der Zentrumsfraktion eine sehr erhebliche Beunruhigung Platz gegriffen habe1. Wenngleich dem Herrn Reichskanzler alles Vertrauen entgegengebracht werde, begegnet man auf Grund dieser Vorkommnisse überall der Auffassung, daß die Koalitionsbesprechungen gar nicht ernst gemeint seien und im Endeffekt entsprechend der Äußerung des Herrn Ministers Dietrich doch alles beim alten[399] bleiben solle. Er habe gerade im Hinblick auf die Aussprache zwischen uns beiden verhindert, daß sich der Fraktionsvorstand in den Mittagsstunden erneut mit der Situation befaßt hätte und zweifellos zu scharfen Entschließungen gekommen wäre. Er hoffe nunmehr, in einer für nachher vorgesehenen Sitzung des Fraktionsvorstandes beruhigend wirken zu können. Hierzu erklärte ich Herrn Minister v. Guérard, daß der Herr Reichskanzler durchaus bereit sei, sich für Erfüllung der Zentrumswünsche wegen der drei Ministerien einzusetzen, ohne im übrigen zu verschweigen, daß ihm die Schaffung eines hauptamtlichen Rheinministeriums aus außen- und innerpolitischen Gründen nicht erwünscht sei. Wenn aber die allgemeine politische Lage dies verlange, müßten solche Erwägungen vorangehen. Der Herr Reichskanzler hofft, auch den diesbezüglichen Widerstand der Volkspartei schließlich überwinden zu können. Hierzu sei aber erforderlich, daß den anderen Wünschen der Deutschen Volkspartei wegen der Großen Koalition in Preußen Rechnung getragen werde. Auch nach dieser Richtung sei daher der Herr Reichskanzler tätig geworden, indem er gestern bereits mit Herrn Abgeordneten Heilmann gesprochen habe2 und er soeben in einer Besprechung mit dem Herrn Ministerpräsidenten Braun begriffen sei. Er hoffe, hierbei zu erreichen, daß der Herr Ministerpräsident die vier preußischen Fraktionsführer zusammenbringen und in dieser Besprechung ein Vorschlag hinsichtlich der vorgesehenen Besetzung der preußischen Ministersitze zustandekomme.

1

Siehe Dok. Nr. 116, Verhandlung des RK mit dem Zentrum.

2

Siehe Anm. 1 zu Dok. Nr. 116.

Herr Minister v. Guérard begrüßte es, daß er vorstehende Mitteilungen gleich seinem Fraktionsvorstand unterbreiten könne. Schließlich könne er mir zur Weiterleitung an Herrn Reichskanzler nur nochmals erklären, daß seitens des Zentrums die Lage überaus ernst angesehen werde. Falls nicht in allerkürzester Zeit, etwa in einer Woche, die Lage geklärt sei, sei es ganz unausbleiblich, daß er aus dem Kabinett ausscheide.

Herr Minister v. Guérard bestätigte mir, daß sein Fall und die Frage der Zentrumsbeteiligung viel kritischer und ernster zu nehmen sei als die Frage der Bayerischen Volkspartei und die Frage des Verbleibens des Herrn Minister Schätzel. Wenn erst, was wir hoffen wollten, in einigen Tagen die Große Koalition offiziell zustandegekommen sei, brauche man sich wegen der Bayerischen Volkspartei keinerlei Sorgen mehr zu machen. Die Bayerische Volkspartei sei auf Gedeih und Verderb auf die Zusammenarbeit mit dem Zentrum angewiesen, da sie sonst in Bayern sowohl von rechts wie von links zerrieben werde. Es sei daher ganz ausgeschlossen, daß die Bayerische Volkspartei ein anderes Steuerprogramm durchsetzen wolle als das Zentrum. Es sei natürlich möglich, daß die Bayerische Volkspartei bei dem einen oder anderen Steuergesetz oder Etatsposition dagegen stimme; dies sei aber bei ihrer geringen Stärke im Reichstag durchaus zu tragen. Politische Folgerungen werde dagegen die Bayerische Volkspartei aus ihrer Überstimmung dann nicht mehr herleiten.

Für all dies sei aber Voraussetzung die sofortige Lösung der Frage der Großen Koalition und die Zuweisung der beiden weiteren Portefeuilles an das Zentrum.

[400] Im Anschluß an diese Besprechung habe ich den Herrn Reichskanzler über ihren Inhalt orientiert. Der Herr Reichskanzler erklärte sich mit meinen Ausführungen durchaus einverstanden und sich bereit, im Anschluß an die Besprechung mit Herrn Ministerpräsidenten Braun Herrn Reichsverkehrsminister v. Guérard um 5½ Uhr nachmittags zu empfangen. Letzteres konnte ich Herrn Minister v. Guérard in dem Augenblick, als er in die Sitzung seines Fraktionsvorstandes gehen wollte, noch mitteilen.

Vorstehendem entsprechend empfing der Herr Reichskanzler im Anschluß hieran am gestrigen Nachmittag den Herrn Ministerpräsidenten Braun und sodann Herrn Reichsverkehrsminister v. Guérard. Herr Ministerpräsident Braun erklärte sich an sich bereit, seinerseits in den nächsten Tagen alles zu tun, was zur Klärung der Frage der preußischen Großen Koalition notwendig sei. Nur sei es ihm nicht möglich, sofort die Verhandlungen bei gleichzeitiger Anwesenheit der volksparteilichen Vertreter zu eröffnen. Vielmehr werde er zunächst mit den Vertretern der bisherigen Weimarer Koalition verhandeln. Der Herr Ministerpräsident befürchtete, daß sich die Verhandlungen hinziehen könnten, wenn man dabei in sachliche Erörterungen über das Konkordat eintreten würde. Das würde zur Schaffung von Klarheit über die Aussichten des Konkordats anzunehmen sein. Ferner war er nicht so sicher, daß die Parteien der Schaffung eines Ministeriums ohne Portefeuille zustimmen würden; das könnte zu großen Schwierigkeiten für die Zusammensetzung des Kabinetts führen, wenn dem Zentrum seine drei Portefeuilles erhalten bleiben sollten. Bei einer Umbildung des preußischen Kabinetts würde die Sozialdemokratie einen dritten Sitz verlangen. Die dann folgende Besprechung des Herrn Reichskanzlers mit Herrn Reichsverkehrsminister v. Guérard ergab gegenüber dem vorgenannten keine neuen Momente.

gez. Dr. Pünder

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