2.185 (mu21p): Nr. 185 Besprechung über reparationspolitische Angelegenheiten. 29. April 1929, 12 Uhr

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Nr. 185
Besprechung über reparationspolitische Angelegenheiten. 29. April 1929, 12 Uhr1

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Eine parallele Niederschrift befindet sich in R 2 /2924 , Bl. 177-193. Sie wird zitiert als „Aufzeichnung RFMin. II“. – Eine Abschrift enthält R 43 I /465 , Bl. 36-52 zusammen mit anderem Material, das zur Widerlegung Schachts „Ende der Reparationen“ gesammelt worden war.

R 43 I /277 , Bl. 174-178

Anwesend: Müller, Stresemann, Hilferding, Curtius, Wirth; StS Pünder, v. Schubert, Popitz, Trendelenburg; MinDir. v. Hagenow, Ritter, Schäffer, Dorn, Zechlin; MinR Berger; RbkPräs. Schacht; Protokoll: MinR Vogels.

Reichsbankpräsident Dr. Schacht erklärte, daß er für die Sitzung des Generalrats der Reichsbank von Paris herübergekommen sei. An sich habe der Stand der Sachverständigenkonferenz seinen jetzigen Besuch in Berlin nicht erforderlich gemacht. Am heutigen Tage tage in Paris zwar die Redaktionskommission für den von Stamp auszuarbeitenden Bericht der Sachverständigenkonferenz. Es würden jedoch bei dieser Tagung nur Teile des Berichtsentwurfs erörtert, wobei er, Dr. Schacht, sich durch ein anderes Mitglied der deutschen[590] Gruppe ohne weiteres vertreten lassen könne2. In der letzten Woche habe sich innerhalb der Konferenz nichts ereignet, worüber er nicht schon schriftlich erschöpfend berichtet habe. Außerhalb der offiziellen Sitzungen der Konferenz habe er am Montag, dem 22. April, gleich nach seiner Rückkehr aus Berlin nochmals eine Sonderbesprechung mit dem Franzosen Quesnay wegen einer Kompromißlösung gehabt. Die Verhandlung sei auf der Basis geführt worden, daß nicht mehr, wie bisher, die interalliierten Schulden an erster Stelle stehen sollten, vielmehr, daß diese interalliierten Schulden an das Ende des Zahlungsplans rücken sollten, während für die erste Stelle die französische Reparationstranche ins Auge gefaßt werden solle, und zwar solle diese französische Reparationstranche nicht transfergeschützt sein. Die Besprechungen seien im Einvernehmen mit Owen Young geführt worden, hätten sich zunächst auch nicht schlecht angelassen, seien dann aber durch das Dazwischentreten Moreaus brüsk beendet worden. Über die Einzelheiten des Moreauschen Eingriffs habe er schriftlich berichtet. Moreau sei nämlich am Dienstag, dem 23., vormittags, während er mit Quesnay allein verhandelte, hinzugekommen und habe ihn, Dr. Schacht, mit Vorwürfen überschüttet3. Moreau habe betont die Miene eines finsteren Mannes zur Schau getragen und habe erklärt, er sei über ihn, Dr. Schacht, sehr enttäuscht; er habe kein Vertrauen mehr zu ihm. Er habe geflissentliche Verbindung mit französischen Politikern gesucht, die Herrn Poincaré feindlich gesinnt seien. Er treibe keine Expertise, sondern Politik, er verschleppe die ganze Konferenz4. Darauf habe er ruhig geantwortet, Vertrauen lasse sich nicht erzwingen. Es treffe zu, daß er mit französischen Linkspolitikern gesprochen habe. Er habe diese Herren jedoch zufällig bei gesellschaftlichen Veranstaltungen getroffen. Jedenfalls habe er vorher nicht gewußt, daß er sie treffen werde. Vor der Annahme von Einladungen zu gesellschaftlichen Veranstaltungen habe er stets den deutschen Botschafter befragt, ob die Annahme der Einladung unbedenklich sei. Er habe nur solche Einladungen angenommen, zu denen ihm der deutsche Botschafter zugeraten habe. Anlangend den Vorwurf,[591] daß er Politik treibe – wobei offenbar in erster Linie an die Frage Eupen-Malmedy gedacht gewesen sei –, so sei er offenbar falsch unterrichtet. Nicht er, sondern Belgien habe das Thema angeschnitten, obschon es gar nicht auf die Konferenz gehöre. Ebenso unberechtigt sei der Vorwurf der Verschleppung. Es habe sieben Wochen bedurft, bis die Alliierten so weit gewesen seien, eine Forderung von 2,9 Milliarden Annuität aufzustellen. Danach habe es einer weiteren Frist von einer Woche bedurft, um diese Annuität auf eine Forderung von 2,3 Milliarden zu reduzieren. Die deutsche Gruppe habe für die Überreichung ihres Memorandums nur einen Tag in Anspruch genommen. Er habe Moreau zum Schluß ausdrücklich versichert, daß die deutsche Gruppe die Forderung von 2,3 Milliarden niemals unterzeichnen werde. Daraufhin habe Moreau die Unterhaltung abgebrochen und das Zimmer verlassen. Infolgedessen sei auch das Gespräch mit Quesnay zu Ende gewesen. Gleich darauf habe er mit Owen Young gesprochen, insbesondere auch wegen des französischen Vorwurfs, daß die deutsche Gruppe die Konferenzverhandlungen verschleppt habe. Owen Young habe klar zu verstehen gegeben, daß er diesen Vorwurf nicht teile. Ferner habe er deutlich durchblicken lassen, daß er, wenn die Deutschen ihm eine Chance dazu ließen, versuchen werde, vielleicht mit uns eine gemeinsame Reparationssumme zu unterschreiben. Die 2,3 Milliarden Annuität werde er bestimmt nicht unterschreiben. Möglicherweise werde er einen selbständigen neutralen Bericht anfertigen, in dem möglicherweise überhaupt keine Ziffern genannt würden, vielmehr nur gesagt werden würde, daß er sowohl die Ziffern der Alliierten wie auch die deutschen Ziffern für falsch halte.

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Hierzu heißt es in der „Aufzeichnung RFMin. II“: „Inzwischen seien am Sonnabend [27. 4.] der deutschen Seite Stücke des Stampschen Berichtsentwurfs zugegangen, aus deren Inhalt sich ergeben hätte, daß die Deutschen ihn voraussichtlich nicht würden unterschreiben können. Auch der Vorsitzende habe geäußert, er sei mit diesem Bericht nicht sehr zufrieden. Der Fehler dieses Berichts läge darin, daß er für den Fall geschrieben sei, daß man sich über die Ziffern nicht verständigen könne. Wenn man sich noch über die Ziffern einige, meint auch der Vorsitzende, würde der Bericht noch anders lauten. Das spreche nicht gerade für die Güte der Argumente, sei aber wohl schmerzlich“ (R 2 /2924 , Bl. 177-193, hier: Bl. 177). Den Auftrag, den Bericht abzufassen, hatte Stamp am 23. 4. erhalten (Bericht Ruppels Nr. K. 488 vom 23. 4.; R 43 I /291 , Bl. 141-144).

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Von diesem Zwischenfall berichtete Ruppel bereits am 22. 4. in seinem Schreiben Nr. K. 487 (R 43 I /291 , Bl. 137-140).

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Nach der „Aufzeichnung RFMin. II“ hatte Moreau gesagt: „Herr Schacht, ich habe mein Vertrauen zu Ihnen verloren. Sie haben mich vollständig enttäuscht. Die Gründe dafür will ich Ihnen angeben. Sie haben 1. in Pyrmont erklärt, Sie wollten keinen Pfennig zahlen. Sie haben 2. hier in Paris Verbindungen zu Politikern gesucht, die Herrn Poincaré feindlich sind, wie zu Herrn Daladier, Herrn Vincent Auriol u. a. Sie haben weiter die Fragen von Eupen und Malmédy in die Verhandlungen, mit denen sie nichts zu tun haben, hereingezerrt. Sie treiben hier keine Expertise. Sie treiben Politik. Sie haben zehn Wochen die Konferenz verschleppt, ohne Ziffern zu nennen, und durch dieses Verhalten die Atmosphäre verdorben“ (R 2 /2924 , Bl. 177-193, hier: Bl. 179).

Die Vollsitzung vom 23. April nachmittags sei ohne jede Erregung verlaufen. Stamp habe den Auftrag erhalten, den Berichtentwurf für die Konferenz auszuarbeiten. Stamp habe gleich erklärt, daß er zwei Assistenten, einen französischen und einen amerikanischen als seine Assistenten für diese Arbeit hinzuziehen werde5. Am Mittwoch, dem 24. April, habe er die Einzelbesprechungen mit Owen Young fortgesetzt. Die Grundtendenz dieser Besprechung sei dahingegangen, daß Young aus den alliierten Forderungen alles das herausstreichen wolle, was irgendwie streichbar sei. Auf diese Weise würde eine Schlußzahl herauskommen, die zwar unter 2,3 Milliarden Annuität liege, die Summe von 1650 Millionen Annuität aber übersteige. Die Haltung der deutschen Gruppe gegenüber dieser Tendenz sei noch ungewiß. Die Sache werde sofort dann ein anderes Gesicht gewinnen, wenn eine Revisionsmöglichkeit in den Zahlungsplan eingebaut werden könne. Ob eine derartige Revisionsmöglichkeit zu erreichen sei, sei aber sehr zweifelhaft. Young habe erklärt, daß er sich bereits mit einer Formulierung für eine solche Möglichkeit befaßt, aber eine Lösung noch nicht gefunden habe. Er habe den Vergleich gebraucht, daß es ihm vorkomme, als wolle man Quecksilber festhalten und kneten6.

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Stamp hatte Quesnay und Morgan benannt, die den ersten Berichtsentwurf allein anzufertigen hatten (Bericht Ruppels Nr. K. 488 vom 23. 4.; R 43 I /290 , gefunden in R 43 I /277 , Bl. 152).

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Zu diesen Verhandlungen heißt es in der „Aufzeichnung RFMin. II“: „In der Zwischenzeit hätten alsdann täglich Unterhaltungen zwischen ihm, Schacht, und Owen Young sowie dem Beauftragten Owen Youngs, Herrn Eberstadt, stattgefunden. Die Tendenz der Amerikaner sei dabei dahingegangen, die deutschen auf eine Ziffer hinaufzubringen, die es Owen Young möglich machen würde, sie mit zu vertreten. Um dies zu erreichen, habe Owen Young versucht, aus den Forderungen der Alliierten alles überhaupt nur Streichbare zu entfernen, so z. B. die Materialkredite, die Anteile der englischen Dominions und die belgischen Anteile. Die Ziffern, zu denen O. Young dabei komme, seien wesentlich niedriger als 2,3 Milliarden. Sie seien aber noch höher als die Ziffern, welche die deutschen Delegierten im Auge hätten. Wie sich die Deutschen verhalten würden, sei noch ungewiß. Zur Zeit sei er der Auffassung, daß, wenn keine Revisionsmöglichkeit in die Ziffernfolge eingebaut werde, die Deutschen wohl nicht unterschreiben würden. Ob eine solche Möglichkeit überhaupt eingebaut werden kann, sei heute noch recht zweifelhaft. Owen Young habe zunächst die Absicht gehabt, eine Teilung vorzunehmen. Die ersten zehn Jahre habe er mit der Verantwortung der wirtschaftlichen Sachverständigen decken wollen. Die folgenden Jahre hätten nach seiner Auffassung der Verantwortung der Politiker überlassen bleiben können. Er, Schacht habe von vornherein es für zweifelhaft gehalten, ob eine solche Klausel, die den Alliierten annehmbar sei, gefunden werden könne. Er habe Owen Young gesagt, er solle doch einmal versuchen, für seinen Gedanken eine Formulierung ausfindig zu machen. Owen Young habe auch solche Versuche gemacht, aber sei bisher noch zu keiner Formulierung, die ihn selbst befriedigt habe, gelangt. Er habe ihm am Sonnabend [27. 2.] gesagt, vielleicht würde man so etwas gar nicht formulieren können. Es sei, wie wenn man sich bemühe, to pick up the quicksilver. Unter diesen Umständen werde die Vereinbarung einer Ziffer außerordentlich schwer sein“ (R 2 /2924 , Bl. 177-193, hier: Bl. 182f). Von Curtius ist gegen Schacht der Vorwurf erhoben worden, daß am 27. 4. „ein grundlegendes Einverständnis“ zwischen Young und Schacht über die Ziffern erreicht worden sei, ohne daß Schacht die RReg. informiert habe (Der Young-Plan, S. 41).

[592] Mittwoch, den 24. nachmittags habe das Transferkomitee unter Vorsitz von Parker Gilbert getagt. Im Anschluß daran sei die bekannte unerhörte Havasmeldung veröffentlicht worden, in welcher der Reichsbank der Vorwurf gemacht werde, den Transfer zu sabotieren. Daraufhin habe die Pariser Presse am Donnerstag Deutschland mit Angriffen und Vorwürfen überschüttet. Es sei ihm bekannt, daß ein Teil der französischen Journalisten ihre Informationen von Moreau persönlich empfangen habe. Die Banque de France habe einen systematischen Angriff gegen die deutsche Währung versucht7. Der Schlag sei restlos abgewehrt. Er habe sich aber doch genötigt gefühlt, sich auch an die Presse zu wenden. Das Verhalten von Gilbert sei empörend. Während über die zahlreichen früheren Sitzungen des Transferkomitees niemals ein Pressebericht erschienen sei, habe Gilbert ausgerechnet über die letzte Mittwochsitzung zum erstenmal einen Bericht an die Öffentlichkeit herausgegeben. Er, Schacht, habe Freitagvormittag sofort lebhafte Beschwerde über das Verhalten Gilberts bei Owen Young geführt. Young sei über Gilbert sehr aufgebracht gewesen und habe ihn sofort kommen lassen. Daraufhin habe Gilbert sich Freitag Nachmittag notgedrungen zu dem bekannten Dementi in der Presse gegen die Falschmeldungen der französischen Presse herbeilassen müssen. Gleichzeitig habe auch die französische Presse ihre Angriffe plötzlich abgeblasen. Die Franzosen hätten[593] nach ihrem vergeblichen Angriff auf die deutsche Presse sehr bald Katzenjammer bekommen. Englands Haltung sei während der ganzen Aktion verständig geblieben. Die Situation der Reichsbank und der deutschen Währung sei durchaus gesichert. Sie werde die Sache ungefährdet überstehen und werde voraussichtlich nicht einmal zu Kreditrestriktionen übergehen müssen.

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Dazu heißt es in der parallelen „Aufzeichnung RFMin. II“: „Am Mittwoch, dem 24. abends habe die Agence Havas die unrichtige Mitteilung gebracht, daß das am gleichen Tage zusammengetretene Transferkomitee Kritik an der Diskontpolitik der Reichsbank geübt habe, und daß ausländische Banken im Hinblick auf die Gefährdung der deutschen Währung bereits ihre kurzfristigen Kredite in Deutschland kündigten. Am nächsten Morgen sei die ganze Pariser Presse voll von Angriffen gegen die Reichsbank und von Erörterungen über die Güte der deutschen Währung gewesen. Die Folgen dieses Angriffes hätten zu den Schwierigkeiten der letzten Tage geführt. Leider stehe fest, daß ein Teil dieser Informationen persönlich von Herrn Moreau gegeben worden sei, einmal hätten das zuverlässige Journalisten mitgeteilt, und dann wisse man auch von anderen Maßnahmen der Banque de France, die den deutschen Kredit gefährden sollten. So insbesondere sei von der Banque de France die Order ausgegeben worden, daß Bankakzepte, auf denen eine deutsche Unterschrift sei, nur zu einem 1% höheren Diskont hereingenommen werden könnten“ (R 2 /2924 , Bl. 177-193, hier: Bl. 183).

Am Freitag nachmittag habe er dann auch mit Parker Gilbert eine längere Unterhaltung gehabt8. Vorausschicken müsse er, was er bereits früher einmal gesagt habe. Zu Beginn der Konferenz sei ihm nämlich sowohl von Stamp wie auch von Morgan und Pirelli übereinstimmend gesagt worden, daß sie über die Haltung der deutschen Gruppe sehr erstaunt seien, weil ihnen durch Parker Gilbert mitgeteilt worden sei, daß die Deutschen eine Annuität von 2 Milliarden annehmen würden. Durch diese Auffassung sei bei der Gegenseite die Rolle der deutschen Experten aufs schwerste beeinträchtigt gewesen. Er habe nun bei der Unterredung mit Herrn Gilbert diesem sein lebhaftes Bedauern darüber ausgedrückt, daß zwischen ihnen von Mitte Oktober ab bis zum Beginn der Konferenz überhaupt keine Fühlung bestanden habe. Gilbert habe sein Verhalten damit gerechtfertigt, daß er geglaubt habe, mit der politischen Einfädelung der Konferenz seine Aufgabe beendet zu haben. Im übrigen habe er natürlich angenommen, daß die Reichsregierung den deutschen Experten über das, was er der Regierung gesagt habe, informieren werde. Gilbert habe insbesondere darauf hingewiesen, daß er den amtlichen Stellen niemals einen Zweifel darüber gelassen habe, daß eine Reparationslösung auf der kommenden Konferenz nur bei einer Annuität von 2–2,2 Milliarden RM zu erreichen sei. Er habe Gilbert erwidert, daß ihm von seiten der Reichsregierung niemals eine Mitteilung gemacht worden sei, daß Gilbert eine solche Vorbedingung der Reichsregierung mitgeteilt habe. Er habe für seine Person hinzugefügt, daß er für den Fall, daß er eine solche Mitteilung erhalten hätte, das Amt des Sachverständigen niemals angenommen haben würde. Die drei deutschen Kollegen hätten ihm nach der Unterhaltung mit Gilbert auf seine Anfrage mitgeteilt, daß auch sie keine Ahnung von den dahingehenden Unterhaltungen Gilberts mit der Reichsregierung gehabt hätten, und daß auch sie das Amt als Sachverständige in Kenntnis dieser Mitteilung nicht angenommen haben würden. Den gleichen Tatbestand habe er dem Herrn Reichskanzler in einem Brief vom 27. April unterbreitet. Er bitte um Mitteilung, was er dem Reparationsagenten in der Sache weiter antworten könne. Er beabsichtige nämlich, in allernächster Zeit eine erneute Aussprache über das gleiche Thema herbeizuführen. Wegen seiner Auffassung von dem übernommenen Amt als Sachverständiger verwies Dr. Schacht auf die Kabinettssitzung vom 26. Oktober 1928, in welcher er ausgeführt habe, daß er das Amt eines Sachverständigen nur[594] übernehmen könne, wenn ihm unbeschränkte Handlungsfreiheit zugestanden werde9.

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Vgl. zu diesem Abschnitt Dok. Nr. 184. In der „Aufzeichnung RFMin. II“ heißt es: „Herr Schacht erklärte sodann, er habe leider bei der Unterhaltung, die er noch am Freitag [26. 4.] mit Gilbert gehabt habe, eine Feststellung machen müssen, die ihm eine Erklärung für den Verlauf der Konferenz und für die von vornherein unmögliche Stellung der deutschen Sachverständigen gegeben habe. Es sei dies nur eine Bestätigung für einen Vorgang gewesen, der sich bereits in der zweiten Woche der Konferenz ereignet habe“ (R 2 /2924 , Bl. 177-193, hier: Bl. 185).

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Siehe Dok. Nr. 51.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er sich stets im Rahmen des von Dr. Schacht vertretenen Standpunkts hinsichtlich der Unabhängigkeit der Sachverständigen gehalten habe. Er betonte, daß sich sämtliche Kabinettsmitglieder gewissermaßen verschworen gehabt hätten, im Zusammenhang mit dem Reparationsproblem keine Zahlen zu nennen. Dementsprechend habe er sich auch bei den wenigen Unterhaltungen mit Gilbert verhalten. Gilbert habe allerdings erklärt, daß die Lösung des Reparationsproblems für Deutschland teuer sein werde, habe aber keine Zahlen genannt10.

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Im Anschluß an diese Ausführungen verlas der RK den Brief Schachts vom 27. 4. („Aufzeichnung RFMin. II“); vgl. dazu außerdem Dok. Nr. 130.

Reichsminister Dr. Stresemann verlas zunächst ein Telegramm des deutschen Botschafters von Hoesch in Paris über eine Besprechung, die dieser am Vortage mit Gilbert gehabt hatte. Gilbert habe sich über die Angriffe in der deutschen Presse gegen ihn beklagt11.

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In diesem Telegramm hatte v. Hoesch berichtet: „Er [Parker Gilbert] begann damit, Beschwerde über die gegen ihn gerichteten Angriffe der deutschen Presse zu führen und ersuchte mich, Herrn RM mitzuteilen, daß er, wenn diese Angriffe sich fortsetzten, sein Stillschweigen nicht länger zu bewahren gewillt sei. Insbesondere wünsche er, baldigst zu wissen, ob RReg. Presseangriffe begünstige oder auch nur billige. Gegebenenfalls sei er entschlossen, öffentlich gegen diese Angriffe Stellung zu nehmen und wenn nötig bis zur Veröffentlichung seiner Unterhaltung mit deutschen Staatsmännern zu gehen.“ Im weiteren Verlauf der Unterredung hatte dann Parker Gilbert erklärt, Schacht sei der Urheber der Angriffe (Telegramm Nr. 321 vom 28. 4.; R 43 I /289 , Bl. 173-177).

Im übrigen erklärte Reichsminister Dr. Stresemann, daß Gilbert aus seinen Unterhaltungen mit ihm unmöglich die Schlußfolgerung habe ziehen können, die Dr. Schacht eben zur Sprache gebracht habe. Er habe mit Gilbert niemals allein, sondern stets unter Zuziehung eines Dolmetschers (Vortr. Legationsrat Führ) verhandelt, der über die Besprechungen auch stets eine Niederschrift gefertigt habe. Dr. Stresemann verlas sodann die Niederschrift über die etwa in Frage kommenden Verhandlungen12. Danach hat Gilbert dem Reichsaußenminister bei dieser Gelegenheit erklärt, wenn Deutschland Glück habe, werde es mit 1,5 Milliarden Annuität davon kommen, bei einem weniger glücklichen Ausgang der Konferenz werde Deutschland allerdings auf eine Annuität von 2–2,2 Milliarden gefaßt sein müssen. Er, Dr. Stresemann, habe diese letzte Zahl sofort für unannehmbar erklärt.

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Es muß sich um die Aufzeichnung über die Unterredung vom 13.11.28 gehandelt haben (abgedruckt in Stresemann, Vermächtnis III, S. 376 ff.).

Reichsminister Dr. Hilferding erklärte, daß bei seinen zahlreichen Besprechungen mit Parker Gilbert niemals irgendeine Zahl genannt sei13.

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Hilferding führte weiterhin aus: „Wenn eine Zahl angegeben worden wäre, die zwischen 2–2,2 Milliarden gelegen hätte, so hätte er vorgeschlagen, es überhaupt nicht zu einer Konferenz kommen zu lassen. Man hätte dies durch Scheiternlassen der sehr schwierigen diplomatischen Verhandlungen über die Natur der unabhängigen Sachverständigen ja auch verhindern können. Ein solches Verhalten hätte ihm auch deswegen um so näher gelegen, weil er immer der Auffassung gewesen sei, daß die Sache verfrüht sei und diesen Standpunkt auch im August dem Kabinett gegenüber vertreten hätte. […] Habe denn Gilbert sich nicht darüber geäußert, wem von den deutschen Staatsmännern gegenüber er die fraglichen Zahlen vor der Konferenz als Mindestzahlen betont hätte? – Herr Schacht erklärte, er habe sich wohl gehütet, Herrn Gilbert zu fragen, wem gegenüber seine Äußerungen stattgefunden hätten. Er nehme aber an, daß Gilbert bestimmt auf die Angelegenheit zurückkäme. Das Interesse Gilberts, der die verschiedenen Mächte offenbar mit verschiedenen Angaben an den Konferenztisch gelockt habe und der jetzt seinen Ruf bedroht fühle, daran, noch andere in diese Sache hineinzuziehen und sich zu entschuldigen, sei ja klar. Man müsse sich jetzt genau überlegen, was man unter diesen Verhältnissen tun müsse.“ Danach kam Schacht nochmals auf das Transferkomitee zu sprechen („Aufzeichnung RFMin. II“).

[595] Reichsminister Dr. Curtius erklärte, daß auch er mit Gilbert nie allein gesprochen habe. Zahlen seien in den Besprechungen überhaupt nicht genannt worden.

Reichsbankpräsident Dr. Schacht wiederholte, daß er bei nächster Gelegenheit Gilbert gegenüber auf die Sache zurückkommen werde. Was die Angriffe der Presse auf Gilbert anbelange, so habe er Gilbert selbst keinen Zweifel darüber gelassen, daß er selbst die Presse in der Transferangelegenheit aufgeklärt habe, weil er dies angesichts der Angriffe aus dem Transferkomitee auf die Reichsbank für notwendig gehalten habe. Im übrigen bat er um eine schriftliche Beantwortung seines Briefes an den Herrn Reichskanzler, damit er eine greifbare Unterlage für die demnächstige erneute Besprechung mit Gilbert in Händen habe.

Der Reichskanzler sagte die schriftliche Antwort zu und stellte sodann die Frage, welchen Gesamteindruck Dr. Schacht von der voraussichtlichen Weiterentwicklung der Verhandlungen habe und ob irgendwelcher Optimismus noch gerechtfertigt erscheine.

Dr. Schacht erwiderte14, daß Owen Young sicherlich alles aufbieten werde, um mit der deutschen Gruppe zu einer Lösung zu gelangen. die notwendigerweise[596] erheblich unter den alliierten Ziffern liegen werde. Eventuell würden aus der Konferenz drei Berichte herauskommen, ein alliierter Bericht, ein deutscher Bericht und ein selbständiger Bericht von Owen Young. Wenn die Konferenz demnächst scheitern sollte, so scheitere sie an der vergifteten persönlichen Atmosphäre. Der Reparationsagent habe bis zum Schlusse gehetzt. Er, Dr. Schacht, habe sich in jeder Unterredung mit der Gegenseite bemüht, die Atmosphäre zu erhalten. Die deutsche Gruppe werde stets im Auge behalten, daß den Politikern demnächst die Fortführung der Verhandlungen möglich bleiben müsse.

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In der parallelen „Aufzeichnung RFMin. II“ wird berichtet, Schacht habe den Eindruck gehabt, „daß der Vorsitzende noch einmal alles in Bewegung setzen wird, um uns auf eine höhere Ziffer zu bekommen, die wesentlich über unseren, aber weit unter den alliierten Ziffern liege. Er glaube aber doch, daß die Konferenz scheitern würde. Die Atmosphäre sei eben einmal vergiftet. Gilbert habe offenbar gehetzt und den anderen gesagt, Deutschland werde schon die hohen Ziffern annehmen. Die anderen hätten das geglaubt und hätten das Verhalten der deutschen Delegation für Bluff gehalten. Dadurch sei auch eine falsche Wertung der Personen der deutschen Delegierten entstanden. Jetzt erkläre Gilbert, man müsse alles tun, um die Atmosphäre zu verbessern. Er habe sogar vorgeschlagen, ob man nicht ein gemeinsames Diner geben wolle, um dieses Ziel zu erreichen. Er, Schacht, habe sich dem nicht versagt, verspreche sich aber keinen großen Erfolg davon. – Auf die Anfrage des RK, ob denn außer der Zahl auch die Frage der Aufspaltung in einen geschützten und ungeschützten Teil strittig sei, erklärte Herr Schacht, es ist die Zahlendifferenz zwischen den beiden Seiten, wegen der die Konferenz erfolglos bleiben wird. Die Spaltung spielt daneben keine solche Rolle. Er habe im übrigen auch den Gläubigerländern gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß bei Belastung des Transferschutzes in der im Dawes-Plan vorgesehenen Art er eine Reduktion der Dawes-Summe akzeptieren und demgegenüber für einen gewissen Teil der Annuität eine transferfreie Zahl in Aussicht stellen würde. Es sei aber eben so, daß jetzt, wo der Dawes-Plan wirklich angewendet, d. h. der Transfer eingestellt werden solle, das Ausland versuche, das Funktionieren zu verhindern, indem es seine Guthaben abziehe oder damit drohe. – Herr Schacht erklärte es in diesem Zusammenhang für richtig, daß eine Revisionsmöglichkeit vorgesehen und in den Plan eingebaut würde. Geschehe das, dann könne man eine höhere Summe auf längere Zeit annehmen, sogar eine Durchschnittssumme von 2 Milliarden auf 58 Jahre, wie dies Herr Stamp in seiner Unterhaltung mit dem Botschaftsrat Dieckhoff als möglich bezeichnet habe. Ohne eine solche Revisionsmöglichkeit könne er dazu nicht zureden, weil man ebenso hohe Zahlen nicht von vornherein zusichern könne. Es sei bedenklich, etwas zu versprechen, was man nachher nicht zu erfüllen vermöge. Die Privatgläubiger Deutschlands hätten vielmehr Angst, daß wir zu hohe Summen unterzeichneten, deren Leistung uns später unmöglich sei, als daß wir eine Unterzeichnung ablehnten“ (R 2 /2924 , Bl. 177-193, hier: Bl. 191f).

Reichsminister Dr. Stresemann bemerkte noch, daß für den Fall, daß keine Einigung zustande komme, es ihm günstiger erscheine, wenn drei Berichte gemacht würden, da dann später die Kompromißlösung zwischen drei Ziffern gesucht werden könne.

Die weitere Aussprache befaßte sich mit der Sicherheit der deutschen Währung. Es wurde erörtert, ob es sich empfehle, der in der Öffentlichkeit sich bemerkbar machenden unberechtigten Beunruhigung durch eine amtliche Verlautbarung entgegenzutreten.

Dr. Schacht widerriet jeder Veröffentlichung in der Presse und meinte, die Sicherheit der Währung müsse durch die Tatsachen, d. h. durch restlose Erfüllung aller Anforderungen an die Reichsbank dokumentiert werden. Er äußerte sich sehr zuversichtlich darüber, daß die Reichsbank den bevorstehenden Ultimotermin ohne Schwierigkeiten und ohne Kreditrestriktionen überwinden werde. Im übrigen müsse Deutschland darauf bestehen, daß die Dawes-Klausel über den Transferschutz nunmehr in die Tat umgesetzt werde. Deutschland habe einen Anspruch auf das Inkrafttreten des Transferschutzes. Vor der Öffentlichkeit müsse dokumentiert werden, daß die Klausel des Dawes-Planes ein tatsächlicher Schutz sei. Im übrigen müsse der Krisenbeweis für die Leistungsunfähigkeit Deutschlands erbracht werden.

Darauf wurde die Aussprache geschlossen.

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