2.204 (mu21p): Nr. 204 Der Reichskanzler an den Reichsbankpräsidenten. 18. Mai 1929

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Nr. 204
Der Reichskanzler an den Reichsbankpräsidenten. 18. Mai 1929

R 43 I /287 , Bl. 110-116 Durchschrift1

1

Das Schreiben wurde im AA entworfen, siehe Dok. Nr. 203. Die Durchschrift trägt die Paraphe des RK.

[Betrifft: Belgische Markfrage.]

Sehr geehrter Herr Reichsbankpräsident!

Ich bestätige mit Dank den Empfang Ihrer beiden Schreiben vom 8. und 10. Mai 1929 mit dem ihnen anliegenden Schriftwechsel mit Herrn Francqui. Aus den Schreiben Francquis entnehme ich, daß er in Abrede zu stellen versucht, daß er im Jahre 1926 mit Ihnen, im Zusammenhang mit der Markfrage, sachlich über Eupen-Malmedy verhandelt habe2. Mit dem in Ihren Händen befindlichen Schreiben Delacroix’ vom 21. Juli 1926 wäre es zwar möglich, Francqui die Unrichtigkeit seiner Behauptungen nachzuweisen3; in der Sache selbst würde das sicherlich aber keinen Fortschritt bedeuten, denn die ganze Haltung Francquis kann m. E. nur dahin aufgefaßt werden, daß die Belgische Regierung es ablehnt, sich auf Verhandlungen über Eupen und Malmedy einzulassen.

2

Siehe dazu Anm. 5 zu Dok. Nr. 203.

3

In diesem Schreiben waren die Ergebnisse der Unterhandlungen von 1926 zwischen Schacht und Delacroix sowie zwischen Schacht und Francqui fixiert worden (Aufzeichnung von Schuberts vom 14.3.29; R 43 I /54 , Bl. 3-6).

Angesichts dieser Sachlage erhebt sich die Frage nach der weiteren taktischen und sachlichen Einstellung zur Markfrage.

Das taktische Verhalten in der Markfrage der Belgischen Delegation gegenüber hängt natürlich vom jeweiligen Stand Ihrer Reparationsbesprechungen und von der Bedeutung ab, die Einwendungen oder einer Ablehnung von belgischer Seite in der Reparationsfrage zukommen. In dieser Beziehung haben Sie Ihre Eindrücke in Paris aus erster Hand, und Sie sind daher besser in der Lage als die Reichsregierung, zu beurteilen, wie das taktische Verhalten in der Markfrage dem jeweiligen Stand der Reparationsbesprechungen anzupassen ist. Davon wird es insbesondere abhängen, ob Sie die Initiative zu neuen Besprechungen mit Francqui ergreifen wollen, um den Widerstand zu beseitigen, den, wie vorauszusehen, die belgischen Sachverständigen einer Einigung[665] in den noch offenen Reparationsfragen entgegensetzen werden, oder ob Sie glauben, daß es besser ist, den Belgiern das weitere Vorgehen zu überlassen.

In sachlicher Beziehung hatte die Reichsregierung sich damit einverstanden erklärt, daß die Besprechungen über die Markfrage an die früheren Verhandlungen anknüpfen, das heißt, daß sie wieder in Zusammenhang mit Eupen-Malmedy gebracht werden. Angesichts der veränderten Situation bin ich mir darüber klar, daß die Reichsregierung an dieser Verknüpfung nicht unter allen Umständen festhalten wird. Die ganze Situation zeigt deutlich, daß eine Wiedergewinnung von Eupen-Malmedy unter den gegenwärtigen Umständen nicht durchzusetzen ist. Wir würden also möglicherweise vor die Frage gestellt werden, ob wir gewillt sind, die ganze Reparationskonferenz daran scheitern zu lassen, daß wir schon jetzt auf die Erfüllung der Forderung Eupen-Malmedy bestehen. Diese Frage glaube ich nach der gesamten Lage der Dinge verneinen zu müssen. Sollte sich deshalb nicht etwa herausstellen, daß die Belgier doch noch für eine Erörterung der Frage Eupen-Malmedy zu haben sind, und sollte andererseits unsere bisherige Verknüpfung dieser Frage mit der Markfrage eine Gefährdung des Konferenzergebnisses heraufbeschwören, so können Sie sich für ermächtigt halten, die Verknüpfung fallen zu lassen.

An dem Standpunkt, daß eine rechtliche Verpflichtung für das Reich zur Entschädigung Belgiens für die Marknoten nicht vorliegt, muß auch in diesem Falle bei weiteren Verhandlungen festgehalten werden; ein Entgegenkommen wird mit dem Wunsch, die deutsch-belgischen Beziehungen zu bereinigen, zu begründen sein. Die Aufrechterhaltung der bisherigen Forderung von speziellen Gegenleistungen stößt, wenn Eupen und Malmedy wegfällt, auf die tatsächliche Schwierigkeit, daß als solche Gegenleistung eine andere als die Freigabe des noch nicht liquidierten deutschen Eigentums nicht gegeben ist. Die Liquidation des deutschen Eigentums in Belgien ist tatsächlich aber so gut wie vollständig durchgeführt. Diese Gegenleistung hätte daher fast nur noch eine grundsätzliche Bedeutung. Überdies wird die Freigabe des noch nicht liquidierten deutschen Eigentums von der deutschen Delegation an anderer Stelle ohnehin schon allgemein gefordert. Der Ausgleich dafür, daß es nach Wegfall von Eupen und Malmedy an einer praktisch bedeutsamen Gegenleistung fehlt, müßte daher darin gesucht werden, daß die Sonderleistung an Belgien niedriger ausfällt, als sie im Rahmen der jetzigen Pariser Besprechungen (25 Millionen Mark auf 37 Jahre) bisher bewertet worden ist.

Ich möchte weiter Ihrem Ermessen anheimstellen, ob es bei der veränderten Sachlage richtiger ist, ein Sonderabkommen mit Belgien völlig getrennt von dem Gesamtplan zu treffen, oder ob man sich zwar mit den Belgiern intern auf eine Summe oder auf eine Reihe von Annuitäten als Zusatzleistung einigen, diese Regelung aber in den Gesamtplan einbeziehen sollte. Die Einbeziehung in den Gesamtplan würde den Vorteil haben, daß vermieden werden könnte, der Sonderleistung den Charakter einer Aufwertung zu geben. Dabei würde allerdings folgendes zu beachten sein:

Es ließe sich denken, daß wir später, wenn eine veränderte politische Konstellation, insbesondere in Frankreich mehr Aussicht auf eine Lösung dieser Frage eröffnet, und wenn eine bessere Lage der Reichsfinanzen und des Kapitalmarktes[666] dies gestatten, Belgien eine vorzeitige Kapitalzahlung gegen Rückgabe von Eupen und Malmedy anbieten. Dieser Anknüpfungspunkt wäre dann nicht mehr gegeben, wenn die Sonderleistung ohne besondere Kennzeichnung in die Annuitäten einbezogen würde. Auch in diesem Falle könnten die künftigen Möglichkeiten jedoch vielleicht durch einen nicht zu veröffentlichenden Notenwechsel zwischen Ihnen und Francqui offengehalten werden, nachdem ein bestimmter Betrag der Gesamtannuität auf die Sondervereinbarung zwischen Belgien und Deutschland zurückzuführen ist. Eine entsprechende Feststellung müßte ohnehin zwischen den Gläubigerregierungen intern getroffen werden, um bei der Verteilung der Gesamtannuität der Gläubigerländer Belgiens Anrecht auf die Sonderleistung sicherzustellen. Ob indes eine Aufnahme der Sonderleistung in die Gesamtannuität noch möglich ist, oder ob damit die ganze Frage der Annuitätenhöhe erneut zur Diskussion gestellt werden würde, muß ich Ihrer Beurteilung überlassen.

Man kann sich natürlich fragen, ob es nicht überhaupt besser wäre, die Erledigung der Marknotenfrage jetzt in Paris einfach offenzulassen und sie der nachfolgenden Regierungskonferenz vorzubehalten. Ein Hinausschieben der Marknotenfrage auf die Regierungskonferenz würde indes sicherlich folgende Nachteile haben: Einmal wird die Regierungskonferenz ohnehin noch genug andere schwierige Fragen zu erledigen haben – ich nenne nur die Frage des Rheinlandes und des Saargebiets –; ferner glaube ich aber auch, daß eine Regelung der Marknotenfrage jetzt in Paris dem Betrage nach wahrscheinlich billiger werden würde, als später auf einer Regierungskonferenz, da in Paris die belgischen Sachverständigen noch unter dem Druck der übrigen Sachverständigen stehen würden. Endlich ist nicht zu vergessen, daß es sich bei einer Regelung der Markfrage auf der Regierungskonferenz kaum vermeiden lassen würde, diese Regelung politisch als einen endgültigen Verzicht Deutschlands auf eine Erörterung der Frage Eupen-Malmedy erscheinen zu lassen, während eine Regelung auf der Pariser Expertenkonferenz nicht notwendig so aufgefaßt zu werden brauchte.

Ich wäre Ihnen, sehr verehrter Herr Präsident, dankbar, wenn Sie mir Ihre Ansicht mitteilen und mich auch weiterhin über die Behandlung der Angelegenheit auf dem laufenden halten wollen.

Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich

Ihr sehr ergebener

gez. Müller

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